© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Flaneur der Düsternis
Fritz J. Raddatz ist den Lebensspuren des Lyrikers Gottfried Benn gefolgt
Baal Müller

Nicht nur ein Doppelleben als Arzt und Dichter, wie es Gott fried Benn für sich in Anspruch genommen hat, sondern gleich ein Fünffach- oder Sechsfachleben muß dieser nach Fritz J. Raddatz bedeutendste deutsche Lyriker des 20. Jahrhundert geführt haben: als zynischer Menschenfeind und Frauen geradezu verbrauchender Liebhaber, als mondäner Selbstdarsteller, aber auf die Pünktlichkeit des abendlichen Biers bestehender Eckkneipensitzer oder als „Stullen schmierender“ Rabattmarkenkleber, als poetischer Hirnsezierer und ewig meckernder, belfender, wegen naßgewordener Post und schlecht aufgehängter Briefkästen amtliche Eingaben machender Spießbürger - unermüdlich im Erfinden neuer Schimpfworte - ,als Kunstfanatiker und Banause, Zivilisationsfeind und Berlin- Apologet, nach Raddatz ein „Flaneur der Düsternis“, ein „Jäger der Dämmerung“ oder auch ein „Lurch“.

„Halbgeschlossenen Auges schnürte er seiner Witterung entlang, schnappte zu, und wenn er mit Gift getötet und mit Galle verdaut hatte, schleppte er das Getötete zu einem Golgatha der Wörter. Aus Haß.“

Haß auf alles und jeden ist das Lebenselixier des „Schimpfgenies“: auf „Hauswirte, Schieber, Buchverleger, Kausalgesindel, Norm-Geschmeiß“ , auf den Philister wie den kunstbeflissenen Weltbürger - obgleich er gern mit beider Rollen kokettierte - ,auf den „neuen Menschen“ des technischen Zeitalters eine künftige „solare Elite“, heimgekehrte Asen und Herrscher „von Thule bis Avalon“ gegenüberstellte, und besonders auf den liberalen Kulturbetrieb, dessen Umgang mit seiner Person er gleichwohl aufmerksam verfolgte: „Der Aufsatz über mich ist sehr interessant“ oder „Lasen Sie von dem so erfolgreichen GB-Abend im Münchener Ateliertheater?“

Öffentliche Ehrungen, wie den ihm 1951 verliehenen Büchner-Preis, nahm Benn huldvoll entgegen („ein glorreicher Tag, der glänzendste meines Lebens, völlig gelungen in Stimmung, Äußerem und Gesellschaftlichem“), verbat sie sich aber, wenn er, wie meist, bei raunziger Laune war, als „eines schöpferischen Mannes unwürdig“: „Ich nehme keine Feier an, auch keinen Preis, keinen Orden, keinen Titel, keine Plakette, ganz abgesehen davon, daß ich auch keinen Frack hätte, um solche Insignien leuchten zu lassen. Man kann unmöglich sein Leben lang die Meinung vertreten, die Kunst sei eine monomane, lethargische, ja bionegative Welt, mit der derjenige, der sie nun einmal aufgeladen bekommen hat, alleine fertig werden muß, um dann am Schluß seiner Tage zu Pressekonferenzen und Festivals gehen. Also bitte keine Blattpflanzen und keine Motetten!“

Es ist ein Verdienst von Raddatz Buch, Benns Welt- und Menschenhaß, der nicht nur ein persönliches, pathologisches Problem, sondern existentieller Vollzug einer Synthese aus Nihilismus und Ästhetizismus war, als einheitliches, mit unheimlicher Konsequenz durchgehaltenes Prinzip hinter den Facetten und Masken von Benns „provoziertem Leben“ zu erkennen: In distanziert-abgebrühter Form kennzeichnet sein Welthaß die skandalös- fleischigen, eiskalt sezierender Morgue-Geschichte des Jahres 1912 mit ihren ersoffenen Bierfahrern, Krebsbaracken und liebevoll-zynisch geschilderten Rattennestern in menschlicher Wasserleichenwohnung, und in seiner altersweisen Variante prägt er noch die Melancholie der späten Statischen Geschichte (1948), ihre dorischen Welten und südlichen Worte, ihre Litaneien von einsam-heroischem Künstlertum, blauen Meeren und Rausch des Vergessens.

Astern - schwälende Tage

alte Beschwörung, Bann,

die Götter halten die Waage

eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden

der Himmel, das Licht, den Flor,

was brütet das alte Werden

unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,

den Rausch, der Rosen Du -

der Sommer stand und lehnte

und sah den Schwalben zu,

noch einmal ein Vermuten,

wo längst Gewißheit wacht:

die Schwalben streifen die Fluten

und trinken Fahrt und Nacht.

Der Lebensekel des 1886 in Mansfeld (Priegnitz) geborenen zeitweiligen Militär- und später zivilen Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten evoziert seine Sprachkunst, sein „Golgatha der Wörter“ das ihm, sehr nietzscheanisch, die Welt nur als „ästhetisches Phänomen“ erträglich sein läßt, ein Gespinst und Wahnsinn des aus Drüsen und Sekreten bestehenden Menschen. Das Leben erscheint nur noch, wie im folgenden Gedicht zum Ausdruck gelangt, als „niederer Wahn“, der allein dazu gut sein kann, den höheren der Kunst hervorzubringen:

Leben - niederer Wahn!

Traum für Knaben und Knechte,

doch du von altem Geschlechte,

Rasse am Ende der Bahn,

was erwartest du hier?

immer noch eine Berauschung,

eine Stundenvertauschung

von Welt und dir?

Suchst du noch Frau und Mann?

ward dir nicht alles bereitet,

Glauben und wie es entgleitet

und die Zerstörung dann?

Form nur ist Glaube und Tat,

die erst von Händen berührten,

doch dann den Händen entführten

Statuen bergen die Saat.

In Raddatz’ eindrucksvoller und sich auch stilistisch ihrem Gegenstande würdig erweisenden Schilderung von Benns Biographie erweist sich dessen Nihilismus auch als Ursache seines schwierigen Zeitgenossentums, seiner Arroganz und Grobheit selbst den wenigen Freunden gegenüber und seiner Mischung aus Gefühlskälte und sexueller Leidenschaft, die ihn schon auf den Rückweg von der Beerdigung seiner ersten Frau - er hat drei Ehefrauen und zahlreiche Affären konsumiert, je eine aus beiden Gruppen beging Selbstmord - ein neuesVerhältnis anbahnen läßt, das bald dazu dient, seine Tochter zu „parken“.

Ein ungemütlicher Mensch war er also, und doch kann man ihm aufgrund seiner inneren Konsequenz, seinem auch sich selbst gegenüber und noch angesichtsdes Krebstodes 1956 schonungslosen Zynismus keine Vorwürfe machen, auch nicht wegen seiner zeitweiligen Avancen an den Nationalsozialismus, in dessen Nähe sein Biologismus, Fatalismus und geistesaristokratischer Immoralismus ihn so lange führte, bis er merkte, daß wohl doch keine solaren Eliten an die Macht gelangt sind, er selbst wegen seiner lyrischen „Ferkeleien“ ein Schreibverbot erhielt, aus Dichter- und Ärztekammer entfernt und daher, wie schon im Ersten Weltkrieg, wieder Arzt in Uniform wurde - oder, wie er mit einer berühmt gewordenen Wendung sagte, die „aristokratische Form“ der Emigration wählte.

Wenngleich sein Biograph den oppositionellen Charakter dieser Entscheidung etwas zu gering veranschlagt - recht einseitig spricht er von der Armee, „die schon vor 1933 im Geheimen den Weltkrieg plant, deren Offizierscorps alsbald den Eid auf den ’Führer‘ ablegte und Revanche für die Schande von Versailles forderte, was er für „reaktionär“ hält - so muß Raddatz doch mindestens zweierlei zugute gehalten werden: Einerseits nimmt er Benn gegen eine allzu oberflächlich moralisierende Kritik in Schutz, deren Vorwurf, er habe die Werte der Demokratie verraten, schon deshalb fehlgeht, weil Benn niemals Demokrat gewesen, sondern stets seinem „heroischen Nihilismus“ treu geblieben ist. Andererseits benennt er am Beispiel Rousseaus, des revolutionären Tugendterrors und Benns Zeitgenossen Kurt Hillers deutlich auch den aufklärerischen und linken Totalitarismus, die euphemistisch sogenannte „Dialektik der Aufklärung“.

In Rousseau erkennt Raddatz zu Recht den Erfinder des Gulag, den „Begründer des Terreur“ und „geistigen Vater der Guillotine“, und er kann daher über Robespierre und Marx eine Linie zum Autor der Weltbühne Kurt Hiller ziehen, jenem „pazifistischen Heldenliebhaber“ und „sozialen Antisozialisten“, der die Demokratie „den politischen Absolutismus des Durchschnittsmenschen“ schimpfte, von dem Hiller, „der Geistige, Tiefe, der Denker, sich natürlich abhob“. Wie sein Dichterkollege Gottfried Benn, der „Eiter-Geysir“, „Faschist“ und „Vollender der Poesie des 20. Jahrhunderts“.

Fritz J. Raddatz: Gottfried Benn. Leben - niederer Wahn. Eine Biographie. Propyläen Verlag, München 2001, 320 Seiten, geb., 43,03 Mark


 
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