© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Die Realität des Großen Bruders
James Bamford: NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt
Michael Wiesberg

D er Journalist James Bamford gilt als ausgewiesener Kenner des wohl mächtigsten und auch größten Geheimdienstes der Welt, der US-amerikanischen National Security Agency (NSA). Dieser hat durch die Diskussion um das globale Überwachungssystem „Echelon“ auch in Deutschland Bekanntheit erreicht.

Bereits 1982 hat Bamford ein Buch über die NSA veröffentlicht („The Puzz-le Palace“), das in den USA zum Bestseller wurde. Dennoch ist dieser Geheimdienst bis heute eher geheimnisumwittert geblieben. Spötter übersetzen die Abkürzung NSA deswegen auch mit „Never say anything“. Daß deren Spott keineswegs überzogen ist, zeigt zum Beispiel die Tatsache, daß den Mitarbeitern am Hauptsitz in Fort Meade im US-Bundesstaat Maryland monatlich die Strafen für Hochverrat vorgelesen werden. Selbst die sonntäglichen Messen finden auf dem Gelände in einem abhörsicheren Gebäude statt. Wie abgeschottet das NSA-Terrain ist, veranschaulicht Bamfords Beschreibung: „...unweit vom verschlafenen kleinen Weiler Annapolis Junction in Maryland, zweigt eine Spezialausfahrt von der Autobahn für besondere Fahrzeuge ab, die dem Blick des Autofahrers sofort wieder entschwindet. Sie ist gut durch hohe Erdwälle und dicke Bäume getarnt und führt zu einem mit Bewegungsmeldern gespickten Labyrinth von Stacheldrahtzäunen, dicht beieinander liegenden massiven Steinblöcken, hydraulischen Lastwagensperren und dicken Betonbarrieren. Im Falle eines Alarms erscheinen sofort Kommandos in schwarzen paramilitärischen Uniformen mit besonderen Helmen und verschiedenen Waffen.“ Trotz dieser rigorosen Abschirmungsmaßnahmen ist Bamford ein größerer Einblick in die komplexe Welt des NSA gelungen.

Zu den spektakulärsten Passagen des Buches gehört der israelische Angriff auf die „U.S.S. Liberty“ am vierten Tag des Sechs-Tage-Krieges, die mit mehr als 850 Einschlägen aus den Maschinenkanonen angreifender Schnellboote und Jagdflugzeuge völlig zersiebt wurde. 34 US-Bürger starben, 170 wurden verletzt, ein teures Spionageschiff war zerstört. Die Israelis versuchten den Angriff als Versehen zu entschuldigen. Und auch die USA waren auffällig schnell bemüht, die israelische Attacke möglichst herunterzuspielen. Bamford liefert die Erklärung für diesen schwersten Angriff auf ein amerikanisches Schiff in Friedenszeiten seit Pearl Harbor. Seine Recherchen lassen die israelische Version in sich zusammenfallen. Israel hat sich während des Sechs-Tages-Krieges schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht und wollte mit diesem Spionageschiff, das sich in der Nähe eines israelischen Massakers an arabischen Kriegsgefangenen befand, offensichtlich einen potentiellen Mitwisser ausschalten. Washington hatte durchaus Kenntnis von dem Angriff und seinen Hintergründen: Eine Abhörmaschine vom Typ Lockheed EC-121 habe hoch über der „Liberty“ ihre Kreise gezogen und den gesamten Funkverkehr der Israelis mitgeschnitten. Für Militärs und Geheimdienstler ergibt sich aus dem Material, daß die Israelis sehr genau wußten, welches Schiff sie zu versenken suchten.

Aufschlußreich ist die minutiöse Darstellung der Tätigkeitsfelder der NSA, die Horchposten rund um den Globus unterhält, mit U-Booten und antennenbestückten Frachtschiffen auf der Lauer liegt und mit ultrageheimen Flugzeugen und Satelliten Daten für seine elektronischen Überwachungssysteme akkumuliert. Die weltweit größte Ansammlung von Supercomputern und von Mathematikern, Informatikern und Sprachwissenschaftlern, die nahezu alle Sprachen der Welt beherrschen, findet sich in Crypto City. Die unvorstellbaren täglich anfallenden Datenberge werden von Rechnern bewältigt, die inzwischen mehr als eine Billiarde Operationen pro Sekunde ausführen können.

Daß die Geschichte des NSA keinesfalls eine durchgehende Erfolgsgeschichte gewesen ist, verdeutlicht Bamford anhand einer Reihe von Beispielen. So war der NSA während der Kubakrise 1962 völlig entgangen, daß mit den sowjetischen Raketen auch Atomsprengköpfe auf die Insel gebracht worden waren. Das Ausmaß der desolaten Wirtschaftslage des Ostblocks blieb den NSA-Spezialisten genauso verborgen wie das sich ankündigende Ende des Kalten Krieges. Daß ausgerechnet der als High-Tech-Krieg bezeichnete Golfkrieg für die NSA keineswegs ein Ruhmesblatt darstellte, daran läßt Bamford keinen Zweifel aufkommen: „Wir besaßen“, so ein von Bamford zitierter NSA-Mitarbeiter, „nur lückenhafte Erkenntnisse über die Absichten des Irak vor dem Einmarsch in Kuwait, die Fähigkeit des Irak, Sanktionen zu widerstehen, und über den Zustand des irakischen Waffenprogramms.“

Beim Thema „Echelon“ liefert Bamford einen interessanten Hinweis auf einen Mann, der spätestens seit dem 11. September in aller Munde ist: Die Kommunikationsspezialisten der NSA haben auch den Terroristen Osama bin Laden belauscht, wenn er auf seinem tragbaren Inmarsat-Satellitentelefon sprach. Wußte die NSA dennoch nichts von dessen Plänen und Absichten? Trotz des immensen Aufwandes ist der NSA durch Computerisierung, Digitalisierung und Internet an seine Grenzen gestoßen. Die Möglichkeiten der digitalen Verschlüsselung werden mehr und mehr zum Problem. Dazu erschwert der verstärkte Einsatz von Glasfaserkabeln den NSA-Spionen das Leben. Der NSA steht deshalb ein Kurswechsel bevor. Sie will weg von den großen Abhörnetzen, in denen sich Unmengen von elektronischen Kommunikationsfetzen verfangen, die täglich weltweit ausgestrahlt werden. „Daten im Ruhezustand“ heißt das neue Ziel. Mit Hilfe des „Special Collection Service“, einer Geheimtruppe von NSA und CIA, sollen die Spione künftig in die gewaltigen Datenspeicher eindringen. Um auch künftig den exorbitanten Datenstrom bewältigen zu können, den das Informationszeitalter erzeugt, hat der Abhörgeheimdienst in Crypto City eine eigene Computerfabrik errichtet.

Daß trotz dieser „totalen (abhörtechnischen) Mobilmachung“ massive Sicherheitsbedrohungen nicht verhindert werden können, wirft die Frage auf, ob die Arbeit der NSA nicht letztlich eine Sisyphusarbeit ist. Die totale Überwachung ist eine Utopie, an der die NSA zunehmend zu scheitern droht.

James Bamford: NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt. Bertelsmann Verlag, München 2001, 606 Seiten, geb., 68 Mark


 
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