© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Der hochbetagte, ewig junge Vater aller Dinge
Franz Uhle-Wettler: Der Krieg. Gestern, heute - morgen?
Detlef Kühn

Ein Standardwerk der political cor rectness wird dieses Buch des Historikers und ehemaligen Generalleutnants der Bundeswehr Franz Uhle-Wettler nicht werden. Zwar zeugt es von einer enormen Belesenheit des Autors, der sich knapp, aber gründlich mit allen Formen des Krieges seit der Antike bis ins 20. Jahrhundert und vor allem mit der Einstellung der großen Denker ihrer Zeit zum Phänomen Krieg auseinandersetzt. Kriege gehörten seit Urzeiten zu den oft schon als selbstverständlich angesehenen Erscheinungen des politischen und religiösen Lebens.

Ihre furchtbaren Folgen haben aber die intelligenteren unter den Menschen und vor allem diejenigen, die ihre Taten an den Anforderungen ihres Gewissens maßen, schon früh zu Überlegungen veranlaßt, unter welchen Bedingungen und bei welchen Mitteln und Zielen ein solches schreckliches Tun denn zu rechtfertigen sein könnte.

So setzt sich Uhle-Wettler ausführlich mit den Beschränkungen auseinander, denen die Kriegführung schon frühzeitig unterworfen wurde und die sämtlich das Ziel hatten, das offenbar unvermeidliche Elend wenigstens etwas einzuschränken. Allerdings erweist seine Untersuchung, daß Regeln der Kriegführung vor allem dann eingeführt und eingehalten werden, wenn sie Nahestehende, als gleichwertig Anerkannte betreffen. Wird der Krieg dagegen gegen Fremde, vor allem gegen Glaubensfremde, geführt, gelten solche einschränkenden Regeln schon weniger oder gar nicht. Dann fühlt man sich berechtigt, das Land des Gegners ohne Kriegserklärung zu überfallen, es zu verwüsten, seine Frauen zu vergewaltigen und ihn selbst abzuschlachten oder in die Sklaverei zu führen. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert, wie Uhle-Wettler an vielen Beispielen darlegt.

Im Gegenteil - im 20. Jahrhundert wurden viele Einschränkungen, die in den Jahrhunderten zuvor die Kriegführung „ritterlicher“ und damit für Soldaten und Zivilisten erträglicher gemacht hatten, wieder aufgegeben. Den großen Einschnitt bildet für Uhle-Wettler der Erste Weltkrieg, vor allem sein Ende mit dem „Friedensschluß“ von Versailles, der im Gegensatz noch zu dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk nur ein Jahr vorher zwischen dem Deutschen Reich und dem (sowjetischen) Rußland vor allem das Ziel hatte, den Feind Deutschland moralisch zu vernichten, ihn zu demütigen und ihm möglichst jede Chance zu nehmen, in Zukunft wieder gleichberechtigt im Konzert der Mächte mitzuspielen. Uhle-Wettler sieht in dem Verlangen nach bedingungsloser Kapitulation damals und noch mehr im Zweiten Weltkrieg eine ganz wichtige Ursache dafür, daß die Kriegführung immer totaler und damit folgenreicher und länger andauernd wird. Welche andere Chance hat denn der Adressat einer solchen Aufforderung noch als die, sich solange wie irgend möglich gegen diese Zumutung zu wehren? Gegenüber der eigenen Bevölkerung kann man eine solche Strategie, die ja auch von der eigenen Seite erhöhte Opfer verlangt, nur dann vertreten, wenn man den Gegner verteufelt, als Unmenschen oder Untermenschen darstellt und ihn aus der Gemeinschaft der zivilisierten Völker ausgrenzt.

Uhle-Wettler kann mit einer Fülle von Beispielen darlegen, daß ein solches Verhalten nicht nur bei Hitler, Goebbels und Stalin zu finden ist, sondern auch bei Politikern demokratischer Staaten, nicht zuletzt in den USA, die größere Schwierigkeiten haben, ihre Wähler im Kriege bei der Stange zu halten.

Nur so ist ein eigentlich unglaublicher Vorgang wie das gemeinsame „Gebet“ im Januar 1918 (!) zu erklären, in dem der „Allmächtige Gott“ wie folgt informiert wird: „Du weißt, o Herr, daß wir in einem Kampf auf Tod und Leben stehen gegen eine der schändlichsten, gemeinsten, gierigsten, blutdurstigsten, sinnlichsten und sündigsten Nationen, die jemals die Seiten der Geschichtsbücher geschändet haben. Du weißt, daß Deutschland aus den Augen der Menschheit genug Tränen gepreßt hat, um daraus ein neues Meer zu machen, daß es genug Blut gesogen hat, jede Woge auf diesem Meer zu röten, und daß es aus den Herzen von Männern, Frauen und Kindern genug Schreie und Stöhnen gepreßt hat, daraus ein neues Gebirge zu machen ....Wir bitten Dich, entblöße Deinen mächtigen Arm und schlage das große Pack hungriger wölfischer Hunnen zurück“.

Uhle-Wettler meint wohl zu Recht, daß ein derartiges Gebet im deutschen Reichstag unvorstellbar gewesen wäre. Damit sind wir bei dem wichtigsten Grund, warum dieses Buch vor dem Urteil der „politisch Korrekten“ keinen Bestand haben wird. Uhle-Wettler rechnet an keiner Stelle deutsche Untaten gegen die anderer auf. Aber er macht unmißverständlich darauf aufmerksam, daß Beispiele von Unrecht oder wenigstens bedenklichem Verhalten im Krieg in erheblichem Maße auch bei anderen Völkern, nicht zuletzt bei unseren Gegnern der beiden Weltkriege, zu finden sind und zwar sowohl vor wie nach diesen Kriegen. Es handelt sich also um Erscheinungen, die man grundsätzlicher betrachten muß, als es diejenigen tun, die die Quelle aller Übel in der Welt stets erst einmal bei den Deutschen suchen.

Das gilt insbesondere für den Partisanenkrieg, der vor allem im 20. Jahrhundert als Ausfluß des „gerechten“, ideologisch überhöhten Krieges üblich geworden ist. Hier ist das Urteil des alten Soldaten Uhle-Wettler eindeutig: „Falls zukünftige Kriege von Partisanenkriegen begleitet sind, werden sie zu den furchtbarsten der Geschichte gehören.“ Die Terroranschläge vom 11. September, die Uhle-Wettler natürlich nicht antizipieren konnte, haben einer verstörten Weltöffentlichkeit gezeigt, welche Möglichkeiten hier bestehen. Sein Buch ist daher ein hervorragender Einstieg in eine Problematik, die uns in Zukunft leider mehr beschäftigen wird, als viele Gutmenschen derzeit noch für denkbar halten.

Franz Uhle-Wettler: Der Krieg. Gestern, heute - morgen? Verlag Mittler u. Sohn, Hamburg 2001, 208 Seiten, 39,80 Mark


 
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