© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Klaus Wowereit
Rücksichtslos an die Macht
von Ronald Gläser

Es war für Klaus Wowereit eine unmögliche Aufgabe, als Sieger aus dieser Wahl hervorzugehen. Gemeint ist die Eroberung seines Wahlkreises. Tempelhof-Lichtenrade, die politische Heimat des Berliner Bürgermeisters, ist eine der CDU-Hochburgen der Stadt. Erwartungsgemäß obsiegte hier der 30jährige Unionsmann Nicolas Zimmer.

Klaus Wowereit kommt in gesellschaftlicher wie politischer Hinsicht aus kleinen Verhältnissen. Das neue Stadtoberhaupt ist in Tempelhof großgeworden, wo für die CDU bayerische Verhältnisse herrschen. Den in der Diaspora befindlichen Sozialdemokraten stand zeitweise nur ein einziger Stadtrat in diesem Bezirk zu. Diesen Posten übernahm zehn Jahre lang der Genosse Wowereit, bis er sich ins Abgeordnetenhaus wählen ließ. Dort profitierte er von der Feuertaufe, die er als Führer einer hoffnungslos unterlegenen Truppe über sich hatte ergehen lassen.

Die Spitzen der Berliner SPD, von Peter Strieder und Walter Momper bis hin zu Klaus Böger und Ingrid Stahmer, waren im Kampf gegen Eberhard Diepgen gescheitert. Sie blieben erfolglos, weil sie soviel Anstand besaßen, eine Koalition mit der PDS auszuschließen. Dies zwang die einstmals so mächtige Berliner Sozialdemokratie in die babylonische Gefangenschaft der Union. Die negativen Erfahrungen mit dem ersten rot-grünen Senat von 1989/90 erstickten zusätzlich jede aufkeimende Hoffnung auf eine eigene Mehrheit.

Klaus Wowereit stieg in der Fraktion blitzschnell zum Vorsitzenden auf. Er hatte ein Konzept, das er in Windeseile umsetzte. Steigende Umfragewerte - und nicht etwa der Skandal um die Bankgesellschaft Berlin - gaben ihm den Anlaß, den Sirenengesängen der SED-Nachfolger nachzugeben. Alle Kritik am neuen Volksfront-Bündnis schob der 48jährige beiseite. Der Unmut über die Rolle der PDS als Königsmacher versandete, und Wowereit konnte seine Partei aus der Ohnmacht der Großen Koalition befreien und an die Spitze der Macht zurückführen.

„Politik verdirbt den Charakter“, sagt der Volksmund. Klaus Wowereit wird dies für sich kaum gelten lassen, weil die Macht ja nun in guten Händen liegt. Tatsache ist aber, daß in der einst geteilten Stadt Charakter- und Geschichtslosigkeit über Anstand und Moral triumphiert haben.

Dies verdeutlicht auch der zweite Tabubruch, den Wowereit zu verantworten hat: sein geradezu peinlicher Versuch, seine sexuellen Präferenzen zu instrumentalisieren. Solche Fragen im Wahlkampf anzusprechen, verbietet eigentlich der politische Anstand. In der Hoffnung, die CDU vorzuführen, hat Wowereit seine Neigungen von sich aus thematisiert. Doch eine angemessene Reaktion des politischen Gegners blieb aus. Sein öffentliches Bekenntnis ist symptomatisch für die neue Stilrichtung in der bundesdeutschen Politik. Diese repräsentiert niemand besser als Klaus Wowereit.


 
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