© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Kein Ghandi in Generalsuniform
Israel: Der hinterhältige Mord an Minister Zeevi stärkt die orthodoxen Kräfte im Heiligen Land
Ivan Denes

Mit der Ermordung des israelischen Tourismusministers Rehavam Zeevi verschwindet eine der letzten bedeutenden Figuren der „Gründerzeit“ von der politischen Bühne. Außer ihm ist nur noch Premier Ariel Sharon von jenen Kämpfern des Eliteverbands „Palmach“ übriggeblieben, die schon im Unabhängigkeitskrieg 1948 gekämpft haben und danach, als hochrangige Militärs im Ruhestand, die politische Szene Israels entscheidend prägten. Zu diesen Männern gehörten Itzhak Rabin, Jigal Alon und der legendäre Verteidigungsminister Moshe Dayan.

Zeevi, Jahrgang 1926, war Sproß einer Familie, die schon seit der sechs Generationen in Jerusalem gelebt hatte. Von seiner Kindheit an wuchs er mit Arabern zusammen auf, was entscheidend seine Denkweise prägte. Während seiner Zeit im kämpfenden Untergrund, vor der Staatsgründung, trug der damals noch hagere, hochgewachsene Mann dieselbe Kluft wie der große Mann Indiens, was ihm den Spitznamen „Ghandi“ einbrachte.

Aber Israels „Ghandi“ war kein Freund des passiven Widerstandes: Er beendete seine militärische Laufbahn als Generalmajor und Oberkommandant des Zentralen Abschnittes. Er nahm an mehr als 120 Zusammenstößen mit Terroristen teil, die damals aus Jordanien eindrangen. Ähnlich wie die meisten „Palmach“-Angehörigen fand Zeevi seine erste politische Heimat in der sozialistischen Arbeiterpartei. Was heutzutage weitgehend ignoriert wird, ist, daß die damaligen Ideologen der Arbeiterpartei - beeindruckt von dem Erfolg der griechisch-türkischen „Umsiedlungsaktion“ nach Kemal Atatürks Sieg in den zwanziger Jahren - für eine Umsiedlung der Araber aus Palästina plädierten. „Im Lande Israel ist kein Platz für zwei Völker“ - diesem Grundsatz blieb Zeevi bis zu seinem Tode treu. Daher traktierte er mit Zwischenrufen im Parlament die Palästinenser als „Ungeziefer“ oder „Krebsgeschwür“. Arafat war für ihn ein „Kriegsverbrecher“, Ägyptens Präsident Husni Mubarak nannte er einen „Lügner“, Ex-US-Präsident George Bush schimpfte er einen „Antisemiten“. Ex-Premier Rabin entgegnete er nach dem Abzug israelischer Truppen aus Teilen des Westjordanlandes: „Dies ist eine Regierung von Wahnsinnigen, die den nationalen Selbstmord beschlossen hat“.

Der Gedanke einer „ethnischen Säuberung“ beherrschte programmatisch auch die inzwischen verbotene rechtsextreme Bewegung „Kach“ des später ermordeten Rabbi Meir Kahane - weshalb Zeevis linke Gegner ihn als „Kahane in Generalsuniform“ titulierten. Doch Ex-General Zeevi war auch ein Mann, der für die arabischen Beduinen sorgte, die unter seinem Kommando dienten: Er ließ Siedlungen für sie und ihre Familien bauen.

Nach seinem Ausscheiden aus der Armee 1974 diente Zeevi als Antiterrorismus-Berater mehreren Ministerpräsidenten, bis er 1977 in die Politik ging. Zunächst war er in der rechtsradikalen „Tehija“-Partei von Geula Cohen und Juval Neeman zu finden. Dazu muß man wissen, daß die israelische Parteienlandschaft ganz spezifische Züge hat. Vor und nach jeder Wahl finden Neugründungen und Zusammenschlüsse, aber auch Zersplitterungen statt - besonders im rechten Spektrum. Selbst der große Rechtsblock „Likud“ bildete sich aus dem Zusammenschluß von „Herut“ und Liberalen. Was nicht verhinderte, daß eine Herut-Splittergruppe (deren Anführer der bekannte Abgeordnete Michael Kleiner ist, der die Claims Conference mit dem „Judenrat“ der NS-Jahre verglich) auch heute noch in Opposition zur Likud-Regierung im Parlament sitzt. Es gibt auf dem rechten Flügel der israelischen Politik gleich vier religiöse Parteien und zwei Parteien der russischen Einwanderer - „Israel Baalija“ des Natan Scharanskij und „Israel Beitenu“ des Avigdor Lieberman. Zeevi ging in die Wahlen von 1988 unter dem Banner der „Moledet“ (Vaterland), ging nach dem Wahlsieg Ariel Sharons in eine Allianz mit der Lieberman-Partei unter dem Namen „Nationale Einheit“ und trat in die Regierung ein. Im Kabinett behauptete sich Zeevi als Dauergegner des sozialistischen Außenministers Shimon Peres, den er wegen seiner anhaltenden Kompromißbereitschaft gegenüber den Palästinensern als idealistischen Traumtänzer betrachtete.

Eigentlich war Zeevis Grundposition sehr nahe an der Ariel Scharons. Bis zum formellen Friedensschluß mit Jordaniens König Hussein vertrat Sharon die Ansicht, es gäbe schon einen Palästinenserstaat: die Palästinenserflüchtlinge stellen die Mehrheit der Bevölkerung Jordaniens.

Als er das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, mußte Sharon - unter dem Druck der Verantwortung und einer weniger proisraelischen Regierung in Washington - auf zahlreiche Kompromisse eingehen. Dazu gehörte jüngst der Abzug der Truppen von zwei Hügeln, von denen aus Scharfschützen immer wieder auf jüdische Siedler in Hebron schossen. Das war für Zeevi (und Lieberman) zuviel, sie kündigten am 15. Oktober ihren Rücktritt aus der Regierung an. Das israelische Gesetz schreibt vor, daß ein Ministerrücktritt erst 48 Stunden nach Ankündigung in Kraft tritt: Zur Mittagszeit am 17. Oktober wäre Zeevis Ausscheiden aus der Sharon-Regierung fällig gewesen. Doch am Morgen des 17. wurde er auf dem Korridor der VIP-Etage des Hyatt Hotels in Ostjerusalem - dort wohnen zahlreiche Parlamentarier aus der Provinz, wenn die Knesset tagt - von Mitgliedern der marxistischen „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) ermordet: Er lehnte Leibwächter und Schutzweste ab.

Zeevi war ein aufrechter Mann, der aus seinem Herz nie eine Mördergrube machte, und landesweit bekannt und beliebt, obwohl seine Partei nie einen Massenerfolg errang. Doch wenn nun die Regierung Sharon zerbrechen sollte und Neuwahlen folgen, würde die Arbeiterpartei eine endgültige Bruchlandung erleben, es würde ein massiver Rechtsruck eintreten. Wahrscheinlich würde Benjamin Netanjahu - Sharon ist ja schon 73 - ans Ruder zurückkehren und die Verträge von Oslo endgültig zu Grabe getragen, wie es der „Falke“ Zeevi immer gefordert hatte.


 
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