© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
„Wir leben in einem Parteien- und Medienstaat“
Politikwissenschaft: Eine Tagung in Speyer beleuchtete Gefährdungen der Demokratie / Demographische Katastrophe führt zum Kollaps des Sozialstaates
Hans-Jürgen Hofrath

Ist unser politisches System - insbesondere in seiner Ausprägung als Parteienstaat (oder Sozialstaat) - prinzipiell noch reform- und somit überlebensfähig? Falls ja, welche Auswege eröffnen sich? Diesen Fragen, die oft weniger ein Erkenntnis- als ein Umsetzungsproblem aufwerfen, widmete sich ein zweitägiges Forum in der renommierten Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

Die Tagung stand unter der fachkundigen Ägide des bekannten Parteienkritikers und Buchautors Hans-Herbert von Arnim („Das System - Die Machenschaften der Macht“), nach dessen Überzeugung die Einführung plebiszitärer Elemente wie Volksabstimmungen auch auf Bundesebene unverzichtbar ist. Zudem nahmen weitere prominente Experten vor einem aus 125 Teilnehmern bestehenden Auditorium, darunter zahlreiche Abgeordnete, Ministerialbeamte, Anwälte, Richter und Publizisten, zu der facettenreichen Thematik Stellung. Mit anregenden und kritischen Diskussionsbeiträgen wurde nicht gespart.

Jochen Frowein etwa - Völkerrechtler und einer der berüchtigten „Drei Weisen“, die Österreich im EU-Auftrag auf demokratische Defizite hin abklopfen sollten - machte exemplarisch auf einen Mißstand aufmerksam: den Versuch der amtierenden Bundesregierung nämlich, aufgrund parteipolitischen Kalküls ihren nach Meinung des dortigen Präsidialrates fachlich ungeeigneten Kandidaten beim Bundesgerichtshof durchzudrücken. Ein Unterfangen, dem ein OVG-Grundsatzurteil einen juristischen Riegel vorschob.

Während dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerald Häfner - ebenso wie von Arnim - mehr an der Implementierung von Volksentscheiden (sogar bei der Steuergesetzgebung) sowie dem bislang nur auf kommunaler Ebene möglichen Kumulieren und Panaschieren auch auf Bundesebene zwecks machtpolitischer „Ent-Monopolisierung“ gelegen war, nahm Meinhard Miegel, Leiter des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, die sozialstaatliche Schieflage des Gemeinwesens in den Blick. Der demographischen Katastrophe folge unweigerlich der Kollaps des Sozialstaates, wenn dieser - derzeit noch ein „Instrument der Herrschaft“ - sich statt einer umfassenden Lebensstandardgarantie nicht auf die Existenzsicherung beschränke, um der Bürgergesellschaft eine „Wiedervergesellschaftung der sozialen Kategorie“, etwa der Alterssicherung, aufzutragen.

Die Notwendigkeit einer radikalen Vereinfachung des Steuerrechts wiederum war für Peter Bareis - Mitglied einschlägiger Sachverständigen-Kommissionen - eine Herzensangelegenheit. Er plädierte für eine Indexierung des Steuertarifs, um sogenannte inflationsbedingte „versteckte Steuererhöhungen“ künftig auszuschließen.

Breiten Raum nahmen auch die Dauerthemen „Ämterpatronage“ und „Parteienfinanzierung“ ein; erhöhte Transparenz der Einnahmen, Begrenzung von Individualspenden und Spendenverbot für öffentliche Unternehmen wurden postuliert. Im Interesse allgemeiner Chancengleichheit wurde die grundsätzliche Berechtigung staatlicher Parteienfinanzierung weitgehend einvernehmlich gesehen. Gerade auch kleinen oder neuen Parteien - wie der Schill-Partei - seien reelle „Marktchancen“ einzuräumen.

Thematisiert wurde auch die Stellung der Medien als nicht demokratisch legitimierter „Vierter Gewalt“ im Staat und der hiermit einhergehenden Ohnmacht der Medien-Rezipienten. Da wir es insoweit nicht nur mit einem Parteien-, sondern auch mit einem „Medienstaat“ zu tun haben, wäre den Veranstaltern zu wünschen, diesem Thema künftig vielleicht ein eigenes „Demokratieforum“ zu widmen - oder ein diesbezügliches Forschungsprojekt innerhalb der Speyerer Hochschule zu initiieren. Ein sicherlich mindestens ebenso ergiebiges und spannendes Sujet wie das Parteienwesen - und ebenso reformbedürftig.


 
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