© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Die Zweifel am Afghanistan-Abenteuer wachsen
USA: Rechte wie linke Politiker und Publizisten kritisieren die aktuellen Militärschläge und die „Allianz gegen den Terror“
Gustaf Domberg

Den Zuschauern des amerikanischen Fernsehkanals „Fox“, der in puncto unreflektierter patriotischer Programmgestaltung im Zeichen des „Krieges gegen den Terror“ sogar CNN und NBC in den Schatten stellt, bot sich dieser Tage ein nicht alltägliches Bild. Ein junger, militant wirkender Moderator interviewte Pat Buchanan, den konservativen, wegen seiner „rechten“ Ansichten oft attackierten Ex-Republikaner und US-Präsidentschaftskandidaten der Reformpartei im Jahre 1999.

Welch seltsame Wendung: Der junge, ungeduldige Moderator forderte, daß die USA nicht nur die Taliban in Afghanistan, sondern womöglich auch noch den Irak, Iran, Sudan, Algerien und Libyen bombardieren müßten. Sein Argument: Alle diese Staaten und Regimes verfügten über atomare und biologische Waffen und würden diese eines Tages gegen den Westen und besonders die USA einsetzen.

Pat Buchanan, Wortführer der „christian coalition“, widersprach dem bombardierlustigen jungen Moderator energisch. Erstens, so sagte er, sei Amerika in der Vergangenheit mit atomar und biologisch aufgerüsteten Gegnern fertig geworden - etwa der Sowjetunion, aber auch dem Irak (während des Golfkrieges) -, die diese furchtbaren Waffen nicht eingesetzt hätten, „weil sie wußten, was sie in einem solchen Fall von amerikanischer Seite erwartet“. Zweitens würde, so der einstige Berater von US-Präsident Richard Nixon, eine Politik, wie sie der „Fox“-Moderator vorschlage, zu einem Konflikt der USA mit der gesamten islamischen Welt führen - und das könne doch wohl nicht der Sinn eines Feldzuges gegen den Terrorismus sein. Seit dem 11. September haben sich die Vorzeichen geändert: der „Rechtsaußen“ Buchanan agiert behutsam, mit einem gewissen Einfühlungsvermögen für die islamische Seite. Dagegen schlug der Moderator - ein typisches Produkt des mainstream-Amerikanismus - kriegerische, fast aggressive Töne an.

Diese Verkehrung der Fronten setzt sich im gesamten publizistischen und teils auch literarischen Spektrum fort. Eine prominente US-Feministin sagte, gleichfalls bei Fox, sie sei zwar für eine Bekämpfung des Terrors, befürchte aber einen Verlust bürgerlicher und demokratischer Freiheiten in den USA. Der bekannte Kolumnist William Pfaff (u.a. Los Angeles Times) bezeichnete die US-Taktik, durch massive Bombenangriffe eine Situation herbeizuführen, in der mögliche Deserteure aus den Reihen der Taliban oder dissidentische Stammesgruppen den Erdkampf für Amerika führen könnten, als falsch. Der US-Luftwaffe müsse längst klar sein, daß „Bombenangriffe gegen einen technisch nicht sehr komplizierten, aber hoch motivierten Gegner nicht wirksam sind“. Schon im Kosovo habe sich, entgegen aller Behauptungen der Nato, die serbische Armee „zum Verzweifeln gut gehalten“. Nicht wegen der Nato-Luftschläge habe Serbien kapituliert, sondern weil Rußland die Belgrader Führung aufgefordert habe, aufzugeben.

Schließlich gebe es einen „natürlichen Widerwillen“ auf der Seite der Anti-Taliban-Afghanen, sich als Stellvertreter für eine US-Armee töten zu lassen, „deren Mission vor allem darin besteht, ihre eigene Sicherheit durchzusetzen“. Und sollte die Nord-Allianz überhaupt „wirklich kämpfen wollen“, erwarte sie von den USA Belohnungen, welche diese ihr keineswegs zugestehen wollten. Das Zögern des Pentagon resultiere nicht nur aus einer „Allergie gegenüber eigenen Verlusten“, sondern auch aus der Erkenntnis, daß ein Bodenkrieg im kommenden afghanischen Winter nicht der ultramodernen US-Armee, sondern der „asymmetrischen Kriegführung“ der Taliban Vorteile verschaffe. Pfaff warnt davor, daß die öffentliche Unterstützung für die US-Militäraktion abbröckeln könne. Wörtlich: „Die amerikanische Öffentlichkeit will einen Sieg über den Terrorismus, wie ihn Präsident Bush versprochen hat. Sollte sich der afghanische Krieg ohne Sieg in den Winter hineinziehen und der Terroristenführer nicht gefangen werden, dann ist es unwahrscheinlich, daß die jüngsten Warnungen des Präsidenten - daß der Kampf lange dauern könne - die öffentliche Meinung zufriedenstellen“.

Kolumnist Thomas I. Friedman von der New York Times macht sich über die neuen Verbündeten der USA lustig: „Mit solchen Alliierten wären die USA und Großbritannien besser dran, wenn sie alleine blieben“. Dann zeichnet der US-Kolumnist folgendes Bild: „Pakistan wird uns erlauben, seine Stützpunkte am Montag, Mittwoch und Freitag zu benutzen, unter der Bedingung, daß wir nur solche Talibane bombardieren, die keine Vettern im pakistanischen Geheimdienst haben. Indien ist jeden Dienstag und Freitag auf unserer Seite, vorausgesetzt, es kann an allen anderen Tagen die pakistanischen Truppen in Kaschmir beschießen. Ägypten ist jeweils am Sonntag mit uns, vorausgesetzt, wir erzählen niemand, daß wir den Ägyptern jährlich zwei Milliarden Dollar an Hilfe zahlen. Jassir Arafat ist nur nach 22 Uhr auf unserer Seite, wenn jene Palästinenser, die vor Freude über den Angriff auf das WTC auf den Straßen tanzten, bereits ins Bett gegangen sind. … Israel ist auf unserer Seite, vorausgesetzt wir stellen den Wahnsinn von siebentausend israelischen Kolonial-Siedlern nicht infrage, die mitten unter einer Million Palästinensern im Gaza-Streifen leben…“

Zum Schluß nimmt sich der Amerikaner Friedman die Saudis vor: Sofort nach den Attentaten vom 11.September habe die saudi-arabische Botschaft in Washington im Eilverfahren alle Verwandten des Osama bin Laden, die sich in den USA aufhielten, in einer privaten saudischen Düsenmaschine ausgeflogen, bevor das FBI sie ordnungsgemäß verhören konnte.

Fazit des New York Times-Autors: „Amerikanische Landsleute, ich muß es euch sagen - außer den guten, alten Briten stehen wir ganz allein da“. Die International Herald Tribune zitierte am 27. Oktober einen Kommandeur der „Nord-Allianz“, der gesagt habe: „Wenn das (amerikanische) Bombardement so weitergeht wie bisher, wird die Kampfmoral der Taliban sehr hoch sein“. Die amerikanischen Bomben - so heißt es in der Überschrift des Artikels der Herald Tribune - richteten nichts aus.

Den US-Medienkonsumenten wird seit einigen Tagen (bewußt oder unbewußt) der Eindruck vermittelt, daß in Afghanistan vieles nicht so läuft, wie die US-Führung angenommen hatte. Geradezu Berühmtheit erlangte der US-Konteradmiral John D. Stufflebeem vom Pentagon mit seiner Erklärung, die Taliban seien weitaus zähere Kämpfer, als dies die Amerikaner erwartet hätten. Und wie ein Menetekel wirkte die Erklärung des Chefs der pakistanischen Militärregierung, der davor warnte, die Amerikaner würden sich in Afghanistan immer tiefer in eine ausweglose Situation verstricken.


 
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