© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Urteil des Unrechts
Die Verfassungsgerichtsurteile von 1991 und 1996
Karl Doehring

Im November des Jahres 2001 könnte man ein makabres Jubiläum begehen. Seit zehn Jahren weigert sich die deutsche Staatsgewalt, das von der kommunistischen Regierung der ehemaligen DDR und der ehemaligen Sowjetunion in den Jahren 1945 bis 1949 entschädigungslos durch eine sogenannte „Bodenreform“ enteignete Vermögen den Enteigneten zurückzugeben. Jubiläumsträchtig sind diese zehn Jahre deswegen, weil 1991 das Bundesverfassungsgericht - trotz ausdrücklicher Bestätigung des völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Unrechts der Kommunisten - entschied, daß dieses Unrecht bestehen bleiben dürfe. Diese erste Entscheidung im Jahre 1991 berief sich darauf, daß die Bundesregierung habe annehmen dürfen, Rußland werde der Wiedervereinigung Deutschlands nicht zustimmen, wenn diese Bodenreform durch Rückerstattung des konfiszierten Vermögens „rückgängig“ gemacht würde. Der Bestand einer solchen von der Bundesregierung geltend gemachten Bedingung wurde eindeutig widerlegt. In einer zweiten Entscheidung im Jahre 1996 hat das Bundesverfassungsgericht erkennen lassen, daß diese Bedingung vielleicht nicht bestanden habe, daß aber die Bundesregierung ihren Bestand dennoch habe ermessensfehlerfrei annehmen können. Auch sei der soziale Friede im östlichen Teil Deutschlands in hohem Maße gefährdet, wenn das so entstandene „Volkseigentum“ wieder aufgegeben würde, einschließlich der Vermögenswerte, die in Staatshand verblieben seien und die so gar nicht an einer Bodenreform im eigentlichen Sinne teilgenommen hätten. Spätestens 1996 hätte das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung anerkennen können und müssen, daß die Bedingung der Nichtrückgabe gar nicht bestand. Dennoch entschied im November 2000 nun endgültig das Gericht in einer dritten Entscheidung, daß jedenfalls dann, wenn eine Restitution des völkerrechtlich kriminell entzogenen Vermögens stattfinden würde, diese für den gesamten deutschen Staat eine finanziell nicht tragbare Last bedeute. Der Umstand, daß der deutsche Staat durch kommunistisches Unrecht letztlich auf Kosten der Enteigneten bereichert wurde, spielte in diesen Erwägungen keine Rolle. Im Jahre 2001 - und damit rundet sich die Zeitspanne von zehn Jahren ab - erhoben die Betroffenen gegen diese Entscheidung Beschwerde vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, denn wenn - so das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts - das deutsche Recht trotz des unbestritten begangenen Unrechts nicht verletzt sei, was jeder Rechtslogik entbehrt, so doch die Europäische Menschenrechtskonvention, die sowohl entschädigungslose Enteignung verbietet als auch die Diskriminierung von Individuen. Ihnen war seinerzeit mit der Begründung ihr Eigentum entzogen worden, sie seien „Kriegsverbrecher“, nach sozialistischer Auffassung auch Inhaber von eigentlich dem Volk zustehenden Vermögenswerten und also nicht schutzwürdig. Es ist zu hoffen, daß der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes anordnet. Geschieht das nicht, erscheinen alle emphatischen Deklamationen zur Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit unglaubwürdig.

 

Prof. Dr. Karl Doehring war Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen