© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Schulterschlüsse allerorten
Afghanistan-Krieg: Auf der politischen und publizistischen Linken tritt zunehmende Verwirrung auf
Michael Wiesberg / Jörg Fischer

Nach einer aktuellen Meinungsumfrage zu den Luftangriffen der USA gegen Afghanistan stimmten zwei von drei SPD-Sympathisanten dem Vorgehen der USA zu. Ein Urteil, das etwa nur von jedem vierten Anhänger der Bündnisgrünen geteilt wird. Nur jeder fünfte Wähler der Grünen schließt sich der Meinung des Bundeskanzlers an, die Luftschläge in Afghanistan fortzusetzen. Noch geringer ist die Unterstützung aus den Reihen der PDS-Sympathisanten, von denen nur 18 Prozent die Auffassung von Gerhard Schröder teilen.

Je länger der Krieg der USA gegen Afghanistan andauert, desto unsicherer wird die Haltung der Linken in Deutschland zu den Vergeltungsaktionen der USA. Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen, hat diesem steigenden Unbehagen Ausdruck verliehen. In einem Gespräch mit Spiegel-Online am Mittwoch vergangener Woche erklärte sie, daß ohne sofortige humanitäre Hilfe für Afghanistan der „fragilen Region ein Flächenbrand“ drohe. Wenn die Menschen millionenfach verhungerten, würde dies den Terroristen „neue Anhänger regelrecht zutreiben“. Es gehe jetzt um das Leben von Millionen, betonte Roth. Nach Ansicht der Grünen-Chefin habe die Anti-Terror-Koalition nur Bestand, wenn sie für die zivile Bevölkerung in Afghanistan auch eine „Koalition der Humanität“ sei.

Die neue Unübersichtlichkeit, die der 11. September 2001 mit sich gebracht hat, hat bei vielen Linken offenbar eine Art Orientierungskrise ausgelöst. Da den USA von Seiten der rot-grünen Regierung die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands zugesichert worden ist, ist Kritik an deren Vorgehen nur noch schwer zu vermitteln. Bleibt als Ausweg nur noch der Verweis auf die „Humanität“. Linke Frontfrauen wie Claudia Roth plädieren deshalb für eine Kombination aus Bombenteppichen und Brotpaketen, damit der „Humanität“ Genüge getan und das eigene fragile Gewissen beruhigt wird.

Von ganz anderem Kaliber ist da „Die Grüne Austrittsbewegung - olivgrüner wird es mit uns nicht!“ (E-Post: waf-info@web.de ). Hier versammelt der Ex-Grüne Hans-Joachim Werner aus dem rheinländischen Wiehl grüne Dissidenten: So zum Beispiel fünf Ex-Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft, die aus der „olivgrünen FDP“ ausgetreten sind oder Frank Prüfer aus Leipzig. Der Diplomingenieur meint: „Ich habe schon zu DDR-Zeiten als junger Mensch im Alter von 18 Jahren alles Geld, das ich damals besaß auf dem Schwarzmarkt in DM umgetauscht, nur um damit einen bekannten Medizinprofessor bestechen zu können, damit ich ein wasserfestes ärztliches Attest für die dauernde Befreiung vom Zwangsdienst in der Nationalen Volksarmee bekommen konnte, denn eines kam für mich definitiv nicht infrage: mit der Waffe auf andere Menschen zuzugehen, um diese dann zu ermorden! … Ich bin in Eure Partei eingetreten, weil ich aus dem Bereich der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR kam, deren Motto bekanntlich ‘Keine Gewalt!‘ lautete. Ich habe dem schönen Schein der Bündnisgrünen vertraut: gewaltfrei, ökologisch, sozial und basisdemokratisch zu sein. Auch das Bundestagswahlprogramm 1998 las sich noch so schön …, doch mit dem Beginn der Regierungsbeteiligung der Grünen auf Bundesebene gingen mir die Augen auf.“ Das die PDS jetzt „Schluß mit dem Krieg in Afghanistan“ und „keine deutsche Beteiligung an Militäraktionen“ fordert, wird Prüfer schmerzen. Doch ein „Friedensbündnis der „Anti-OlivGrünen“ mit der PDS erscheint logisch.

Ein Spiegel der derzeitigen Unübersichtlichkeit bietet die aktuelle November-Ausgabe der Hamburger Linksaußen-Postille Konkret, die bereits auf der Frontseite, mit „Hoch die internationale Solidarität gegen den Terror?” Zweifel an dem internationalen Schulterschluß mit den USA anmeldet. Konkret, eine Art Amtsblatt marxistischer Sektierer und germanophober Zeloten, bietet diesmal die Creme de la Creme seiner Autoren auf, um der neuen Lage analytisch Herr zu werden. Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza unternimmt in seinem Beitrag eine Art theoretische Vermessung des Schlachtfeldes. Ein Stoppschild gegen linke Ressentiments in Sachen US-Imperialismus errichtet Gremliza, wenn er dekretiert: „Der Anschlag auf das World Trade Center war auch ein antisemitischer. Die Antwort der Welt, die zivilisiert zu nennen nur Zynikern einfällt, ist eine Kampagne, die sich gegen Israel richtet.“ So kommt es, daß Castro-Freund Gremliza zum Apologeten des „rechtsradikalen“ israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon werden kann, der selbst noch Scharons abwegigen Vergleich mit „München 1938“ zu rechtfertigen weiß.

Cherchez l’allemand - unter dieses Motto könnte man den Beitrag des Altmarxisten Thomas Ebermann stellen, der den vermuteten oder tatsächlichen (pekuniären) Ambitionen nachspürt, die die Deutschen in der neuen Weltordnung verfolgen. Deutsche Geschäfte mit Schurkenstaaten wie Lybien oder dem Irak könnten in Zukunft leiden, weil die Amerikaner deutsche Geschäftemacher im Namen der Anti-Terror-Kampagne in die Schranken weisen könnten. Ebermann sieht hier einen massiven Interessenkonflikt: „Die deutsche Mahnung, die Amerikaner mögen nicht unbesonnen handeln“, habe eben auch die Übersetzung: „Uns (Deutsche, d.V.) von solchen Geschäften abzuhalten, wäre Abenteurertum.“

Die von Gremliza vorgegebene antisemitische Komponente des Anschlages vom 11. September wird von Matthias Küntzel theoretisch vertieft, indem er Analogien zwischen Djihadismus und Nazismus aufzuzeigen versucht. Beide eine ein „wahnhafter Reflex“, der „Juden und kapititalistische Moderne“ gleichsetze. Dabei spart Küntzel nicht mit Kritik an den Positionen der extremen Linken, wie sie zum Beispiel in der Wochenzeitung Freitag ihren Niederschlag gefunden haben, die den Kampf gegen den Djihadismus zur alleinigen Angelegenheit der USA erklärte. Daß eine derartige Position „im Land der Mörder“ „einen moralischen Bankrott“ darstellt, daran läßt Küntzel keinen Zweifel aufkommen: „Anstatt gegen massenmörderische Antisemiten zu mobilisieren ... wird in Sachen Feindmarkierung mit ihnen der Schulterschluß praktiziert.“ Ob Küntzel bewußt ist, daß er den Freitag mit dieser Einschätzung in die Nähe der Positionen von Horst Mahler rückt?

Die Extreme berühren sich - Horst Mahlers Name, der implizit bei Küntzel bereits mitschwingt, fällt explizit in einer kritischen Auseinandersetzung des Kampfes der Linken gegen den US-Imperialismus. Der Autor Günther Jacob liest aus den Motiven dieses Kampfes eine antisemitische Stoßrichtung heraus: „Durch die Selbstverständlichkeit, mit der der linke Amtiimperialismus positiv auf ‚Völker’ und ‚Nationen’ wie auf ‚organisch’ gewachsene Gegebenheiten Bezug nahm ... entwickelte sich der Antiimperialismus schon bald zu einem Konglomerat aus nationalistischen Mythen ... und fragwürdigen Bündnissen mit reaktionären politischen Kräften.“ In den zentralen Kategorien dieser Weltanschauung, die Jacob mit „Parasitismus“ und „Finanzkapital” umschreibt, steckte immer auch antisemitisches Potential. Nur vor diesem Hintergrund, so legt Jacob nahe, lasse sich eine Entwicklung wie die von Horst Mahler nachvollziehen. Die Gründe des Hasses auf Israel und die USA schreibt Ralf Schröder in seinem Beitrag insbesondere Deutschland und Frankreich zu. Diese hätten sich nach dem Golfkrieg „mit ihrem moderaten Verhalten gegenüber dem Irak, dem Iran und den Palästinensern als Alternative zu den USA“ empfohlen. Welches Verhalten, so muß gefragt werden, wäre denn nach Schröder angemessen gewesen?

Daß es in der neuesten Konkret-Ausgabe auch lesbare Beiträge gibt, ist insbesondere Jürgen Elsässer, der sich mit der Rolle der Mudschaheddin auf dem Balkan beschäftigt, und vor allem Robert Kurz zu verdanken, der einen diskussionswürdigen Beitrag über den „Todestrieb der kapitalistischen Vernunft“ beisteuerte. Insgesamt spiegelt aber Konkret einmal mehr analytische Impotenz, die sich vor allem der schon ans Lächerliche grenzenden Germanophobie ihrer Autoren verdankt. Der hier einmal mehr dokumentierte „verklemmte deutsche Selbsthaß“ (Botho Strauß) ist nach wie vor für weite Teile der deutschen Linken konstitutiv.


 
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