© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Der Sieg im Wochenbett
Mazedonien: Nur eine staatliche Trennung von den Albanern kann den dauerhaften Bestand slawischer Balkanstaaten sichern
Carl Gustaf Ströhm

Die Akademie der Wissenschaften Mazedoniens in Skopje hat ein Sakrileg begangen: In einer wissenschaftlich begründeten Studie machte sie den Vorschlag, die Republik Mazedonien sollte mit Albanien und Griechenland in Verhandlungen über einen Austausch von Territorien treten. Diese Nachricht hat besonders unter den westlichen Diplomaten in Skopje wie eine Bombe eingeschlagen - würde doch damit das von der OSZE propagierte Prinzip von der „Unverletzlichkeit“ (oder gar „Unveränderbarkeit“) von Grenzen - eine „Heilige Kuh“ auch der EU-Politik - kurzerhand über den Haufen geworfen.

Nachdenkliche Beobachter der Entwicklungen rund um Mazedonien vertreten schon seit langem die Auffassung, daß sich die heutigen Staatsgrenzen im Dreieck zwischen Kosovo, Mazedonien und Albanien auf längere Sicht nicht aufrechterhalten lassen. Selbst die Anwesenheit von Nato-Truppen unter Bundeswehr-Kommando dürfte daran nichts ändern.

Eine besondere Dynamik weist die demographische Entwicklung der albanischen Volksgruppe in Mazedonien auf. Im Jahre 1900 betrug die Zahl der Albaner noch etwa neun Prozent der Bevölkerung des heutigen Mazedonien. 1953 war sie auf 13 Prozent angewachsen, 1971 auf 17 Prozent, 1981 auf 20 Prozent und 1994 auf offiziell 23 Prozent. Inzwischen dürfte sich diese Zahl weiter erhöht haben. Mancherorts wird bereits von 30 Prozent gesprochen. 1988, also noch vor dem Auseinanderbrechen Tito-Jugoslawiens, veröffentlichte der mazedonische Ethnograph J. Trifunovski ein Buch mit dem Titel „Die albanische Bevölkerung in Mazedonien“. Hier stellte der Autor fest: „Im kommenden Zeitabschnitt wird sich die albanische Bevölkerung schnell entwickeln, denn sie lebt vorwiegend in ländlichen Siedlungen, verfügt über einen besonders integren Typus von Familien mit hoher Geburtenfreudigkeit. Sie emigriert nicht aus der (mazedonischen) Republik und nimmt überdies albanische Zuwanderer aus den übervölkerten Nachbarprovinzen (dem Kosovo und Südserbien) auf“.

Trifunovski konstatierte ferner: „Ein einziger albanischer Haushalt weist eine ebenso große Geburtenfreudigkeit auf wie vier mazedonische.“ Abschließend warnte der Wissenschaftler: „Die Mazedonier sind auf dem Wege, sich in eine besonders schwierige ethnische Situation zu manövrieren.“

An Hand des Schicksals der slawischen, christlich-orthodoxen Mazedonier erkennt man, was etwa im Kosovo schon längst deutlich ist: die nicht gebärenden (oder nur ein Einzelkind gebärenden) serbischen Frauen des Kosovo haben das serbische Volk (gleichfalls christlich-orthodox, im Gegensatz zu den vorwiegend moslemischen Albanern) um Grund und Boden gebracht. Oder, wie es ein Beobachter drastisch formulierte: „Das Recht auf Abtreibung (’Mein Bauch gehört mir‘) erweist sich als stärker als das Heimatrecht.“ Während bei Serben und Mazedoniern der Zerfall der Familie und die Individualisierung ähnlich fortschreiten wie im Westen, ist davon bei den im Clan-, Sippen- und Familienverband agierenden Albanern bisher nichts zu merken.

Auch eine Vollmitgliedschaft Mazedoniens in der EU würde nichts daran ändern, daß die mazedonische Nation sich fortschreitend von West nach Ost auf dem Rückzug vor der albanischen Welle befindet. Auch die den Mazedoniern versprochene Erhöhung des Lebensstandards dürfte das demographische Problem der „Slawen“ eher noch verschärfen. Die Versprechungen westlicher Politiker bewegen sich in dieser Hinsicht an der Grenze der Verantwortungslosigkeit.

„Die albanische Bevölkerung Mazedoniens ist jung, gesund und unternehmungslustig. Kein anderes Volk Europas könnte sich mit ihr messen“, bemerkt ein Kenner der Szene. Die durchschnittliche Albanerin bringt doppelt so viele Kinder auf die Welt wie die Mazedonierin. Nicht so sehr die bewaffneten Aufstände der UÇK-Rebellen als vielmehr der „Aufstand der Albanerinnen im Wochenbett“ wird früher oder später die Grundfesten des mazedonischen Staates erschüttern. Für die slawischen Mazedonier gibt es in dieser Situation nur eine günstige Lösung: die Teilung des Landes und eine territoriale Förderalisierung.

Aus West-Mazedonien (Tetovo, Gostivar), wo die Albaner bereits 80 bis 95 Prozent der Bevölkerung stellen, könnte eine „Autonome Republik Illyrien“ gebildet werden. Denn die mehrheitlich albanisch besiedelten Gebiete wird Mazedonien nicht halten können, sollten sie eines Tages in Richtung Albanien abmarschieren. Auch die Serben haben Kosovo nicht „halten“ können, obwohl sie in einer weitaus stärkeren Position waren.

Aus den Gebieten rund um Tetovo flüchtet (oder emigriert) die slawische Bevölkerung. Die „Slawen“ haben weder den Willen noch die Kraft, das zu verhindern. So wie Serbien heute ohne Kosovo weiterlebt, könnte auch Mazedonien, das dann etwa auf die Größe Sloweniens reduziert wäre, weiterleben. Ein vernünftiger Bevölkerungsaustausch könnte die Entstehung ethnisch befriedeter und stabiler Staaten fordern.

Die slawischen Mazedonier betrachten den vom Westen aufgezwungenen „Vertrag von Ohrid“ als kolonialistisches Diktat, durch das der Westen hier etwas schaffen will, was es in diesem Raum noch nie gegeben hat: einen multiethnischen „Multikulti-Staat“ Mazedonien. „In Mazedonien“, so hören wir von einem Beobachter vor Ort, „lebt jedes Volk getrennt vom anderen, für sich selbst allein. Mischehen sind eine Seltenheit. Wenn das kommunistische Jugoslawien es mit seinem totalitären Zwang nicht schaffte, die Völker zusammenzuzwingen, wie sollten es dann EU und Nato schaffen? Die Alternative heißt: friedliche Trennung oder ein Balkankrieg“. Manchmal hört man die Frage, ob es jemand im Westen auf einen solchen Krieg abgesehen haben könnte. Nur so wären einige unbegreifliche Verhaltensweisen der „Staatengemeinschaft“ zu erklären.


 
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