© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Randzonensemiotik
Eigenes Konto: Der Kabarettist Matthias Beltz auf Tournee
Werner Olles

Wenn einem bei Matthias Beltz, diesem von Theodor Adorno und Carl Schmitt gleichermaßen geprägten Kabarettisten, bisweilen das Lachen im Halse stecken bleibt, liegt das wohl daran, daß er nicht jenen intensiv gottvaterhaft-leimigen Jargon des traditionellen Kabaretts pflegt, der uns, einem Beruhigungsmittel gleich, nach wenigen Minuten die Augen zufallen läßt.

Besinnlich-kabarettistische Betstunden und Sonntags-Matinees gegen die „Gewalt von rechts“ oder ähnlich zugkräftige Themen darf der Zuschauer hier nicht erwarten. Statt dessen spricht Beltz über die alltäglichen Gemeinheiten, die einen schon vor der Haustür erwarten oder - noch schlimmer - im trauten Familienkreis, wenn etwa die liebe kleine Nichte den „Onkel Matthias“ so gerne totschlagen möchte und er partout kein vernünftiges und das mißratene Kleinkind überzeugendes Gegenargument vorbringen kann. Es ist das existentiell Böse in uns, das den Thomas-Bernhard-Fan fasziniert.

Seit knapp einem Jahr tourt Beltz mit seinem Programm „Eigenes Konto - Wenn alles sich rechnet und keiner bezahlt“ durch die Lande, und immer noch ist - jedenfalls nach dem Willen des Publikums - kein Ende abzusehen. Dabei ist der Kabarettist nicht nur ein Meister der Sprachakrobatik, sondern auch der Improvisation. Und natürlich aktualisiert er je nach Lage der Dinge seine Texte. Klar, daß auch das New Yorker „Ereignis“ thematisiert wird. Beltz wagt den Vergleich zwischen Rudolf Scharping und Osama bin Laden („Scharping muß sich für fünfzig Flüge rechtfertigen ...“) und zitiert als starken Abgang zum Schluß Leonard Cohens „First we take Manhattan, then we take Berlin“. Ein paar Sekunden lang herrscht atemlose Stille im Saal, dann endlich bricht sich der Applaus Bahn. Das ist in der Tat mehr als Kabarett, das ist vielmehr Semiotik in höchster Vollendung, wenngleich auch haarscharf in der Randzone des eben noch Erträglichen.

Daß der gebürtige Mittelhesse inzwischen in Frankfurt zu Hause ist, dazu steht er, und das spürt man auch. Seine Beobachtungen der Zeitgenossen um ihn herum („der Nazi-Klaus“) sind boshafte bis groteske kleine Liebeserklärungen an die mit zahllosen Schwächen, Fehlern und Makeln behafteten Menschen in einer höchst unvollkommenen, heiteren, aber darum nicht minder hoffnungs- und herzlosen Welt. Die sogenannte Spaßgesellschaft, deren Ende jetzt ein wenig vorschnell ausrufen wird, erklärt Beltz zu einer bitterernsten Angelegenheit. Dabei zeigt er sich selbst noch in seinen ironischsten Textpassagen geradezu als Weiser. Seine Tagebuchaufzeichnungen, die er zwischendurch vorträgt, sind beispielsweise derart scharfsichtig und witzig, daß der gewöhnliche Zuschauer gar nicht mitbekommt, daß er hier einer Ernst-Jünger-Parodie aufgesessen ist.

Im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner eher leicht angestaubten traditionalistischen Kollegen arbeitet sich Beltz nicht an liebgewonnenen konservativen Feindbildern ab. Viel lieber, als Selbstbestätigungsorgien zu feiern, blickt dieser Urlinke, der nicht ungern mit rechten Dingen flirtet, dem täglichen Horror ins Gesicht und sucht das Unheil dort, wo es wirklich lauert: in der Nachbarschaft, am alternativen Kneipenstammtisch oder im linken Grundwiderspruch zwischen Hedonismus und Klassenkampf. In diesen tragikomischen Digressionen deutscher Mißverständnisse blitzt ein parapolitischer Jargon der Uneigentlichkeit auf, der bis in die tiefsten Tiefen unserer Kleinbürgerseelen reicht.

Wenn er zum Beispiel darüber sinniert, ob er nun in den Revolu-tions- und Beziehungskistenwirren der späten sechziger Jahre die Fensterscheiben im Amerikahaus aus Protest gegen den Vietnamkrieg eingeworfen hat oder aus lauter Frust, weil er ein paar Tage zuvor von der Gaby den Laufpaß bekam, und was denn Amerika, Vietnam und Gaby überhaupt miteinander zu tun hatten, ist das gewiß nicht nur komisch gemeint. Und ungeklärt ist bis heute auch die Frage, wieso ihn Leo Trotzki als Autor der seinerzeit viel gelesenen Schrift „Ihre Moral und unsere“ eigentlich mit „Sie“ angesprochen hat. Mag sein, daß dies alles nur (zwerchfell)erschütternde Einsichten über den ganz normalen Wahnsinn, das ganz normale Grauen an der vordersten Front des Privaten, das immer auch irgendwie das Politische ist, sind. Wer Kabarett als brillante Polemik, bissige Kritik und subversiv-witzige Alltagsbeobachtung goutiert, kommt bei Matthias Beltz jedenfalls garantiert auf seine Kosten.

 

Tourneedaten im Internet unter www.MatthiasBeltz.de . Das gleichnamige Buch zum Programm „Eigenes Konto - Wenn alles sich rechnet und keiner bezahlt“ ist im Transit Verlag erschienen und kostet 18 Mark. Der gleichnamige Live-Mitschnitt auf CD bei Bastei Lübbe kostet 29,90 Mark.


 
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