© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Ein gefallener Engel
Von der Systemkritik zur Publikumsbeschimpfung: Vor 25 Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Nächste Woche feiert er seinen 65. Geburtstag
Doris Neujahr

Der Zorn des Wolf „Jupiter“ Biermann ist fürchterlich. Die wahlsiegende PDS nennt er die „lachende Erbengemeinschaft einer kriminellen Bande marxistelnder Ausbeuter, Mörder, rotgetünchter Heuchler und Unterdrücker, die sich mit neuem Firmenschild wie ein schuldlos neugeborenes Kind in das wiedervereinigte Deutschland retteten“. Seine Blitze richtet er auf die Ossis in ihrem „breitärschigen Selbstmitleid“, auf die „von Stasi-Metastasen zerfressenen“ Bürgerrechtsgruppen, auf Sascha „Arschloch“ Anderson, IM und Chef jener Literatenszene vom Prenzlauer Berg, die schon vor 20 Jahren seine Lieder überholt fand. Er behauptet das Gegenteil und kommt von der DDR nicht los. Er ist dabei von der stärksten, verzehrendsten Leidenschaft erfüllt, die es gibt: vom Haß, der aus enttäuschter Liebe kommt. Am 15. November wird Biermann 65. Seine Leidenschaft läßt ihn 25 Jahre jünger wirken.

1976 hatte die DDR ihm die Tür gewiesen (neuerdings wird behauptet: auf seine eigene Anregung hin), und als er im Dezember 1989 wieder zu ihr durfte, fand er keine vom Zwangskorsett befreite, wilde Schöne vor, mit der er endlich den wahren Sozialismus tanzen konnte („Die DDR braucht endlich - und wie! -/ Rosas rote Demokratie ...“), sondern ein „Riesenkadaverlein“, um das niemand mehr trauern mochte.

„Wozu das alles?“ mußte er sich fragen. Wozu die vielen Jahre im grauen Ost-Berlin, statt unter Italiens Sonne, da doch die Hälfte der Zeit allemal gereicht hätte, um Deutschlands berühmtester Liedermacher zu werden! Wozu also der ganze Ärger mit den SED-Bonzen und den Stasi-Wanzen und später mit der Springer-Presse? Und keine Chance, daß die Wunden heilen, die Fragen verstummen. Denn die DDR hat einen Wiedergänger. Täglich dreht der kleine, tückische Kobold PDS ihm eine Nase und höhnt: Ich bin alles, was von Deinen Sozialismus-Träumen übrig blieb! Es ist zum hassen - und selberhassen!

Biermann, der 1953 als Siebzehnjähriger aus Hamburg in die DDR übersiedelte, war ein Riesentalent, das bissigste Scharfmaul und der zarteste Lyriker. Schönere Großstadtpoesie als: „Berlin, du deutsche deutsche Frau/ Ich bin dein Hochzeitsfreier/ Ach, Deine Hände sind so rauh/ Von Kälte und von Feuer“, ist nach dem Kriege nicht geschrieben worden, und seine „Ermutigung“ für den von der Stasi drangsalierten Peter Huchel („Du, laß dich nicht verbittern/ In dieser bittren Zeit“) kann sich mit den Gedichten des Ermutigten durchaus messen.

Eines Tages, so hoffte er, würde die DDR-Führung erkennen, daß sein Ansingen gegen den Partei-Kretinismus der beste Dienst an der kommunistischen Sache war und die DDR sich keinen treueren Troubadour wünschen konnte. Doch die Bonzen waren klüger als Biermann. Ihr unfehlbarer Machtinstinkt sagte ihnen, daß der Sozialismus im real existierenden Stumpfsinn zu sich selber gekommen war und jeder Versuch, ihn zu reformieren, dem Zündeln am Benzinfaß gleichkam.

Die Jahre nach dem Mauerbau waren Biermanns glücklichsten. Militärisch konsolidiert, leistete die DDR sich eine kulturpolitische Lockerung, sogar gegenüber dem renitenten Jungbarden. Zwar blieb der Rundfunk ihm versperrt, aber auf der Bühne durfte er singen, und seine Gedichte wurden in Anthologien aufgenommen. Man glaubte wohl, sein Ego durch Wohlwollen zu zähmen, doch so leicht ließ der Unberechenbare sich nicht fangen. „Sindermann, du blinder Mann“, spottete er über einen der SED-Halbgötter, was niemand sonst wagte. 1965 wurde er mit einem Auftrittsverbot belegt.

Seine Bühne war jetzt die Wohnung in Berlin, Chausseestraße 131. Die Adresse wurde zum legendären Treffpunkt für DDR-Oppositionelle, freigeistige Künstler, für West-Linke und Stasi-Observateure. Mitschnitte seiner Lieder zur Gitarre wurden nach West-Berlin gebracht, auf Platten gepreßt und kamen auf Umwegen wieder unters DDR-Volk. Biermann und sein Mentor Robert Havemann wurden zu Propheten eines demokratischen DDR-Sozialismus.

Unbeirrt pries Biermann die DDR als das bessere Deutschland an, ausgestattet mit einem historischen Vorsprung, den man nur in Freiheit setzen mußte! Als Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Schütz („Rudi Dutschkes Rufmörder“) ihm 1969 einen Preis verlieh, reichte er das Preisgeld an den Rechtsanwalt Horst Mahler weiter, für die APO-Rechtshilfe. Auch im Westen war er als Kronzeuge einer sozialistischen Alternative zur BRD populär. Der DDR konnte das nur lieb sein.

Im eigenen Land blieb sein Fluchen, Warnen, Flehen ungehört, sein Status als Systemkritiker von Links wurde irgendwann zum Selbstzweck. „Ich will meinen Burgunfrieden behalten. Ich will ja, daß sie mich einsperren. Und dann schreibe ich Briefe aus dem Gefängnis, und die werden berühmter als die von Rosa Luxemburg.“ Weil die SED seine Lieder fürchtete wie der Teufel das Weihwasser, fiel die narzistische Grundierung seiner politischen Bekenntnisse nicht weiter auf. „Er ist hinüber - enfant perdu/ Ach, kluge Kinder sterben früh“. Nein, es geht in diesem Lied von 1969 um keinen Mauertoten, sondern um Florian Havemann, der Sohn des Freundes und Regimekritikers, dem die Flucht in den Westen gelungen war (und der heute auf PDS-Ticket dem brandenburgischen Verfassungsgericht angehört). Der Kreis der Jünger begann sich zu lichten. „Wer abhaut aus dem Osten/ Der ist auf unsere Kosten/ von sich selber abgehauen“. Um ihn zusammenzuhalten, verfiel er in den Tonfall von Christa Wolfs früher Gesinnungsprosa.

Die DDR war ihm zur Sackgasse geworden

Auch sein wichtigstes Publikum im Westen, die APO, löste sich auf. Biermann wechselte vom Wagenbach-Verlag zu CBS, wurde zu seinem eigenen Denkmal und pries es marktgerecht an. In den frühen Aufnahmen hatten die unterlegten Straßengeräusche „als Orts- und Situationsbeschreibungen seines Sich-eingepfercht-Fühlens“ gedient, jetzt waren es kühl berechnete „dramaturgische Ausrufezeichen“ (G.-F. Kühn). Erst 1975/76 gelangen ihm wieder Lieder und Balladen von alter Eindringlichkeit. Er hatte auf politische Verkündigungen verzichtet und von persönlicher Verwundung und Resignation erzählt. „Ich möchte am liebsten weg sein/ Und bleibe am liebsten hier“. Die DDR war ihm zur Sackgasse geworden.

Vor 25 Jahren, am 13. November 1976, trat er bei einem Konzert der IG Metall in Köln auf. Kurz danach gab die DDR-Führung seine Ausbürgerung bekannt. „Die Entscheidung wurde auf Grund des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik - Staatsbürgerschaftsgesetz - vom 20. Februar 1967, Paragraph 13, nach dem Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft aberkannt werden kann, gefaßt.“

Doch was Erich Honecker als schlichten Verwaltungsakt geplant hatte, entwickelte sich zu einer Staatsaffäre. Das heißt: Wenn es doch eine Staatsaffäre geworden wäre, mit einem kräftigen „J’ Accuse!“, mit Studentenprotesten, Demos, Kanzelabkündigungen, Aufrufen zum Streik usw. Nichts davon. Biermanns Aussperrung löste nur einen Sturm im Wasserglas aus. Was zutage trat, war die allgemeine Kopf-, Trost- und Zukunftslosigkeit im SED-Staat.

Die Fakten sind bekannt: Ein knappes Dutzend renommierter DDR-Autoren und ein Bildhauer verfaßten eine Protestnote. Darin fiel das Wort „protestieren“, sonst war sie überaus maßvoll formuliert. Es wurde nicht etwa gefordert, sondern nur „gebeten“, Biermanns Ausbürgerung zwar nicht sofort zurückzunehmen, aber wenigstens zu „überdenken“. Und vorsorglich „distanzierte“ man sich vor dem möglichen „Mißbrauch“ des Schreibens. Aber immerhin. Die DDR-Medien dachten gar nicht daran, den Brief zu publizieren. In den Abendnachrichten von ARD und ZDF bildete er die Spitzenmeldung.

Hysterie brach los. Im Neuen Deutschland wurden seitenlang Ergebenheitsadressen von DDR-Künstlern abgedruckt. Es kam zu Entlassungen, Berufsverboten, inquisitorischen Tribunalen. Der Bildhauer und Erstunterzeichner Fritz Cremer wurde mit einem inhaftierten Familienmitglied erpreßt. Sich vorübergehenden Schwachsinn attestierend, zog er seine Unterschrift zurück. Ein Filmregisseur wurde von kurzhaarigen Männern zusammengeschlagen und von der Polizei beschieden, daß es besser wäre, nicht auf einem Ermittlungsverfahren zu bestehen. Düster verbreitete die SED-Führung sich darüber, wie lange man die Unterzeichner noch vor dem Volkszorn würde schützen können. Später wurde die Biermann-Affäre als vertane letzte Chance und als Anfang vom Ende der DDR bezeichnet. In Wahrheit hatte die DDR-Führung wieder einmal besser als ihre Kritiker begriffen, was der Fall war, und aus ihrer Perspektive völlig rational reagiert.

Die DDR, die endlich ihre internationale Anerkennung erreicht hatte, mußte feststellen, daß ihre Existenz dadurch nicht sicherer geworden war, im Gegenteil. Die Anwesenheit ausländischer Diplomaten und Medienvertreter schuf eine neue, schwer kontrollierbare Situation, und der Beitritt zu internationalen Organisationen und Verträgen gab den DDR-Bürgern Gelegenheit, sich auf externe Instanzen und Verbindlichkeiten zu berufen. Im August 1976 hatte der Pfarrer Oskar Brüsewitz in der sächsischen Stadt Zeitz ein Transparent entrollt („Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrückung in Schulen, an Kindern und Jugendlichen“), sich mit Benzin übergossen und angezündet. Im September erschien im Westen Reiner Kunzes Erzählband „Die wunderbaren Jahre“, in dem der Autor ein schockierendes Bild von der Unterdrückung der DDR-Jugend zeichnete und den Vergleich zwischen der SED und den Nazis wagte. In dieser aufgeheizten Situation Biermann zurückzuholen, Fehler einzuräumen und offene Diskussionen zuzulassen, wäre einem politischen Selbstmord gleichgekommen!

Die Unterzeichner der Protestnote waren kaum klüger als der Rest des Landes. Keine politische Analyse, kein Reform- und Aktionsprogramm lag in ihren Schubläden. Als junge Leute anfragten, was als nächstes zu tun sei, erhielten sie die Antwort: Nichts! Der Protest war als moralisches und nicht - Gott bewahre! - politisches Fanal gemeint. Schon zu diesem Zeitpunkt war die DDR ohne eine ernstzunehmende politische Oppositon.

„(...) ach! kommen bin ich/ vom Regen in die Jauche“, war Biermanns erstes Lied im Westen. Richtig war daran, daß er sein Koordinatensystem verloren hatte und kein überzeugendes mehr finden sollte.

Im Herbst 1989, als die DDR schon wankte, die Mauer aber noch stand, unterhielt er sich mit Bärbel Bohley via „Deutschlandfunk“ über den Traum von einer neuen DDR. Man spürte seine Vorfreude auf das anstehende Getümmel. Am 1. Dezember 1989 gab er in Leipzig sein erstes DDR-Konzert. „Mitten im Zusammenbruch der SED-Herrschaft“, schrieb er, seien seine Lieder „in den Schnittpunkt einer geschichtsschweren Situation“ geraten. Eine fromme Lüge. Er selber wußte am besten, daß er mit seinem Gesang im Abseits geblieben war. Das Publikum, selber noch tief verwirrt darüber, was es mit der DDR angestellt hatte, verlor sich in der riesigen, ausgekühlten Messehalle, und Biermann, gerührt und aufgeregt, servierte ihm kalten Kaffee. Für die Besucher war er fleischgewordene Legende, die man sich nicht entgehen ließ, aber kaum etwas von dem, was er sang und sagte, ging sie etwas an. Was sollten sie halten von den ollen Kammellen über die Pariser Kommune und den Prager Frühling und von den Versen: „Die DDR auf Dauer/ braucht weder Knast noch Mauer“, wo doch die Zeit bis zum 9. November 1989 das Gegenteil bewiesen hatte, und die Wochen danach erst recht.

Biermann hatte nur für sich selbst gesprochen

Eine Lebenslüge brach zusammen. Wie die meisten politischen Propheten hatte Biermann keiner stummen, schweigenden Mehrheit die Worte von den Lippen genommen, sondern nur für sich selber gesprochen. Und jetzt, da ihnen die Angst nicht mehr im Nacken saß, wollten die Ossis dem Bild, das Biermann sich von ihnen gemacht hatte, noch viel weniger entsprechen als zuvor.

Er begriff die Lage schnell und machte aus ihr das für ihn Beste. Im Februar 1990 publizierte er in der Zeit seine erste Publikumsbeschimpfung: „Wer vierzig Jahre lang alles schluckte, spuckt jetzt endlich mal große Töne. Brave Bürger, die zur sogenannten Wahl gingen wie die Kälber am Strick, brüllen jetzt wie die Löwen. Duckmäuser, die ihr Leben lang mit gutem Grund schwiegen, skandieren jetzt Helmut, Helmut.“ Das stimmte aufs Wort und war doch bloß die halbe Wahrheit. Über seinen eigenen Anteil an der beklagten Unmündigkeit schwieg er. „Das kommt, weil ich mein Deutschland/ So tief zerrissen seh/ Ich lieg in der bessren Hälfte/ Und habe doppelt weh“. Das falsche Heine-Pathos täuscht beinahe darüber hinweg, daß mit der „besseren Hälfte“ die DDR gemeint ist.

Jetzt ist er bei Springers Welt untergeschlüpft. Der erstaunliche Schlußpunkt einer großen Künstlerkarriere, der zugleich das Ende der guten alten, links-engagierten Kunst besiegelt. „Ich war einst ein Engel und bin gefalln/ Jetzt fall ich noch tiefer. Die sind zu stark/ Die haben ein’ Vorsprung im Know-How/ Veraltet ist unser Maschinenpark.“ 


 
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