© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Vom Abfeiern in Kriegszeiten: Halloween? Neunter Elfter? Elfter Elfter!
Brunst mit Fratzen
Jutta Winkler

Vor fünfzehn, zwanzig Jahren hatte sich die bundesdeutsche Gesell schaft von der US-amerikanischen den vierzehnten Februar als „Valentinstag“ verabfolgen lassen; nun hatten - neben Frauen, Aids-Kranken, Kindern und Sparkassen - auch die „Verliebten“ (was immer das im Pansexualismus heißen mag) ihren global begehungsfähigen Feiertag. Die Marines vom Marketing klatschten sich ab, der jeweilige Blumeneinzelhandelsverband dürfte massiv frohlockt haben. Der maskuline Vorname „Valentin“ soll kurzfristig geboomt haben.

Zwischen Valentin und fünfundzwanzigstem Mai liegen ein paar kirchlich verursachte Festtage, Sonntag/Montag/Doppelschläge, die freilich auch die religiös desinteressierte Bevölkerungsmehrheit aus Freizeitmaximierungsgründen gern mitnimmt. Der besagte Tag Ende Mai wird seit einigen Jahren vom politisch-medialen Gesellschaftssegment als „Verfassungstag“ ausgerufen, mit bislang eher magerer Resonanz beim Souverän. Von ihm, dem Volk, geht bekanntlich „alle Gewalt aus“ - politisch-symbolisch, versteht sich. Wenn freilich der hiesige Demokrat am Verfassungstag Verfassung Verfassung sein läßt, um lieber seinen Polo zu schrubben und Gina-Wild-Pornos zu gucken, dann scheint ein weiterer Versuch mißlungen, immerdar form- skeptische Teutonen von der Notwendigkeit der Sicherung des Existenzminimums in Sachen politästhetischer Selbstdarstellung zu überzeugen.

Den siebzehnten Juni halten die Jüngeren längst für einen Tag wie jeden anderen. Nur die Alten erinnern sich noch an die teils salbungsvollen, teils beschwörend dramatischen Sonntagsreden des politischen Personals der Alt-BRD. Tags zuvor durchkämmten Funktionäre der rechtskonservativen Einheitslobby Schulen aller Couleur, um den schwarzen, aus Bakelit gefertigten Anstecker mit dem Brandenburger Tor unters Jungvolk zu bringen - zu zehn Pfennig das Stück und in der Regel unter fahrlässigem Wohlwollen eines braunstichigen Lehrkörpers. Nicht selten wurde dunnemals, statt Mathe oder Latein, in der letzten Stunde der Einheitswille vor Ort geschult, die Schülerschaft in der Aula zusammengetrommelt und ein herzzerreissender Unterrichtsfilm („ufw“) zur Aufführung gebracht. Gedeckt gekleidete Schulleiter fanden die richtigen Worte und Schulorchester intonierten Brahms und Schubert. Der romantischen Innigkeit halber.

2001 ist dieser in der Alt-BRD jahrzehntelang mit offiziösem Brimborium und gesetzlich arbeitsfrei herausgemeißelte Gedenktag an die antikommunistische Volkserhebung in der sowjetisch besetzten Zone des Deutschen Reiches nicht einmal mehr Geschichte - in der ansonsten erinnerungswütigen BRD! Von siebzehnten Junis braucht ihr „neoantifaschistischer“ Grundkonsens nichts zu wissen, von unziemlichen Erinnerungen entlastet, konsumiert das Vereinigungsdeutschtum schuld-, nicht aber verantwortungslos und sorgt sich bei Grappa und Zabaione um Aff-geht-mich-nichts-an, näherhin Afghanistan.

Der ominöse neunte November ist ein polyvalentes Datum; an ihm mag jeder begehen, was immer er mag: Hitlerputsch oder Reichskristallnacht, irrtümliche Maueröffnung oder das überraschende Waffenstrecken der Hohenzollern - alles ist möglich. Bislang ist nichts offiziös. Und Joseph Fischer, Minister des Auswärtigen und als donauschwäbischer Metzgerssohn ein Kenner der deutschen Seele, mit seiner Option noch allein, es möge der neunte November „als eine Art Nationalfeiertag“ eingesetzt werden.

Die urtümlich lutherische Zeitansage des herbstlichen Buß- und Bettags fiel in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts panökonomistischen Rationalisierungsumtrieben einer allenfalls rudimentär christ-sozialen Union zum Opfer. Kohl wendete eben geistig-moralisch, was immer ihm unter die Finger geriet. Auf den diversen Aktivitäten der „deutschen“ Wirtschaft soll seither noch mehr Segen ruhen. Selbst wenn, laut Volksmund, kein Bauer frißt, was er nicht kennt, nahm Vereinigungsdeutschland nolens volens den dritten Oktober als „Nationalfeiertag“ an. Abermals riecht es nach „German Ersatz“, einem Notbehelf, dessen Bezeichung als Lehnwort, wie „Blitzkrieg“, „Kindergarten“ und „Umweltschutz“, in so manche fremde Sprache Eingang gefunden hat. „Irgendwas muß man ja machen!“, wird sich der in symbolisch-formalen Angelegenheiten unnachahmlich hemdsärmelige Einheitskanzler Kohl gedacht haben, und erkor, im Küchenkabinett politischer Stillosigkeit, den Tag der „ersten gesamtdeutschen Wahlen“ zum nationalen arbeitsfrei. Heuer fiel es besonders günstig. Nahm man Montag, den ersten, und Dienstag, den zweiten, als „Brückentage“ frei und am vierten und fünften den Hausarzt zu Hilfe, konnten in „Beschäftigung“ Stehende neun freie Tage lang feiern. Und innerhalb dieser Spanne am dritten Tag die Einheit, die deutsche.

Nicht weniger synthetisch, artifiziell, manieriert der 31.10.: An diesem Tag, näherhin diesem Abend, hat neuerdings „Halloween“ stattzufinden. Als weiteres „Angebot“ der massenkulturellen Landnahme des US-Kapitals. Dessen Gegenküsten-Peripherie steht, nach der „Implementierung“ von American Football, Basketball, Baseball und Skateboarding eine weitere höchst produktintensive Errungenschaft der transatlantischen Fortschrittsmehrheit ins vermeintlich europäische Haus: Den katholischerseits althergebrachten Marienmonat Oktober beendet künftig, zumal nach dem 11. September 2001, ein satanistisch inspirierter Hokuspokus, ein esoterisches Horrorspektakel aus dem Ungeist Hollywoods. Diese Rauhnacht der Monstren beschert krud-infantile Blutbrunst mit Fratzen, einen Advent des Bösen. Allerheiligen, Allerseelen und Sankt Martin stehen im Schatten Golems, Rosemaries Baby meets the Exorzist und scheppernd klingen die Kassen des Nichts.

Nur das fromm-fidele Rheinland kann dem widerstehen! Dort ist und bleibt der Elfte im Elften als (insgeheim) höchster Feiertag lebendig. Fest verwurzelt in einer Völkervielfalt mit nachgerade imponierendem Eigensinn, insbesondere was autochthonen Ulk anlangt. Der Karneval ließ ihn immun werden gegen heteronom induzierte Zerstreuung. Franzosen, Preußen, Nazis, Briten, VOX und RTL haben dies lernen müssen. Und den Gespenstern aus Hollywood wird es nicht anders ergehen.


 
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