© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001


Afghanistan-Krieg
Paradigmenwechsel
Dieter Stein

In einem ätzenden Porträt widmet sich der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe der verteidigungspolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Angelika Beer. Auf einem Bild von 1990 sieht man sie in einem Demonstrationszug hinter einem Transparent „Nie wieder Deutschland“. Bis tief in die 90er Jahre war sie bei Protesten gegen Bundeswehrgelöbnisse mit dabei, forderte die Abschaffung der Armee und die Auflösung der Nato. Geblieben ist bei Frau Beer von der einst pazifistischen Gesinnung optisch nur noch ein neckisches Mini-Zöpfchen mit eingeflochtenen bunten Streifen, das sich Beer auch beim Truppenbesuch keck auf die Schulter legt. Ja, man bewahrt sich eben so einen Rest an tuffiger Widerborstigkeit, aus der man letzte Spurenelemente einer kritischen Haltung destillieren mag.

Angelika Beer ist der Korruption durch Nähe erlegen. Mit dabei bei Geheimsitzungen, Händeschütteln mit Generälen und strammstehende Soldaten bei Truppenbesuchen lassen das Herz der einsamen Frau höher schlagen und überfluten den Körper mit Glückshormonen. Fit for fun beim Bund, oder: So macht man grüne Spitzenpolitiker kriegsbereit. Steter Tropfen höhlt den Stein, man spielt mit im spannenden Spiel der Mächtigen, mit Personenschutz, knarrenden Sprechfunkgeräten, Blaulicht auf der Überholspur und aufregendem Knattern von Hubschrauberrotoren.

Höhnisch bemerkten mit Recht Friedrich Merz und Guido Westerwelle als Vertreter der Opposition, daß die rot-grüne Spitze derzeit zur Hälfte angekettet und demonstrierend vor Kasernen säße, wenn noch die alte Regierung Kohl im Amt wäre. So ist es: Die Regierungsverantwortung in der Phase dicht aufeinanderfolgender deutscher Engagements, im Rahmen der Nato unter rot-grüner Ägide, hat den antimilitaristischen Widerstand in Deutschland fast aufgerieben. Noch vor drei, vier Jahren, während der Hochzeit der Anti-Wehrmachtsausstellung, wäre Deutschland weiß beflaggt gewesen. Damals verteidigten rot-grüne Politiker noch großspurig den Satz „Soldaten sind Mörder“. Heute wollen dieselben hybriden Schlaumeier deutsche Soldaten in aberwitzige Abenteuer schicken. Plötzlich sind Soldaten wieder Helden?

Jetzt wird bis tief in das linke Lager (mit kleinen Ausnahmen) prinzipiell zugestanden, daß jeder Staat, Deutschland nun eingeschlossen, zur Selbstverteidigung eine Armee braucht, die nicht nur Zähne zeigt, sondern auch zuschlagen kann.

Das ist gut so und man könnte diesen Paradigmenwechsel mit Recht als Normalisierung begrüßen. Wenn es nicht einen Wehrmutstropfen gäbe. Noch wird die Notwendigkeit deutscher Auslandseinsätze nicht explizit mit nationalem Interesse begründet.

Deutschland und Europa dürfen die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht den USA überlassen. Das bedeutet: Die bisherige Nato muß zur Disposition gestellt werden. Deutschland muß aus dem gemütlichen Windschatten eines Protektorats der USA heraus und zusammen mit den anderen europäischen Nationen ein Gegengewicht schaffen.


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