© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Jenseits der Grenzen des Wachstums
UN-Bevölkerungsbericht 2001: Mehr Menschen verbrauchen mehr Ressourcen als jemals zuvor
Volker Kempf

Immer wieder blickt die Uno voller Sorge auf das Bevölkerungswachstum in den ärmeren Ländern der Erde. So auch im posthum vorgestellten Weltbevölkerungsbericht 2001. Hiernach wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,3 Milliarden Menschen anwachsen - bisherige Uno-Schätzungen erwiesen sich immer als recht präzise. Das Bevölkerungswachstum wird vor allem auf die 49 am wenigsten entwickelten Länder zurückgehen. Dort wird sich die Zahl der Menschen von 668 Millionen auf 1,86 Milliarden fast verdreifachen.

Die Grenzen des Wachstums werden damit langsam aber sicher erreicht, wenn nicht überschritten - „Beyond the Limits of Grow“ (Jenseits der Grenzen des Wachstums) lautete Anfang der neunziger Jahre dann auch ein Bericht des Club of Rome, der hierzulande verharmlosend mit „Die neuen Grenzen des Wachstums“ übersetzt und auf den Büchermarkt gebracht wurde. In jedem Fall streicht die Uno jetzt auch heraus, daß die Umwelt das derzeitige Bevölkerungswachstum nicht verkraften werde. Der zunehmende Ressourcenabbau werde zur ernsthaften Gefahr. Wörtlich gesprochen: „Mehr Menschen verbrauchen mehr Ressourcen als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte.“

Es gibt jetzt mehr arme Menschen in der Welt denn je zuvor und die Hälfte davon leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. 4,2 Milliarden der 9,3 Milliarden Menschen im Jahr 2050 werden in sogenannten unterentwickelten Ländern leben. Vor allem die Trinkwasservorräte werden erheblich zurückgehen. In Ländern wie Indien werde schon jetzt deutlich mehr Wasser verbraucht, als dort vom Himmel regnet. Mit steigendem Konsum in den armen Ländern werde der Wasserverbrauch ebenfalls steigen. Die Rechnung, durch mehr Wohlstand weniger Bevölkerungswachstum zu erzielen, schafft also selbst Probleme, auch wenn es hierzu keine Alternative zu geben scheint. Vor allem wird niemand freiwillig verdursten, so daß hier ein Konfliktherd für künftige Kriege wuchert. Der Grundwasserspiegel in chinesischen, südamerikanischen und südasiatischen Städten sinkt rapide, nicht selten um einen Meter pro Jahr. „Um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren, muß in den nächsten 35 Jahren die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt werden“, warnt Erik Palstra vom UN-Bevölkerungsfonds. Schon heute leiden weltweit 800 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung. Insgesamt zwei Milliarden Menschen fehlt es an „Ernährungssicherheit“, sie leben nicht in Verhältnissen, „in denen man zu jeder Zeit ausreichend Zugang zu gesunden und nahrhaften Nahrungsmitteln hat, um ein gesundes und aktives Leben führen zu können“. Weltweit werden jede Minute 380 Frauen schwanger - die Hälfte davon laut UN-Schätzungen ungewollt, so Palstra. Realität ist hingegen weltweit das Schwinden von Ackerflächen und der Grundwasserreserven. Der Wert der Ackerbaufläche pro Kopf der Weltbevölkerung sank von 1950 bis1996 von 0,23 auf 0,12 Hektar und wird bis 2050 nochmals auf 0,08 Hektar absinken.

Je geringer dieser Wert ausfällt, desto häufiger werden Kriege und Bürgerkriege verzeichnet, lehrt die Erfahrung. Eher wie eine Beruhigungspille wirkt da der angebliche Hoffnungsschimmer, daß das Bevölkerungswachstum sich mit der Zeit abschwäche und bei etwa zehn Milliarden Menschen stabilisiere. Denn der Status quo von 6,1 Milliarden Menschen kommt schon jetzt einer Katastrophe gleich.

Europa steht hingegen vor anderen Problemen. Hier nimmt die Bevölkerungszahl ab, der Zuwachs in einigen Ländern beruht allein auf Zuwanderung aus fremden Erdteilen. Die damit einhergehende Überalterung hat dramatische Auswirkungen auf die Kosten für Renten- und Krankenkassen. Laut einem EU-Bericht, der letzte Woche den EU-Finanzministern vorgelegt wurde, stehen den öffentlichen Finanzen daher milliardenschwere Mehrbelastungen bevor. Nach einer Eurostat-Prognose zur Altersentwicklung wird die Zahl der Personen über 64 Jahre von derzeit 61 Millionen in der EU auf 103 Millionen im Jahr 2050 ansteigen. Der Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wird sich hingegen um 20 Prozent von 246 auf 203 Millionen reduzieren.

Arbeiten derzeit vier Personen für die Finanzierung eines Rentners, werden es in fünfzig Jahren nur noch zwei Personen sein. Die Pensions- und Gesundheitskosten werden in allen EU-Mitgliedsstaaten ansteigen: um etwa drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die größten Steigerungsraten werden für Spanien und Griechenland erwartet - Länder, die schon heute EU-Nettoempfänger sind.

Was im UN-Bericht leider weniger deutlich ausgesprochen wird, ist der Umstand, daß gerade die reicheren Nationen die meisten Rohstoffe verbrauchen und daher zur Umweltentlastung ihre Bevölkerungszahlen reduzieren müßten, statt sie vor lauter Angst, das Rentenproblem nicht lösen zu können, durch höhere Geburtenzahlen und Einwanderung noch krampfhaft steigern zu wollen. In Deutschland etwa wuchs im Jahr 2000 die Bevölkerung um 96.000 Menschen allein durch Zuwanderung, denn die Rate des Geburtenüberschusses lag deutlich unter null.

So bleibt als Widerspruch, daß das weltweite Bevölkerungswachstum seitens der Uno beklagt wird, während in den besonders rohstoffhungrigen Ländern wie den USA oder der EU die Bevölkerung weiter wachsen soll. Das bedeutet zwangsläufig, daß der Energie- und Rohstoffhunger dieser Länder noch verstärkt wird oder Einsparungen zunichte gemacht werden. Das antiquierte Wachstumsdenken regiert noch immer in den Köpfen, obwohl die Grenzen des Wachstums bei der Belastung der Umwelt, der Energie- und Rohstoffreserven längst überschritten sind.


 
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