© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Kienspäne beim dritten Grad
US-Medien diskutieren ungeniert die Wiedereinführung der Folter für verdächtige Muslime
Andreas Wild

Erstaunliche Sachen liest man jetzt in Amerikas Zeitungen, zum Beispiel in der New York Times oder in Newsweek. Man solle, raten dort einige Kommentatoren ganz offen, die Folter wieder einführen, um festgenommene, des Terrorismus verdächtigte Muslime zu Aussagen zu zwingen. Natürlich, meint Newsweek, könne es nicht um die Wiedereinführung der „Carolina“, der berühmt-berüchtigten „Halsordnung“ Kaiser Karls V. aus dem Jahre 1526, gehen, aber über „humane“ Formen des Folterns müsse man angesichts der neuesten Herausforderungen nachdenken dürfen.

Humane Formen des Folterns? Ein Blick auf die Kulturgeschichte des Abendlandes zeigt, daß man sich seit jeher mit dem Mantel des Humanismus umgab, wenn die Folter ganz offiziell als staatliches Justizinstrument installiert werden sollte. Blindwütige Quälereien seitens der Verhörorgane sollten beendet bzw. „in Ordnung gebracht“, die ganze Prozedur sollte „auf gesetzliche Grundlagen gestellt“ werden. Was da aber als angebliche Eingrenzung der Folter daherkam, war in Wirklichkeit stets eine massive Aufforderung zu ihrer systematischen Anwendung.

Schon die Carolina verfügte, daß nicht „blind“ gefoltert werden dürfe. Ein Verhör mußte stets bis zu einem Punkt gediehen sein, wo es faktisch nur noch um entweder/oder ging, wo also die Schuldvorwürfe schon weit zugespitzt waren. An diesem Punkt mußten dann die Sachverständigen, die Universitätsprofessoren, die Juristen, auch die Philosophen, gefragt werden, ob gefoltert werden dürfe, um „letzte Klarheit“ zu erlangen. Und die Professoren ließen sich nicht lange bitten, erörterten mit größter Energie das Für und Wider - und entschieden sich dann regelmäßig für das Für.

Die Folter mußte in einem taghell erleuchteten Raum durchgeführt werden; die vielen nachträglichen Abbildungen von „finsteren Folterkellern“ sind reine Phantasie. Mindestpersonal waren neben dem Scharfrichter ein Richter, zwei Schöffen, ein Schriftführer und ein Arzt, der laufend über die Belastbarkeit des Delinquenten Auskunft zu geben hatte. Es gab genau vorgeschriebene Grade des Folterns. Beim ersten Grad wurden die Instrumente lediglich vorgezeigt, beim zweiten Grad wurden die Daumen- oder Beinschrauben lediglich angelegt, ohne schon Schmerzen zu verursachen. Die Delinquenten wurden dabei aber bis zur völligen Nacktheit ausgezogen, was ja auch schon demoralisierend wirkte.

Richtig ernst wurde es beim dritten Grad. Die Daumen- und Beinschrauben wurden nun immer mehr angezogen, der Delinquent wurde auf eine Leiter gebunden und an den Beinen und Armen immer mehr nach beiden Richtungen auseinandergezogen. Ihm wurden Kienspäne unter die Fingernägel geschoben, ihm wurden mit Schwefelhölzchen Brandflecken auf die Haut gebrannt. Und immer wieder fragten die Richter dazwischen: „War das so, ja oder nein, war das so, ja oder nein?“

Die Folter ist dann, nach Abflauen des strikten Rationalismus im achtzehnten Jahrhundert, seiner Aufweichung durch klassisches Maßdenken und durch Gefühlsphilosophie, offiziell von den souveränen Staaten nach und nach abgeschafft worden, zuerst im Preußen Friedrichs des Großen schon 1740, später peu à peu auch von allen übrigen europäischen Staaten, was sich bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hinzog. Während des restlichen neunzehnten Jahrhunderts gedieh eine ziemlich folterlose Ära, aber zu Beginn des zwanzigsten war damit wieder Schluß.

Die nun aufkommenden revolutionären Diktaturen und viele der neugegründeten Nationalstaaten führten die Folter wieder ein, doch nur inoffiziell, vor der Öffentlichkeit abgeschirmt; die Folter wurde nicht mehr offiziell legitimiert. Es gab zwar Anweisungen von oben an die „Organe“, zur Erlangung von Geständnissen „moderaten physischen Druck auszuüben“, aber wie dieser physische Druck aussah, das wurde nicht angesprochen, das wurde den Organen überlassen.

Für den Staat war das vorteilhaft: Er konnte sich jederzeit, wenn doch einmal etwas herauskam, von den Organen distanzieren, die irgendetwas mißverstanden oder übertrieben hätten. Die Folter-Instanzen operierten im rechtsfreien Raum, sie wußten nie ganz genau, ob sie zu weit gegangen waren oder ob sie zu wenig zupackend gewesen waren, es war ein Vabanquespiel.

Eine weitere Folge der Dekodifizierung der Folter war, daß sich die Organe nun faktisch unbegrenzt neue Foltermethoden ausdenken und sie anwenden konnten, Methoden, von denen die rationalistischen Inquisitoren des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Bis zum Kopf eingraben und dann die Fliegen an den Kopf heranlassen, war eine solche neue Foltermethode des zwanzigsten Jahrhunderts, bezeugt von Solschenizyn aus gewissen sibirischen Militärlagern der vierziger Jahre. Oder den Untersuchungshäftling auf immer kleinere Hungerration setzen, oder ihm den Schlaf entziehen, ihn also immer wieder aufwecken, wenn er einschlafen wollte.

Das führte schon dicht heran an die „modernen, psychologischen“ Methoden, für die sich nun also auch Newsweek oder der Nachrichtenkanal Fox interessieren: Etwa geistig völlig gesunde Delinquenten ins Irrenhaus stecken, sie im „Dauerknast“ halten und von jeder Öffentlichkeit abschirmen, sie von allen Seiten ununterbrochen anbrüllen und verhöhnen, sie demütigen, ihnen in alle möglichen Körperöffnungen hineinleuchten. Die Grenzen zwischen Verhör und Folter sind fließend, und sie werden immer fließender, je weiter sich Technik und psychologische Forschung entwickeln.

Am modernsten erscheint das, was einer der New Yorker Disputanten als „Folter-Ex- und Import“ beschrieb. Die USA könnten ja, so lange bei ihnen die Folter noch ausdrücklich verboten sei, ihre Verdächtigen in Länder mit weniger srengen Gesetzen exportieren (ausliefern), um sie dann, nach dort gemachten Geständnissen, zu re-importieren. Wir lebten in Zeiten der Globalisierung, so argumentierte der Mann, die Terroristen operierten längst global, nützten die verschiedenen Bedingungen in den verschiedenen Ländern rücksichtslos aus - warum sollte der Rechtsstaat nicht ein Gleiches tun?

Die Antwort auf solche Fragen ist im Grunde einfach: Weil der Rechtsstaat eben ein Rechtsstaat ist. Zum Bild des Rechtsstaates gehört nicht nur, daß er Gesetze macht und auf ihre Einhaltung achtet, sondern auch, daß er die Folter verbietet und dieses Verbot energisch durchsetzt. Er kann nur Anti-Folter-Gesetze erlassen, keine Pro-Folter-Gesetze, und seien diese noch so „human“. Die Zeiten der Carolina sollten endgültig vorbei sein. 


 
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