© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
„Kabul war nicht das Kriegsziel“
Hanno Graf von Kielmansegg über den Fall der afghanischen Hauptstadt und den langen, zermürbenden Kampf danach
Moritz Schwarz

Graf von Kielmansegg, die Hauptstadt Afghanistans, Kabul, ist gefallen. Medien und öffentliche Meinung im Westen werten dies offenbar nach klassischem Muster als den Sieg im „Krieg gegen den Terror“.

Kielmansegg: Es ist viel zu früh, um eine solch weitreichende Schlußfolgerung zu ziehen. Es muß daran erinnert werden, daß das amerikanische Kriegsziel schließlich lautet, den Terrorismus - verkörpert durch Osama bin Laden und seine Organisation al-Qaida - auszuschalten. Daraus erst leitete sich das zweite „Kriegsziel“ ab, nämlich das Regime der Taliban zu beenden, da es bin Laden und seine Leute unterstüzt. Bezüglich des eigentlichen Kriegszieles ist aber auch nun, nach dem Fall von Kabul, noch nicht von einem endgültigen Erfolg zu sprechen.

Der Fall Kabuls markiert also nicht die Niederlage der Taliban?

Kielmansegg: Nein, denn die Taliban sind nicht auf den Besitz Kabuls angewiesen, um noch handlungsfähig zu sein. Auch in den Kriegen des Westens ist die Eroberung der Hauptstadt nicht immer gleichbedeutend mit dem militärischen Sieg gewesen - denken Sie nur an Napoleon in Moskau. Allerdings sind Hauptstädte natürlich Symbole, doch nicht einmal diesbezüglich kann man den Fall Kabuls mit dem Fall einer westlichen Hauptstadt vergleichen, da Kriege in Afghanistan letztlich nicht konventionell geführt werden, sondern Guerillakriege sind.

Sollten wir uns nicht an unseren Jugoslawien-Feldzug 1941 erinnern, dort gab es zunächst auch einen spektakulären Blitzsieg, bevor dann ein unendlicher und erbitterter Partisanenkrieg losbrach.

Kielmansegg: Soweit brauchen Sie gar nicht zurückzugehen, so lief es auch schon im sowjetischen Afghanistan-Krieg ab. Lassen Sie es mich so formulieren: Mit der Eroberung Kabuls durch die Nordallianz hat die Anti-Terror-Allianz eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg.

Selbst wenn sich für den Westen Sieg an Sieg reihen sollte, kann dieser Krieg überhaupt militärisch gewonnen werden?

Kielmansegg: Das Militärische ist ja nur eine Teil der Maßnahmen, die die US-Regierung unter dem „Kampf gegen den Terror“ zusammengefaßt wissen möchte, wahrscheinlich sogar der geringere Teil. Das Problem ist aber, da uns dieser Teil so spektakulär per Fernsehen in die Wohnzimmer flimmert, halten ihn die meisten Leute für das entscheidende Moment gegen den Terror. Der militärische Teil der Maßnahmen wird reduziert, die anderen werden verstärkt.

Kann es sich für die US-Regierung nicht sogar als Problem erweisen, wenn die medial erzeugte Sieges-Euphorie die militärische Einschätzung der Lage überdeckt und so schließlich in der westlichen Öffentlichkeit eine große Ernüchterung über eine langwierige, unspektakuläre und quälende Anti-Terror-Kampagne entstehen sollte?

Kielmansegg: Deshalb hat George W. Bush immer wieder betont, daß es sich um eine eventuell jahrelange, mitunter zermürbende Unternehmung handeln wird. Wir brauchen Geduld und einen langen Atem. Natürlich ist es spektakulärer, wenn die Medien von Sieg und Niederlage sprechen - das läßt sich auch besser verkaufen. Aber es gibt auch ein Kompetenzdefizit bei Medien und Konsumenten. Dieses besteht zum einen aus der bekannten, politisch motivierten Informationssperre, zum anderen aus der Unkenntnis innerer kultureller Zusammenhänge in Zentralasien, allgemeiner politischer Gesetzmäßigkeiten und der Grenzen und Möglichkeiten militärischer Mittel bei den Berichterstattern. Das alles schlägt sich natürlich in den Medienberichten nieder, die für den Normalbürger schließlich die Grundlage seiner Beurteilung bilden. Dieses Informations- und Verständnisproblem stellt sich übrigens auch auf der Ebene der an der „Allianz gegen den Terror“ beteiligten Staaten, deshalb droht im schlimmsten Fall sogar ihr Auseinanderbrechen.

Die Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, ist - auch in Deutschland - erstaunlich hoch. Wird das so bleiben?

Kielmansegg: Nein, diese Annahme ist unrealistisch. Zu glauben, der Kampf wäre bereits gewonnen, ist leichtfertig. Wir können und müssen den Terrorismus schwächen und eingrenzen. Ganz auszurotten ist er aber ebensowenig wie das ‚normale‘ Verbrechen.

Die US-Luftunterstützung zum Durchstoß der Taliban-Front ist - wie zu erwarten war - erfolgreich abgeschlossen worden. Im Gebirge ist der Einsatz der Luftwaffe allerdings wenig erfolgversprechend. Beginnt nun für die Alliierten ein langwieriger Bodenkrieg in den Bergen?

Kielmansegg: Die Amerikaner waren so klug, sich bislang nicht in einen Bodenkrieg verwickeln zu lassen. Als Heer dienten den USA bislang die Kämpfer der Nordallianz. Ich glaube nicht, daß die Amerikaner jetzt von diesem Konzept ablassen werden.

Werden denn die afghanischen Verbündeten der Amerikaner den Krieg gegen die Taliban in den Bergen wirklich ernsthaft fortsetzen - und vor allem, werden sie ihn auch gewinnen? Ohne weitere massive Einmischung des Westens könnte die Front sich doch leicht wieder jahrelang so festfahren, wie das schon vor dem Beginn der anglo-amerikanischen Luftoffensive am 7. Oktober der Fall war.

Kielmansegg: Ob die neue Regierung in Kabul, die jetzt installiert werden soll, mit dem von den Taliban angekündigten Widerstand fertigwerden wird, hängt zunächst einmal davon ab, ob es dem neuen Regime gelingt, die zahlreichen Völkerschaften Afghanistans wirklich zusammenzubringen. Das ist eine unglaublich schwierige Aufgabe und in der Geschichte Afghanistans bislang noch kaum gelungen. Der 86jährige König Mohammed Sahir Schah ist vielleicht der einzige, der das zustande bringen könnte, doch der ist für diese Aufgabe wohl bereits zu alt.

Werden die Taliban in diesem Kampf von den Bergen aus eher offensiv gegen die neue Regierung vorstoßen, oder werden sie lediglich noch zu einem Abwehrkampf um ihre Höhlenfestungen in der Lage sein?

Kielmansegg: Das ist schwer zu sagen, weil wir nicht wissen, wie stark die Taliban noch sind und wieviel Rückhalt sie bei den paschtunischen Stämmen in Pakistan haben.

Sie haben 1991 - noch in ihrer Zeit als aktiver Offizier - die Region am Hindukusch und die Paschtunen, aus denen sich die Taliban vornehmlich rekrutieren, besucht.

Kielmansegg: Ich war in Nord-West-Pakistan und habe dort die Paschtunen, ihre Kultur und die Geographie des Landes kennengelernt. Natürlich haben wir auch Abstecher über die afghanische Grenze gemacht. Diese Grenze ist eine rein politische, hüben wie drüben leben die gleichen Stämme in der gleichen Berglandschaft nach den gleichen Gesetzen. Unser westliches Denken verführt uns dazu, die enge Verflochtenheit der pakistanischen und der afghanischen Paschtunen zu unterschätzen. Genauso wie die ganz andere Mentalität in diesem Teil der Welt. Mit unseren Vorstellungen von Ethik, Politik, Leben und Sterben ernten Sie dort im besten Falle nur Unverständnis.

Das heißt, der Bürgerkrieg geht nun nicht in seine Endphase, wie der Westen sich das nach dem Vormarsch der Nordallianz vorstellt?

Kielmansegg: Wenn es nicht glückt, eine handlungsfähige Regierung aller Afghanen zu bilden, unter Umständen unter Sicherung von UN-Friedensstreitkräften, ist es unwahrscheinlich, daß der afghanische Bürgerkrieg nun wirklich zu Ende geht.

Amerikaner und Briten operieren bereits mit Kommandoeinheiten auch am Boden. Wollen sie Osama bin Laden finden und die al-Qaida in Afghanistan zerschlagen, werden sie diese Operationen wohl sogar noch ausweiten müssen. Besteht nicht die Gefahr, sukzessive in einen Bodenkrieg verwickelt zu werden?

Kielmansegg: Man scheint diesbezüglich in Amerika richtigerweise sehr vorsichtig zu sein. Bislang sind noch nicht einmal die notwendigen Mittel für einen solchen Einsatz der Army bereitgestellt worden. Die Einsätze gehen eher nach der Tatik hit and run vor sich, das heißt Kommandoeinheiten landen, erfüllen ihren Auftrag und werden wieder evakuiert. Vielleicht suchen oder sichern sie ein paar Tage vor Ort und übergeben dann, wenn irgendwie möglich, an einheimische Verbündete.

Ähnlich haben auch der amerikanische Vietnam- und der sowjetische Afghanistankrieg begonnen: Am Anfang schickte man nur Militärberater und hoffte, die einheimischen Verbündeten würden so alleine Herr der Lage werden. Schließlich sah man sich gezwungen einige spezialisierte Einheiten zu entsenden, dann Sicherungstruppen, um diese zu schützen, schließlich ging man auf Patrouille und zuletzt sah man sich gezwungen, den Kampf der schwächelnden Verbündeten zu übernehmen.

Kielmansegg: Ich glaube nicht, daß wir erneut solch einen Automatismus erleben werden, da alle militärisch beteiligten Nationen genau diese Gefahr aus den genannten Konflikten kennen.

Es ist den Amerikanern noch nicht einmal gelungen, in dem vergleichsweise überschaubaren Somalia den relativ unbedeutenden General Aidid zu fangen. Werden sie ihr eigentliches Kriegsziel, Osama bin Laden zu stellen, je erreichen?

Kielmansegg: Kurzfristig ist das unwahrscheinlich, langfristig - wenn die „Allianz gegen den Terror“ so lange durchhält - besteht immerhin eine Chance. Ansonsten können die Amerikaner nur auf den Zufall hoffen.

Die Russen haben 1996 immerhin ihren Feind im Tschetschenienkrieg, Dschochar Dudajew, mit einer Rakete töten können.

Kielmansegg: Das ist nicht vergleichbar, da es sich erstens bei Tschetschenien um ein sehr viel kleineres Land und um eine darauf begrenzte Aktion handelte. Zudem hatten Dudajew und die tschetschenischen Rebellen praktisch keinerlei Hilfe aus dem Ausland - nicht einmal unter den Kaukasiern hatten sie Verbündete.

Welche Rolle spielt der geplante Einsatz der Bundeswehr?

Kielmansegg: Da der Militäreinsatz der Allianz nun wohl bald beendet sein wird, spielt unser späterer Einsatz nur noch eine unterstützende Rolle.

Der israelische Militärtheoretiker Martin van Creveld nannte den deutschen Einsatz vergangene Woche in einem Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT „unbedeutend“ und eine rein „politische Maßnahme“.

Kielmansegg: Der Einsatz deutscher Truppen ist einfach eine conditio sine qua non, wenn Deutschland international eine Rolle spielen, bündnisfähig bleiben und nicht nur als Zahlmeister und politischer Zwerg herhalten möchte. Das hat Bundeskanzler Schröder durchaus richtig erkannt.

Besteht nicht die Gefahr, daß durch das Engagement der Bundeswehr Deutschland ins Visier der Terroristen kommt?

Kielmansegg: Auszuschließen ist das nicht. Allerdings glaube ich nicht, daß wir die Terror-Organisationen, gegen die die Allianz angetreten ist, noch zu irgendetwas provozieren können. Sie handeln ohnehin so, wie es ihren Interessen entspricht.

Müssen wir nicht mit Gefallenen am Hindukusch rechnen?

Kielmansegg: Wenn man in einen militärischen Einsatz geht, ist das nie auszuschließen. Wäre dem nicht so, könnten wir das Technische Hilfswerk schicken. Unsere Soldaten wissen das auch.

Nach den Erfahrungen in anderen Konflikten werden solche Engagements immer weiter ausgedehnt. Müssen wir schließlich nicht sogar mit einer Verstärkung der 3.900 Mann starken deutschen Truppe rechnen?

Kielmansegg: Das kann letzlich niemand mit Sicherheit beantworten. Da das Ende der entscheidenden Kampfhandlungen gegen die Taliban allerdings - zumindest was den Westen betrifft - absehbar zu sein scheint, glaube ich das nicht. Gegen bin Laden und die al-Qaida ist diese Bundeswehrtruppe aus Sanitätern, Nachschub, ABC-Spürern, Transportflugzeugen und Schiffen nicht direkt einsetzbar. Ganz abgesehen davon, daß wir eine solche Verstärkung mit unserer völlig dezimierten, unterfinanzierten und summa sumarum schlecht ausgerüsteten Bundeswehr sowieso wohl nicht leisten könnten.

Wir sind jetzt schon kaum noch in der Lage, unsere 7.000 Mann auf dem Balkan zu unterhalten.

Kielmansegg: So ist es, schon die müssen wir aus dem ganzen Heer zusammenstückeln. Das damit natürlich auch kaum mehr einsatzfähig ist.

Absurd - der Auftrag der Bundeswehr ist die Heimatverteidigung.

Kielmansegg: Da wir im Moment in Europa keine Bedrohungslage haben, verletzt dies unser Sicherheitsinteresse gegenwärtig nicht, sondern dient ihm. Aber politische Lagen können sich natürlich von heute auf morgen ändern. Eine Armee kann man schnell zugrunde richten, sie wieder aufzubauen, wenn man sie braucht, dauert dagegen Jahre.

 

General a.D. Hanno Graf von Kielmansegg  geboren 1935 in Hannover, als Sproß einer alten deutschen Soldatenfamilie. Unter dem Eindruck der Niederschlagung der Volksaufstände in der DDR 1953 und in Ungarn 1956 entschloß er sich Offizier in der soeben neu aufgestellten Bundeswehr zu werden. Nach verschiedenen Verwendungen in der Panzertruppe absolvierte er die Generalstabsausbildung. und diente sowohl bei der Nato in Brüssel als auch im Bundesministeriums der Verteidigung in Bonn. Zuletzt war er Chef des Stabes der Nato-Heeresgruppe Nord NORTHAG. 1991 bereiste er das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet. 1993 nahm er seinen Abschied.

 

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