© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Das Gespenst einer dritten Volkspartei geht um
Hamburg: Die Ausdehnung der Schill-Partei nach Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ist in vollem Gange / Ängste bei CDU und SPD
Peter Freitag

Ein Gespenst geht um in Sachsen-Anhalt, wo im April nächsten Jahres Landtagswahlen anstehen: Die ausdehnungsbegierige Schill-Partei sitzt bereits in den Startlöchern für den Wahlkampf und kann nach eigenen Angaben schon mit dreihundert Mitgliedern aufwarten. Bis Mitte Dezember sollen die Struktur und das Wahlprogramm stehen, verlautete aus Hamburg, wo Peter Müller als Chef-Koordinator für die Parteiausdehnung die Fäden in der Hand hält. Zunehmend verlagert sich der Aufbau eines Landesverbandes jedoch schon elbaufwärts, in ein „Schill-Büro“ in Magdeburg. Mit dieser Maßnahme soll der Eindruck vermieden werden, man wolle vom Westen aus das Land kolonisieren.

Der Aufbau, so betont die Partei immer wieder, erfolgt von unten nach oben; erst sollen sich die Orts- und Kreisverbände bilden, aus denen dann der Landesverband entsteht (mit mindestens 500 Mitgliedern bzw. drei Kreis- oder Bezirksverbänden). Auch das Wahlprogramm wird auf die besonderen Belange des Landes zugeschnitten sein, heißt es. Als Themenschwerpunkte stehen die Förderung der mittelständischen Wirtschaft und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ganz oben. Für das Antreten zur Wahl braucht die Partei zudem noch 1.000 Unterschriften von Wahlberechtigten, was bei der derzeitigen Stimmungslage kein Problem darstellen dürfte.

Nachdem bereits im Oktober eine Telefon-Umfrage des IWD-Marktforschungsinstitutes in Sachsen-Anhalt ein Ergebnis von 21 Prozent Zustimmung für die neue Partei vorhersagte, gilt dieses Bundesland als Favorit unter den Ausdehnungszielen. Die optimistischen Prognosen fallen besonders bei früheren Mitgliedern der etablierten Parteien auf fruchtbaren Boden. So untermauerte kürzlich Klaus Bierende, Bürgermeister des Städtchens Egeln bei Magdeburg, bis vor drei Jahren SPD-Mitglied und für diese Partei auch einst Landtagsabgeordneter, seinen Entschluß zum Beitritt in die Schill-Truppe mit der Weissagung: „Das wird hier eine dritte Volkspartei.“ Tatsächlich droht die Partei Rechtsstaatlicher Offensive allen größeren Parteien enttäuschte Wähler abzujagen, nicht zuletzt auch von der PDS. Die SPD, von den Postkommunisten geduldete Regierungspartei, führt zur Zeit als einziges Argument gegen die neue Konkurrenz nur deren politische Unerfahrenheit ins Feld. Sollte jedoch stimmen, was aus Hamburg über die Zusammensetzung des künftigen Landesverbandes zu hören ist, so versammeln sich unter dem Dach der Schill-Partei überproportional viele Selbständige, Akademiker und kommunal- oder sogar landespolitische Mandatsträger.

Die Sorge in der CDU versteckt sich bisher unter kraftmeierischen Sprüchen nach dem Motto: Die werden hier nicht gebraucht, das machen wir selbst! Umfrageergebnisse aus dem benachbarten Mecklenburg-Vorpommern sollten die Union jedoch warnen: Dort könnte die Schill-Partei den Christdemokraten wertvolle sechs Prozent abnehmen.

Neben dem ehemaligen Sozialdemokraten Bierende gilt auch der aus der CDU kommende Berufsoffizier Norbert Hoiczyk als Anwärter auf ein Mandat für die Schill-Partei. Allerdings haben der Zustrom und eine zum Teil auf private Initiative hin angelegte Mitgliederwerbung auch ihre Schattenseiten. In Sachsen-Anhalt gilt die Sorge um die innerparteiliche Hygiene nicht nur bezüglich ehemaliger Mitglieder rechter Parteien, die unerwünscht sind, sondern auch im Hinblick auf ehemalige Stasi-Leute oder SED-Seilschaften, die es auszugrenzen gilt. So beargwöhnte die Mitteldeutsche Zeitung eine Mitgliederwerbeaktion im Ohrekreis, die ein studierter DDR-Staatswissenschaftler und früherer Vorsitzender der „Gesellschaft für Sport und Technik“ - die vormilitärische Ausbildungseinrichtung der DDR - organisiert hatte.

In Hamburg hat sich Innensenator Schill, wie bereits bei seinem Amtsantritt erwartet worden war, zunächst einmal des Polizeipräsidenten Justus Woydt entledigt. Unerheblich ist, ob Woydt nun selbst das Gesuch eingereicht hatte, oder nicht: Zu seiner Verabschiedung waren weder der Behörden-Chef Schill noch Staatsrat Dirk Reimers (SPD) erschienen, was auf das frostige Verhältnis schließen läßt. Woydts Stuhl hatte zudem schon längst vor dem Machtwechsel im Senat gewackelt, als noch unter Ortwin Runde Innensenator Hartmuth Wrocklage durch den SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz ersetzt worden war. Die katastrophale Lage der Inneren Sicherheit in der Hansestadt, die Schills Erfolg beflügelte, wird auch unter Sozialdemokraten zu einem nicht unerheblichen Teil Woydts Wirken angelastet. Der hatte nämlich nicht vorrangig die kriminelle Szene in St.Georg im Auge, das seiner Ansicht nach „schön multikulturell“ sei, sondern ließ lieber Polizeischüler durch beamtete Aufpasser überwachen, damit jene sich nicht danebenbenähmen. Diese Form der „neuen Offenheit im Umgang miteinander“, die Woydt selbst als seinen Beitrag für die Polizei würdigte, goutierte seinen Untergebenen offensichtlich nicht, so daß ihr Chef von seinem Ansinnen Abstand nehmen mußte. Hinter vorgehaltener Hand machte man in der Polizei auch keinen Hehl aus der Feststellung, daß Woydt als Kompetenznachweis in erster Linie nur das SPD-Parteibuch und die Freundschaft zu Wrocklage bieten konnte. Zuvor war er Kanzler der Technischen Universität Harburg. Argwöhnischen Menschen bleibt es überlassen, einen Zusammenhang dazu herzustellen, daß ausgerechnet diese Institution als Basis islamistischer Terroristen in die Schlagzeilen geriet. Die Leitung der Hamburger Ordnungshüter übernahm kommissarisch der stellvertretende Polizeipräsident Wolfgang Sielaff.

Nachdem Innensenator Schill bereits im Wahlkampf die Sicherheitspolitik in Bayern als vorbildhaft gelobt hatte, revanchierte sich sein Kollege Beckstein nun mit einer positiven Antwort auf ein „Amtshilfeersuchen“ aus dem Norden. Während die übrigen Innenminister verschnupft auf die Initiative Schills reagierten, Polizisten nach Hamburg abzuwerben, will der Bayer zunächst zwanzig Freiwillige an die Elbe entsenden. Schill sprach in diesem Zusammenhang bereits von einer „Sicherheitsachse München - Hamburg“. Darüber hinaus steht jetzt die Einstellung des ersten Kontingents von Angestellten im Polizeidienst auf der Tagesordnung. 280 dieser Angestellten werden in einem zehnwöchigen Lehrgang an der Landespolizeischule ausgebildet und sollen ab Ende April nächsten Jahres ihren Dienst aufnehmen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte diese Maßnahme, forderte jedoch eine Zahl von 500 angestellten Polizisten. GdP-Chef Freiberg zeigte sich erstaunt darüber, daß tatsächlich Beamte aus einem anderen Bundesland nach Hamburg entsandt worden seien, effektiv bedeuteten die zwanzig Bayern jedoch nur „einen Tropfen auf den heißen Stein“.

Auch die Justiz wurde vom neuen Senat bereits in einem ersten Schritt personell aufgestockt, indem 15 neue Stellen bei der Staatsanwaltschaft eingerichtet worden sind. Geprüft werden muß derzeit noch der Standort für ein zu errichtendes geschlossenes Heim für straffällige Jugendliche.

 

Fototext: Ronald Schill am Rande der Innenministerkonferenz in Meisdorf (Sachsen-Anhalt): In Mecklenburg-Vorpommern könnte die Schill-Partei den Christdemokraten sechs Prozent Wählerstimmen abnehmen.


 
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