© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
„Heute würde ich das anders formulieren“
Vertriebene: Der Thüringer BdV-Chef Paul Latussek äußert sich zu seiner von vielen Seiten kritisierten Rede / „Keiner in unserem Verband leugnet den Holocaust“
Jörg Fischer

Herr Latussek, Ihre Rede vom 9. November in Arnstadt auf dem Verbandstag des Landesverbandes Thüringen des Bundes der Vertriebenen (BdV) ist auf massive Kritik gestoßen. Die Thüringer Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht forderte Ihren Rücktritt und meinte: „Das Maß ist endgültig voll.“ PDS-Fraktionschef Bodo Ramelow forderte, Ihrem Verband „jetzt und sofort die Gelder auszusetzen“. Der Erfurter Sozialminister Frank-Michael Pietsch (CDU) nahm diese Forderung auf und wies an, „die laufende Förderung des BdV zu überprüfen“. Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) erklärte: „Wer Auschwitz leugnet, wer Auschwitz relativiert, kann kein Gesprächspartner der Thüringer Landesregierung sein.“ Am 12. November leitete die Staatsanwaltschaft in Erfurt sogar ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung ein. Haben Sie in Ihrer Rede wirklich den Massenmord in Auschwitz geleugnet?

Latussek: Selbstverständlich nicht! Anstoß fand man an einem kleinen Abschnitt in meiner Rede, der in den Medien falsch wiedergegeben wurde. Ich zitierte damals Friedrich den Großen und sagte: „Die Wahrheit hat weder Waffen nötig, um sich zu verteidigen, noch Gewalttätigkeit, um die Menschen zu zwingen, an sie zu glauben. Sie hat nur zu erscheinen, und sobald ihr Licht die Wolken, die sie verbergen, verscheucht hat, ist ihr Sieg gesichert.“ Ich sagte weiter: „Noch verhindern die Wolken einer bewußt betriebenen einseitigen Kollektivschuldzuweisung gegenüber unserem Volke den klaren Blick zur Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren europäischen Geschichte und über die Kriegsschuld in den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts. Dies wird sich bald ändern, da die Lügen über Katyn, Jedwabne und die Aussagen über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht mehr länger zu halten sind. In Auschwitz gab es offensichtlich keine sechs Millionen Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930.000 nachgewiesen. Dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit. Sie kennen meine Einstellung, daß jedes Opfer eines Verbrechens, eines zuviel ist.“ Ich habe also keineswegs den Holocaust geleugnet.

Macht es Sie nicht nachdenklich, wenn selbst BdV-Präsidentin Erika Steinbach (CDU) und das BdV-Präsidium in Bonn zu Ihnen auf Distanz gehen und Ihre Äußerungen als „unerträglich und völlig inakzeptabel“ bezeichnen?

Latussek: Erstens weiß ich genau, daß nicht alle BdV-Präsidiumsmitglieder dieser Erklärung zugestimmt hatten. Zweitens bin auch ich Mitglied des BdV-Präsidiums. Frau Steinbach hat mich zunächst überhaupt nicht persönlich angesprochen. Sie hat Erklärungen herausgegeben, ohne zuvor ein einziges Wort mit mir zu reden. Wenn man den Text liest, wird man keinen Widerspruch zu den Zielen des BdV finden.

International anerkannte Historiker sprechen heute von 1,2 bis 1,6 Millionen Opfern im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Zweifelen Sie diese Zahlen an?

Latussek: Also Verbrechen bleiben Verbrechen, und keiner in unserem Verband leugnet den Holocaust! Dazu haben wir uns schon mehrfach eindeutig positioniert. Es sind Millionen Juden umgebracht worden, es hat Millionen Opfer gegeben! Mein Standpunkt ist klar: Jedes Verbrechen ist eines zuviel, und es gibt kein Verbrechen, das man durch ein anderes Verbrechen relativieren kann! Diese Aussage zu den Opfern in Auschwitz habe ich unter dem Gesichtspunkt der Aufarbeitung der Geschichte gemacht. Ich war gerade von einer Reise aus Polen zurückgekehrt. Dort wurde mir gesagt, nach neuesten Forschungen sind in Auschwitz bislang 930.000 jüdische Opfer registriert. Mein Fehler war, daß ich diese Zahl an einer falschen Stelle genannt habe, das hätte ich vermeiden müssen. Das will ich auch einräumen. Heute würde ich das anders formulieren.

Sie räumen also ein, daß Ihre Rede mißverständlich war?

Latussek: Nein, bei den 231 BdV-Delegierten ist es richtig angekommen. Das haben auch die Gespräche mit den Delegierten nach dem Verbandstag ergeben. Die Mitglieder wissen, daß ich kein Auschwitz-Leugner bin. Ich wurde nach der Rede mit 97 Prozent wiedergewählt.

Trotzdem häufen sich die Rücktrittsforderungen gegen Sie. Die Arbeit der Vertriebenen steht unter massiver Kritik, nicht nur von der PDS. Was hat die BdV-Spitze gegen Sie unternommen?

Latussek: Aus dem BdV-Thüringen gibt es keine Rücktrittsforderungen. Der Vorstand und die Kreisverbände haben mir am 14. November das Vertrauen ausgesprochen. Ich war vergangenen Montag in Berlin. Dort gab es mit den Präsidiumsmitgliedern der Bundesebene eine sehr sachliche Diskussion. Man hat aber auch nur über die Außenwirkungen gesprochen, die die Pressemeldungen ausgelöst haben. Auch ich möchte nichts mit Leuten zu tun haben, die die Verbrechen der Nazi-Zeit leugnen. Insofern kann ich die scharfen Reaktionen der Öffentlichkeit verstehen. Ich bemühe mich deshalb weiter um eine sachliche Aufklärung. Frau Steinbach organisiert aber trotzdem die Einberufung einer Bundesversammlung, die dann über meine weitere Mitarbeit entscheidet.

Sie wollen im Amt bleiben?

Latussek: Ich habe in den letzten Tagen sehr viel Solidarität erlebt. Es sind hunderte Schreiben bei mir eingegangen. Die Leute kennen mich und wissen ja, daß ich so etwas nicht sagen würde.

Sie hatten einen Lehrauftrag für Elektrotechnik an der Technischen Universität Ilmenau. Der ist Ihnen jetzt entzogen worden. Verstehen Sie diese Reaktion?

Latussek: Ich war viele Jahre an der Universität. Und dann habe ich über die Presse erfahren, daß mein Lehrauftrag zurückgezogen worden ist. Mein Kündigungsschreiben ist mir erst zwei Tage später zugegangen So etwas hat es überhaupt noch nicht gegeben! Diese Vorverurteilung erinnert mich stark an DDR-Zeiten! 

 

Dr. Paul Latussek wurde 1936 in Gleiwitz / Oberschlesien geboren. 1945 flüchtete seine Familie nach Sachsen, 1956 kam er nach Thüringen. Er studierte Elektrotechnik in Dresden und Ilmenau. 1990 saß er für die DSU in der Volkskammer. Seit 1991 ist er BdV-Chef in Thüringen.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen