© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Unschuldige Opfer des Krieges
Ein Gedenkstein erinnert jetzt an das Leid deutscher Mädchen und Frauen, die nach dem Krieg in den Osten verschleppt wurden
Werner H. Krause

Unmittelbar nachdem die Rote Armee in Ost- und Westpreußen, Schlesien und Pommern eingedrungen war, begann sie mit der Verschleppung zehntausender junger Frauen und Mädchen. Viele von ihnen wurden vergewaltigt und anschließend auf bestialische Weise umgebracht. Das Los der anderen bestand in jahrelanger Zwangsarbeit jenseits des Urals. Hunger, Kälte, Krankheit und Entkräftung dezimierten Monat für Monat ihre Zahl. Jene, die überlebten und zurückkehrten, hatten oftmals ein Trauma erlitten, das sie nie wieder loswurden.

Einige von ihnen fanden dennoch die Kraft, niederzuschreiben, was ihnen in den Weiten Sibiriens widerfuhr. Eines der erschütterndsten Bücher stammt von Hildegard Rauschenbach. Es trägt den Titel: „Verzeihen ja, vergessen nie“ und schildert das schreckliche Erleben in Schadrinsk, wo schmächtige Frauen Tag für Tag gezwungen wurden, Baumstämme aus tiefverschneiten Wäldern zu schleppen.

Jahrzehntelang nahm kaum jemand in der Bundesrepublik vom Schicksal und Leid dieser Frauen Kenntnis. Erst dieser Tage wurde auf dem ehemaligen Standortfriedhof in der Lilienthalstraße in Berlin-Tempelhof ein Gedenkstein enthüllt, welcher mit der Mahnung verbunden ist, uns dieser Frauen als Opfer des Krieges zu entsinnen. Er fand seinen Platz unweit jener Stelle, wo sich viele Kriegsgräber deutscher Soldaten befinden, die im April 1945 bei den Kämpfen um Berlin kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges noch ihr Leben verloren. Daß es nach mehr als fünf Jahrzehnten endlich dazu gekommen ist, diesen deportierten Frauen einen kleinen Ehrenhain als Stätte unserer Trauer und Erinnerung zu errichten, geschah auf eine Initiative des Frauenverbandes innerhalb des Bundes der Vertriebenen, deren Präsidentin Sibylle Dreher sich hierfür mit ganzem Herzen eingesetzt hat. Viele überlebende Frauen waren von weither angereist, um in dieser Stunde ihrer toten Kameradinnen zu gedenken. Auch Hildegard Rauschenbach war gekommen, um, wie sie sagte, für das Leid aller deportierten Frauen Zeugnis abzulegen, denen die Bundesregierung bis zum heutigen Tage keinerlei Entschädigung für ihr erlittenes Unrecht zubilligt. Der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Karl-Wilhelm Lange, erinnerte in seiner Ansprache zur Enthüllung des Denkmals an das unendliche Leid hunderttausender deutscher Frauen und Mädchen, an Vergewaltigung, Verschleppung und jahrelange Zwangsarbeit. Er verwies darauf, daß sich seit 1995 auch im russisschen Schadrinsk eine ähnliche Stele aus Granit erhebt. Bürger der sibirischen Stadt hatten sie als Ausdruck ihres Mittrauerns an einem Gemeinschaftsgrab errichtet, in dem die Leichname der im dortigen Gulag umgekommenen deutschen Mädchen und Frauen liegen. Lange wertete dies als ein Zeichen dafür, daß über Gräber hinweg eine Versöhnung möglich sei, sofern die Wahrheit über Geschehnisse den Gradmesser heutiger Handlungen bestimme.

Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) setzte sich in ihrer Ansprache mit der Frage aueinander, ob es uns bislang an Mut gefehlt habe, einmal öffentlich auszusprechen, daß auch Deutsche wie diese deportierten Mädchen und Frauen zu unschuldigen Opfern des Krieges geworden seien. Man habe sich lange Zeit gescheut, darüber zu reden, doch dürfe dieses Thema nicht weiterhin verdrängt werden. Was ihnen von Rotarmisten angetan wurde, dürfe nicht länger verschwiegen werden.


 
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