© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Am Rande des Abendlandes
Ludwig Steindorffs Darstellung zur Geschichte Kroatiens vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Carl Gustaf Ströhm

Um Kroatien ist es ein wenig still geworden, seit in Zagreb eine mit Kommunisten durchsetzte Linkskoalition regiert und die Konflikte sich in Richtung Kosovo und Mazedonien verlagert haben. Dennoch scheinen die Probleme dieser Nation zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeer sowie am Rande des Balkans (zu dem Kroatien nicht gehören will) keineswegs ausgestanden. Selbst dramatische Wendungen sind - wie so oft in der kroatischen Geschichte - nicht auszuschließen.

Das Kroatien-Buch des Kieler Osteuropa-Historikers Ludwig Steindorff, erschienen in der Reihe „Geschichte der Länder und Völker Ost- und Südosteuropas“, füllt eine Lücke in der ansonsten nicht überreichlich gesegneten deutschsprachigen Literatur über dieses Land. Es handelt sich um ein solides Handbuch, gut geeignet zum Nachschlagen und für Politiker wie Wirtschaftsbosse durchaus zu empfehlen. Steindorff zeichnet den Weg der Kroaten, eines slawischen Volkes, durch die Geschichte - seit der Völkerwanderungszeit. Die Frühzeit der Kroaten, ihr erster König Tomislav, die Nachbarschaft und Verbindung mit Ungarn, der Aufstieg Dubrovniks und nicht zuletzt das unerschöpfliche Thema Bosnien: das alles bietet dem Leser meist für ihn völlig neue Einsichten in das Werden einer Nation, die zweifellos zu Europa gehörte und gehört, die aber stets auch eine Nation an der Grenze war - zwischen dem orthodoxen Byzanz und dem römisch-katholischen Europa, zwischen dem Heiligen Römischen Reich oder dem Habsburger Reich und den Osmanen (Türken).

Durch fast die gesamte Geschichte erkennt man die Sehnsucht der Kroaten nach einem eigenen Staat - und immer wieder die tragische Unausweichlichkeit, sich mit anderen zusammentun zu müssen, weil das eigene Gewicht zu schwach war oder die von außen einwirkenden Mächte zu schwach. So ist die Geschichte der Kroaten im Grunde tragischer verlaufen, als jene der meisten Völker in ihrer Nachbarschaft. Das wirkt sich bis auf den heutigen Tag im Volkscharakter, wenn man so will: im kollektiven Unterbewußtsein aus.

Naturgemäß wird den Leser besonders die Neuzeit, und hier vor allem das Schicksal Kroatiens im 20. Jahrhundert interessieren. Steindorff schildert zutreffend den Weg aus der Habsburger Monarchie, der die Kroaten über Jahrhunderte angehörten, und dem Ersten Weltkrieg in das in den Pariser Vorortverträgen neuenstehende Jugoslawien. Der Autor kommt sowohl auf den kroatischen „Ostascha“-Staat wie auf den Partisanenkrieg zu sprechen und verschweigt auch nicht die Vorfälle bei der gewaltsamen Auslieferung der kroatischen Armee durch die Briten an Tito 1945.

Die letzten Kapitel befassen sich mit der Entstehung der Republik Kroatien nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus. Stein-dorff tritt hier jenen entgegen, welche der Meinung sind, die diplomatische Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens sei 1991 (hauptsächlich durch die BRD) „zu früh“ erfolgt. Der Autor wehrt sich auch gegen die Auffassung, der Krieg, der dann 1991 zwischen Kroaten und Serben ausbrach, sei zu vermeiden gewesen. Milosevics Politik habe bereits seit 1987 den Weg zum Krieg gewiesen.

Weniger befriedigend als der Großteil des Buches, sind die letzten Seiten, wo sich Steindorff mit der Krise der Partei des Staatsgründers und ersten Präsidenten Franjo Tudjman, mit dessen Tod und mit den Januarwahlen 2000 befaßt, durch welche die gegenwärtig regierende Linkskoalition ans Ruder kam. Daß es im Kroatien Tudjmans keine Meinungsfreiheit gegeben habe und „unbotmäßige Journalisten“ sich vielfachen „Verleumdungsklagen“ ausgesetzt sahen, ist eine von den Wendekommunisten gerne verbreitete Legende. In Wirklichkeit ist die Situation genau umgekehrt: unter Tudjman und sogar während der Jahre des „vaterländischen Krieges“ 1991 bis 1995 herrschte eine weitaus liberalere öffentliche Stimmung und Meinung als heute. Das Zagreber Linksregime hat mit „Säuberungen“ nicht nur in Diplomatie und Staatsdienst begonnen (35 Botschafter wurden damals „gesäubert“). Sie hat auch Medienkonformität und Gesinnungsdruck geschaffen, wie er nach 1990 unbekannt war.

Auch die Einschätzung dieser Linksregierung erscheint zu optimistisch. Doch mag das damit zusammenhängen, daß das Buch offenbar vor den neuesten innenpolitischen Konvulsionen abgeschlossen wurde - und daß auch Steindorff mehr auf die Regierungsmeinung schaut als auf die Opposition. Daß in diesem Zusammenhang das Problem rückkehrender Serben und unzufriedener Kriegsteilnehmer weitgehend ausgespart wurde, ist vielleicht unvermeidlich, aber dennoch ein Schönheitsfehler.

 

Ludwig Steindorff: Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2001, 272 Seiten, 49,80 Mark

 

Dr. Carl Gustaf Ströhm ist Osteuropa-Historiker und Korrespondent für diese Region von Christ und Welt, Die Welt und seit 2000 für die JF.


 
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