© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Medien: Der Musiksender MTV steht in der Gunst der Zuschauer wieder ganz oben
Sprungbrett für Popkarrieren
Claus-M. Wolfschlag

Die Bundeshauptstadt schien fast um eine attraktive Adresse reicher: Der Musiksender MTV plane seinen vollständigen Umzug von München nach Berlin, hieß es Anfang vergangener Woche nach Informationen eines Branchendienstes. MTV-Geschäftsführerin Catherine Mühlemann verhandele bereits mit Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit und Bernd Schiphorst, dem Medienbeauftragten für Berlin-Brandenburg, über die Bedingungen. Der Umzug hätte Berlin als Metropole des Showgeschäfts bekannter machen und Unterhaltungs-Prominenz verstärkt anziehen können; es stellte sich jedoch als Zeitungsente heraus: „Es mag durchaus sein, daß Berlin Interesse an uns hat“, so Mühlemann zu den Gerüchten. Man hätte ja schon 30 Mitarbeiter in der Stadt - das reicht dann auch aus, wurde die Spreemetropole als Standort abgewatscht! Also bleibt MTV im Bayernland.

Betrachtet man nur die Veranstaltungen des Musiksenders, dann haben sie mittlerweile den Charakter von Großevents angenommen. Am 8. November wurden vor 700 Zuschauern in der streng abgesicherten Frankfurter Festhalle zum achten Mal die „MTV Europe Musik Awards“ verliehen - zum zweiten Mal erst in Deutschland. Zahlreiche nationale und internationale Popstars wie Kylie Minougue oder Gruppen wie Depeche Mode, R.E.M., Rammstein oder die No Angels bevölkerten die Mainmetropole. Clubs wie das „190east“, das „U60311“, das „Capitol Offenbach“ ebenso wie die „Schirn“ boten ein auf die MTV-Veranstaltung ausgerichtetes Party-Programm an. 3.500 Eintrittskarten à 105 Mark standen für die Zentralveranstaltung auf dem freien Markt zur Verfügung. Sie waren binnen einer halben Stunde ausverkauft.

In der zweieinhalbstündigen, vom britischen Komiker Ali G. moderierten Verleihungszeremonie tauchten Bekanntheiten wie Boris Becker oder Xavier Naidoo auf und überreichten den Preisträgern die Trophäen für die 20 Kategorien wie „Bester Sänger“, „Beste Sängerin“, „Bester Song“ oder „Bestes Video“. Jennifer Lopez und Robbie Williams als beste Interpreten glänzten mit Abwesenheit und übermittelten ihre Dankesreden nur über Video. Mehrfach ausgezeichnet wurden die US-Rocker Limp Bizkit, die Hip-Hop-Band Gozillaz und Sänger Craig David. Preise gingen auch an Rapper Eminem und Soul-Röhre Anastacia. Der Hamburger Samy Deluxe heimste den Preis für die deutsche Wertung ein.

MTV kann mittlerweile auf eine zwanzigjährige Geschichte zurückblicken, denn der erste Videoclip flimmerte in den USA bereits am 1. August 1981 aus den TV-Bildröhren. Die Idee eines Musik-Startprogrammes, basierend auf zuvor abgedrehten Videoclips, war zu diesem Zeitpunkt innovativ. MTV entwickelte sich aufgrund dieses modernen Konzepts zu einem Kultsender, der zunehmend die Sehgewohnheiten und die Lebensart Jugendlicher im globalen Rahmen beeinflußte. Das MTV-Grundkonzept wurde entworfen von der Warner Amex Satellite Entertaiment unter leitender Hand von Robert Pittmann. Vorboten dieser Entwicklung konnte man bereits in den 1970er Jahren ausmachen. Popclips, die aus der Verbindung von Musik und visualisierter Darbietung lebten, waren vereinzelt zu Werbezwecken bereits von der Plattenindustrie hergestellt worden. In der Entstehungsphase von MTV befand sich die Musikindustrie in einer Absatzkrise und hoffte auf neue Marketingstrategien. So trafen die Argumente des Musiksenders, durch die mediale Inszenierung des Künstlers im sich in den USA zunehmend ausweitende Kabel- und Satellitenkanälen, die technischen Voraussetzungen zu Spartenkanälen für eine spezielle Zuschauerklientel. MTV nahm sich dabei der bislang nur unzureichend abgedeckten Zielgruppe der Jugendlichen an und erntete großen Erfolg.

Als dann Anfang der Achziger der Sender seinen Sendebetrieb aufnahm, tat er dies mit einem symbolträchtigen Spot: gezeigt wurden Bilder der Mondlandung von 1969, unterlegt mit Monumentalmusik. Astronaut Neil Amstrong plazierte allerdings eine MTV-Flagge auf der Oberfläche des Mondes. Danach lief tiefgründig der Clip „Video killed the Radio Star“ von den Buggels. Anfänglich zeigte der Sender seine Clips noch pausenlos auf einer Endlosschleife, richtete sich geschmacklich an der Gruppe der jungen, städtischen, weißen Männer aus, die damals Rockmusik bevorzugten. Als der Mediengigant Viacom bald MTV übernahm, wurde dieses Konzept schrittweise fallengelassen. Man orientierte sich an weiter gesteckten Zielgruppen und legte feste Programmelemente fest, zum Beispiel Konzert-Mitschnitte (MTV- Unplugged) oder Clips aus dem immer stärker das Programm dominierenden schwarzen Hip-Hop Bereich („Yo! MTV“). Hinzu kamen Kunstattribute, zum Beispiel Comicserien wie „Beavis and Butthead“.

MTV emanzipierte sich vom Medium zur reinen Darstellung von Produkten der Musikindustrie hin zum Sprungbrett für neue Popkarrieren. Musikgruppen wurden erst über MTV bekannt gemacht. Der MTV-Stil schuf zudem neue ästhetische Formen, beispielsweise jungen Moderatoren in trendiger Kleidung und mit kessem Redeschwall oder Eigenwerbe-Trailer innovativer Mediendesigner. Mitte der 1980er Jahre begann zudem die Expansion außerhalb der amerikanischen Basis, so daß das Musikprogramm heute etwa 166 Millionen Menschen weltweit erreicht.

Dennoch wurden der Vision des globalen englischsprachigen Musikfernsehens auch Grenzen gesetzt. Beispielsweise bietet Deutschland den drittgrößten Musikmarkt der Welt und wurde von MTV als perfektes Aktionsfeld betrachtet. Dies machte allerdings 1993 der damals noch kleine Kölner Sender VIVA zunichte, der MTV recht schnell auf Platz zwei in der Zuschauergunst verwies. Zwar blieb die Musik aus den USA ein wichtiger Angelpunkt, aber der nationale Bezug trat stärker in den Vordergrund. Jugendliche wollen Musik von Bands ihrer Heimatstädte, Berichte über Bekleidunggeschäfte in Stuttgart und Berlin hören. Die Deutschsprachigkeit und eine stärkere lokale Bezogenheit des Musikfernsehens wurden zum Renner.

MTV reagierte mit der Gründung von MTV-Deutschland, das die Losung „Think global - act local“ vertrat. Ein Erfolgsrezept, denn mit dem schleichenden Niedergang, der Kommerzialisierung und zunehmenden Gleichschaltung im Programm von VIVA, das dseine Unabhängigkeit stark verloren hat, erreichte MTV, wieder die Nummer Eins in der Gunst der jugendlichen Zuschauer zu werden.


 
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