© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001


Wehrmacht und Afghanistan
Die Gesichter des Krieges
Dieter Stein

Wer ist nicht überrascht von der atemberaubenden Entwicklung im Krieg gegen Afghanistan. Ja, wir wissen, daß es „Krieg gegen den Terror“ heißen muß. So lautet die propagandistische Formel, die uns tagtäglich eingehämmert wird. Noch vor wenigen Wochen hieß es, die Taliban-Kämpfer erwiesen sich als erstaunlich zäh. Doch nun hat die „Nordallianz“ den Gegner überrannt und die alten Herrscher bis auf einen südlichen Teil zürückgetrieben.

Hat Peter Scholl-Latour unrecht gehabt, als er in der JUNGEN FREIHEIT kurz nach den Anschlägen vom 11. September äußerte, die Amerikaner werden „aller Voraussicht nach ihren Feldzug nicht gewinnen“? Wie es jetzt aussieht, hatten sie Erfolg mit ihrem ununterbrochenen Bombardement des Landes am Hindukusch.

Aber wir können auch gar nicht sehen, was dort wirklich passiert. Es gibt eine, besonders von amerikanischen Medien betriebene (Selbst-) Zensur, die verhindert, daß Bilder gezeigt werden, die die Zweischneidigkeit dieses Krieges vor Augen führen. Bilder, die zeigen, wie sehr die Bestialität der afghanischen Kämpfer jenseits europäischer Vorstellungskraft liegt.

Da eröffnet just dieser Tage die überarbeitete Wehrmachtsausstellung ihre Pforten. In dezenterer, subitiler Weise werden die deutsche Armee des Zweiten Weltkrieges und ihre Soldaten unter den Verdacht eines „Vernichtungskrieges“ gesetzt. Konsequenzlos scheint diese Art der Geschichtsbewältigung, wenn dieselben, die diese Ausstellung und ihre Intentionen begrüßen, deutsche Soldaten partout in einen Krieg schicken wollen, in dem westliche Armeen Truppen unterstützen, die sich über die Vorwürfe gegen die Wehrmachtssoldaten amüsieren würden, weil sie es gewohnt sind, einen Krieg ohne Rücksicht auf so etwas aus ihrer Sicht Sentimentales wie die Genfer Konvention zu führen. Die Bilder sehen wir nicht.

Die Ritterlichkeit zwischen deutschen Soldaten auf der einen und polnischen oder russischen Soldaten auf der anderen Seite, die trotz schwerer Verfehlungen und Verletzungen des Kriegsvölkerrechts überwog und die nach seriöser Forschung wohlgemerkt weniger der deutschen Seite, sondern in erdrückender Zahl der sowjetischen Seite anzulasten ist, mutet idyllisch an gegenüber den archaischen Riten, die sich in Afghanistan Bahn brechen. Nur: hiervon erfahren wir nur in Ansätzen. Die Bilder sehen wir nicht.

Da ist beispielsweise von einem Aufstand im afghanischen Masar-i-Scharif die Rede, bei dem 500 Gefangene der Taliban in einer Meuterei versuchten, die Gewalt an sich zu reißen. Sie sollen durch Jagdbomber, Panzer und Gewehrfeuer niedergemacht worden sein, bis zum letzten Mann.

Wenn einem die jeweils neue afghanische Regierung unbequem zu werden droht, kann man gegebenenfalls die posthum aufgewärmten Kriegsverbrechen von „Nordallianz“-Kämpfern verwenden, um politischen Druck auszuüben. Zum Beispiel, falls amerikanische Ölkonzerne nicht zügig Baugenehmigungen für Pipelines erhalten.


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