© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Der Fuß in der Tür
Afghanistan als Dominostein: Die Interessen der USA in Zentralasien
Michael Wiesberg

Oberflächlich betrachtet scheint der Anti-Terror-Krieg, den die USA in Afghanistan gegen die dortigen Vertreter des extremistischen Islam führen, zunächst eine Art Vergeltungsfeldzug der „zivilisierten Welt“ zu sein. So wird dieser Krieg, der von einem anfänglichen Krieg gegen den Terror zu einem Terrorkrieg gegen das afghanische Volk mutiert ist, im Westen propagandistisch in Szene gesetzt.

Unter dieser Oberfläche sind allerdings ökonomische Entwicklungen zu konstatieren, dient der Krieg in Afghanistan doch auch und gerade der Absteckung von Einflußzonen zwischen den USA und Rußland in Zentralasien; einer Region, die lange unter dem Einfluß der Sowjetunion stand, in der aber auch der Iran und Pakistan eine traditionell starke Rolle spielen. Damit ist auch gesagt, daß dieser Krieg mit über den Zugriff auf die Erdöl- und Erdgasreserven in dieser Region entscheiden wird. Der Schlüssel für die Ausbeutung dieser Reserven liegt in der Kontrolle der Pipelines, die im Westen durch den Kaukasus und im Osten durch Afghanistan laufen sollen. Die preisgünstigste und effizienteste Route, die durch den Iran führen würde, haben die USA aus politischen Gründen (bisher) immer wieder abgelehnt. Mit der im Westen geplanten Route Baku-Ceyhan konnten sich insbesondere die involvierten US-Erdölfirmen nicht anfreunden, weil diese zu lang und damit nicht wirtschaftlich genug ist. Damit ist Afghanistan eine immer stärkere Schlüsselrolle in den Überlegungen zugewachsen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß das Land befriedet ist. Genau dies versuchen die USA gerade auf ihre Art zu erreichen.

Diese stehen inzwischen unter erheblichem Zugzwang: Mehr und mehr hat sich in den letzten Monaten Rußland Vorteile im Rennen um die Ressourcen am Kaspischen Meer verschaffen können. Am 27. November dieses Jahres ist eine neue Erdölpipeline von den kasachischen Erdölfeldern von Tengiz zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk offiziell in den Dienst genommen worden. Wenn die Ölhähne in Noworossijsk geöffnet sein werden, kommt dieses für Rußland einem wichtigen Etappengewinn in dem geopolitischen und -ökonomischen Tauziehen um die Ausbeutung der Energiereserven rund um das Kaspische Meer gleich.

In den neunziger Jahren versuchte die USA die Ausbeutung der Reserven durch politische Einflußnahme zu forcieren. Washington wollte zum einen seine Abhängigkeit von den Golfstaaten verringern und zum anderen den US-Erdölfirmen lukrative Geschäftsfelder eröffnen. Zudem sollte das eigene Gewicht in dieser Region vergrößert und die Abhängigkeit zentralasiatischer Staaten von Rußland verringert werden. Der von den USA genährte Petrodollar-Traum vieler zentralasiatischer Staaten wird nämlich nur dann Realität werden, wenn geeignete und wirtschaftliche Exportrouten gefunden werden. Bisher hat nur ein geringer Teil dieser Ressourcen den Weg zu den westlichen Märkte gefunden. Immer noch verlaufen alle nennenswerten Exportrouten durch russisches Gebiet. Rußland, selber Erdöl- und Erdgasproduzent, öffnet seine Pipelines für den Wettbewerb nur für viel Geld oder entsprechende politische Konzessionen.

In der Ära Clinton versuchte die US-Diplomatie den russischen Würgegriff zu lockern. Diese Politik zeigte im Frühjahr 1999 erste Früchte, als die Planung für den Bau einer neuen Erdölpipeline von Baku (Aserbaidschan) nach Ceyhan (Türkei) in Angriff genommen wurde. Washington glaubte, mit diesem Projekt gleich mehrere Ziele erreichen zu können: Zum einen eine Pipeline, die russischen und iranischen Boden aussparte. Zum anderen eine ökonomische und politische Verbesserung des Status von Georgien. Und schließlich sollte mit dieser Pipeline die Westbindung der Türkei festgeschrieben werden. Bisher standen die vergleichsweise hohen Kosten einer Realisierung dieses Projektes im Wege. Die Russen haben das Stocken der US-Pläne mit dem Bau der Erdölpipeline von Tengiz nach Noworossijsk genutzt. Diese Pipeline kann auch als Erfolg der russischen Diplomatie gewertet werden, weil sie durch russisches Territorium läuft.

Auf dem Erdgassektor gibt es Anzeichen für einen ähnlichen Rückschlag für die Amerikaner. Vor Jahren unterstützte die USA die Wüstenrepublik Turkmenistan bei deren Versuchen, vorhandene umfangreiche Erdgasreserven zu exportieren. Abgesehen von einer kleinen Pipeline in den Iran ist Turkmenistan völlig von Rußland, den Adressat seiner Erdgasexporte ist, abhängig. Die USA schafften es bisher aber nicht, alternative Routen für Turkmenistan zu schaffen. Weder eine Pipeline von Turkmenistan via Afghanistan nach Pakistan kam zustande, noch eine transkaspische Unterwasser-Pipeline nach Aserbaidschan. Wie die Baku-Ceyhan-Pipeline sollte die Erdgaspipeline von Aserbaidschan in die Türkei aus Sicht der Amerikaner neue geopolitische Realitäten in der kaspischen Region schaffen. Realität wurde statt dessen das Projekt „Blue Stream“, eine Route zwischen Rußland und der Türkei. Wenn diese vollständig in Betrieb sein wird, geht eine weitere Runde des „Great Game“ an Rußland.

Dieser Hintergrund erleuchtet, warum den USA der Krieg in Afghanistan nicht ungelegen kommt. Ein von den USA kontrolliertes Afghanistan ist unabdingbar, wollen diese weiter eine wichtige Rolle beim Rennen um die zentralasiatischen Ressourcen spielen.


 
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