© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Abstimmung mit den Füßen
In den neuen Bundesländern sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder / Bischof Noack: Weder Minderheits- noch Volkskirche
(idea)

Der Bevölkerungsschwund in den neuen Bundesländern ist das gravierendste Problem für die ganze dortige Gesellschaft, einschließlich der Kirchen. Das sagte der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, bei der Tagung des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU), die vom 24. bis 25. November in Erfurt stattfand. 70.000 Menschen habe seine Kirche durch Wegzug verloren. Sie habe sich keineswegs gesund- sondern krankgeschrumpft. Nur vier Prozent des gesamten evangelischen Kirchensteueraufkommens würden in den neuen Bundesländern aufgebracht. Wegen der vielen Arbeitslosen und Einkommensschwachen seien im Osten viermal so viele Kirchenmitglieder nötig, um einen Pfarrer zu finanzieren, als beispielsweise in Hessen-Nassau. Dort liege das jährliche Pro-Kopf-Kirchensteueraufkommen mit 464 Mark um ein Vielfaches höher als in der Kirchenprovinz Sachsen (119 Mark).

Begriffe wie „Volkskirche“ oder „Minderheitskirche“ träfen die Wirklichkeit in Mitteldeutschland nicht, wo nur noch rund ein Viertel der Bevölkerung Kirchenmitglieder sind. Die Kirche sei dort zu DDR-Zeiten nicht nur zahlenmäßig geschwächt worden, weil Christen „scharenweise“ das Land verlassen hätten, sie habe vor allem Mitglieder aus bürgerlichen Schichten verloren, etwa Unternehmer, Juristen und Ärzte. Die SED habe mit Erfolg die Kirche „entbürgerlicht“'.

Die Abkehr von der Kirche habe Langzeitfolgen. Großeltern und Eltern, die ihr den Rücken gekehrt hätten, könnten den Glauben nicht mehr an Kinder und Enkel weitergeben. Deshalb müsse die Kirche alles tun, um Familien zu stärken. Die Kirche bemühe sich ferner, Kindergärtnerinnen mit den Grundlagen des christlichen Glaubens vertraut zu machen. „Ein evangelischer Kindergarten, in dem keine biblischen Geschichten erzählt werden, sollte sich nicht evangelisch nennen“, so Noack, der dem Rat der EKD angehört.

Unterschiede zwischen Ost und West bestehen laut Noack im Blick auf die Menschen, die keiner Kirche angehören. Im Westen hätten sie meist Kontakt mit der Kirche gehabt, seien dann aber aus Enttäuschung ausgetreten. Dadurch seien gewisse kirchliche Grundkenntnisse vorhanden. Anders im Osten, wo bereits die zweite Generation „konfessionsfrei“ sei. 


 
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