© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
CD: Rock
Rückmeldung
Holger Stürenburg

Der 51jährige Brite Graham Parker gehörte Ende der siebziger Jahre zu den aufstrebenden Talenten der New Wave. Neben Kollegen wie Nick Lowe, Mickey Jupp oder Brinsley Schwarz begründete er 1976/77 die typisch englische Pubrock-Szene, die traditionellen Rock’n’Roll, Blues und Folkrock mit kühlen New Wave-Klängen verband. Im Gegensatz zu vielen anderen Größen der damaligen Zeiten veröffentlichte Parker auch nach dem Abebben von New Wave und Pubrock fast jedes Jahr ein gelungenes Rockalbum - auch wenn die breitere Öffentlichkeit seit Beginn der neunziger Jahre kaum noch Notiz von ihm nahm. Kürzlich erschien sein aktuelles Werk „Deepcut to Nowhere“ (RazorAndTie/Edel), das ihm zwar auch diesmal nicht den Weg in die Hitparaden eröffnen dürfte, aber dennoch famosen klassischen, country-unterspülten Rock enthält.

Die Karriere Parkers begann, als er 1975 die Pubrockband The Rumour zu seiner Begleitband machte. „Heat Treatment“ war das erste Ergebnis dieser für vier Alben andauernden Zusammenarbeit zwischen dem schmächtigen Lyriker Parker, der seine Vorbilder in Bruce Springsteen, Bob Dylan oder Van Morrison sah, und der munter rockenden Band. Der frivole, freche Rock’n’Roll-Song „Hotel Chambermaid“ aus „Heat Treatment“ zählt bis heute zu Parkers besten Stücken und wurde in den darauffolgenden Jahren häufig gecovert. 1976 folgte mit „Stick to me“ das zweite Album, das zunehmend Reggae-, Soul- und frühe New Wave-Einflüsse aufwies. Produziert wurden Parkers erste Alben von seinem zynischen Kollegen Nick Lowe, das fast sechsminütige Epos „Hey, Lord, don’t ask me Questions“ von seinem 1978er Live-Doppelalbum „The Parkerilla“ gilt noch heute als Klassiker des britischen New Wave. Doch plötzlich strebte Parker große Hitparadenerfolge an, trennte sich von The Rumour und fabrizierte recht amerikanisch produzierte und arrangierte LPs wie „The Up Escalator“ (1980) oder „Another Grey Day“ (1982). Im Jahr darauf gründete er die Band The Shot und veröffentlichte die Alben „Steady Nerves“ (1985) und „The Mona Lisa’s Sister“ (1988), auf denen er Springsteen, Cougar-Mellenkamp oder Huey Lewis nacheiferte. „Mona Lisa’s Sister“ ermöglichte ihm ein großes Comeback, erstmals konnte er mit seinen Songs auch in den USA Erfolge feiern. Er begab sich auf eine Solo-Tournee und brachte danach das phantastische Livealbum „Live alone in America“ auf den Markt. Parker war inzwischen in die USA umgezogen, konnte seinen Erfolg aber nicht in die neunziger Jahre retten. Er konzentrierte sich fortan auf das Schreiben von Science-Fiction-Kurzgeschichten und veröffentlichte mehrere Bücher; neue Platten von ihm gab es seltener.

Doch dieses Jahr war es wieder mal so weit. Im Januar ging Graham Parker ins Studio und nahm dort, zusammen mit dem Produzenten Dave Cook, seinem früheren Rumour-Schlagzeuger Steve Gouldin und seiner letzten Tourband The Figgs das neue Album „Deepcut to Nowhere“ auf. Darauf zeigt sich Parker mal wieder von seiner besten Seite. Zwar bleibt er musikalisch seinem Stilmix aus Countryrock, Rhythm’n’Blues und Rock’n’Roll treu, fügt jedoch immer etwas Extravagantes, Außergewöhnliches hinzu: Er zeigt sich düster in „Dark Days“, hoffnungsvoll in „If it ever stops rainin‘“ oder romantisch in „Blue Horizon“. Liebeslieder wie „Depend on me“ wechseln sich ab mit Parabeln („Get off your High Horse“), frecher Rock’n’Roll („Socks’n’Sandals“) mit Balladen („Last Stop is Nowhere“).

Freunde des klassischen Rocks sollten bei „Deepcut to Nowhere“ umgehend zugreifen, beweist Graham Parker doch, daß es auch 2001 Platz gibt für eingängige, traditionelle Rockmusik mit textlichem Anspruch und einer lakonischen Grundhaltung, wie sie nur die Briten in sich tragen!


 
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