© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Erforschter Kommunismus
Alexander Barti

Im Institut für Zeitgeschichte München, Außenstelle Berlin, hielt aus Anlaß eines Kolloquiums der Nestor der Kommunismusforschung, Hermann Weber (Mannheim), einen bemerkenswerten Vortrag. Geboren 1928, besuchte er von 1947-49 die SED- Parteischule, kehrte aber wieder in den Westen zurück, wo er in Marburg studierte.

In seinem lebendigen Vortrag skizzierte Weber „Leistungen, Defizite und Perspektiven“ der aktuellen Kommunismusforschung. Als besondere Zäsur sieht er dabei die Wende von 1990, als den Historikern plötzlich die Archive, zum Beispiel die des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zur Verfügung standen. Trotz der gewaltigen Aktenflut, zu der noch zum Teil die Bestände aus den ehemaligen Ostblockstaaten hinzugekommen sind, stellten sich auch die Forschungen der sechziger Jahre als bemerkenswert brauchbar heraus; dies überrasche um so mehr, weil damals von den kommunistischen Staaten nur sehr wenige Akten veröffentlicht wurden.

Die vergangenen Jahre haben, so Weber, geradezu einen „Boom“ bei der Kommunismusforschung erlebt. In den vergangenen Jahren sei eine ganze Fülle von Quellenmaterial ediert worden, so daß man nun auch Detailfragen klären könne. Vor diesem Hintergrund sei es höchst fragwürdig, daß ab dem 1. Januar 2003 Akten auf Antrag auch von nicht Betroffenen geschwärzt, bzw. vernichtet werden dürften. Dies sei ein Skandal. Weber appelierte an das Parlament, das Gesetzt zu kippen, oder die Frist zu verlängern.

Eine Leistung der vergangenen zehn Jahre ist, laut Weber, die Feststellung, daß der Terror dem Kommunismus immanent gewesen war. Ohne Zweifel sei die kommunistische Bewegung bis zu ihrer Machtergreifung eine soziale Bewegung gewesen; danach habe sie - wie alle anderen totalitären Systeme auch - mit allen Mitteln ihre Macht verteidigt. Die zwei Seiten der kommunistischen „Medaille“ seien einerseits eine ideologische Massenbewegung, andererseits eine „Diktatur der Barbarei“. Beide Aspekte würden von der Forschung nur selten zusammengeführt.

Ein weiteres Defizit ist für Weber, daß die „Alltagsforschung“ noch vernachlässigt ist, bei der man fragen müsse, wieviel von der Planung konkret umgesetzt werden konnte. Die Perspektiven für die Kommunismusforschung sind nach wie vor gut. 2002 wird das Komintern-Archiv mit Hunderttausenden von Akten digitalisiert vorliegen. Das alles nütze aber wenig, so Weber abschließend, wenn sich keine öffentliche Auseinandersetzung mit den Taten des Kommunismus etabliere.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen