© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
PRO&CONTRA
Bundeseinheitliche Lehrpläne einführen?
Renate Hendricks / Barbara Loos

Seit Jahren klagen die Eltern darüber, daß die Kultusminister der Länder durch gewollte Unterschiede bei den Bildungsinhalten die Mobilität von Eltern in Deutschland einschränken. Das sieht in der Praxis so aus, daß die Kinder in Baden-Württemberg ab dem kommenden Schuljahr bereits in der ersten Klasse Englisch lernen, die in Hamburg ab der dritten Klasse und die in Mecklenburg-Vorpommern in der Grundschule gar nicht. Diese Unterschiede ergeben sich z. B. durch völlig unterschiedliche Lehrpläne für die Grundschulen. Die logische Konsequenz ist dann, daß die Anschlußcurricula in den weiterführenden Schulen auch voneinander differieren. Unterschiede ähnlicher Art lassen sich für viele Lernbereiche und Schulstufen festmachen.

Konkurrenz und Wettbewerb sollten den Kultusministern einen gesunden Wettbewerb ermöglichen. Leider nicht mit dem gewünschten Erfolg, wie die Pisa-Studie ausweist. Dafür aber mit unerwünschten Nebenwirkungen. Der Bundeselternrat hat deshalb mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß zu einem vernünftigen Qualitäts-Management der Kultusminister verbindliche Zieldefinitionen gehören. Diese lassen sich durch ein Kerncurriculum erreichen, das in allen Bundesländern als verbindliche Basisanforderung anzuwenden ist. Daneben können länderspezifisch noch ergänzende Anforderungen formuliert werden. Ebenso müßten die Kultusminister vergleichbare Qualitätsstandards des Unterrichtes sicherstellen.

Zur Qualitätsverbesserung in den Schulen sind zusätzliche Maßnahmen wie regelmäßige interne und externe Evaluation der Schule, Unterstützung der Lehrer und Lehrerinnen von außen sowie regelmäßige Rückmeldungen an sie und eine turnusmäßige Evaluation der Schulen von außen unerläßlich. Nur so kann sichergestellt werden, das die Inhalte eines verbindlichen Curriculums auch tatsächlich den Schülern vermittelt werden.

 

Renate Hendricks ist Vorsitzende des Bundeselternrates (BER) mit Sitz in Sankt Augustin.

 

 

Mit Pisa liegt uns eine sehr komplexe Beschreibung der Grundkompetenzen unserer 15jährigen Jugendlichen vor, mit einer Fülle von wertvollen Hinweisen auf Ursachen und Hintergründe des Befunds. Die Komplexität verbietet eigentlich schnelle, eindimensionale Lösungen, wie sie derzeit allenthalben angeboten werden. Dazu gehört auch die Forderung, bundeseinheitliche Lehrpläne einzuführen. Angesichts der Vielfalt von Schulstrukturen, Stundentafeln und inhaltlichen Traditionen in den einzelnen Bundesländern steht zu befürchten, daß ein bundeseinheitlicher Lehrplan nur aus einer sehr vagen Angabe von Stoffgebieten und Erziehungszielen bestehen würde, was weder hilft, Qualität zu sichern noch etwa den Umzug von Bundesland zu Bundesland erleichtert. Hilfreich dafür wäre es, wenn tatsächlich in allen Bundesländern schulformbezogene und fachspezifische Lehrpläne vorlägen, was längst nicht der Fall ist. Etwas anderes ist die Forderung nach bundeseinheitlichen Standards in den zentralen Kompetenzbereichen, mit einer präzisen und konkreten Formulierung von verbindlichen und anspruchsvollen Lernzielen und ihrer regelmäßigen Evaluation durch jahrgangs- und schulartspezifische Tests, die in den Bundesländern zentral gestellt werden. In Pisa geht es ja nicht um Lehrplaninhalte im eigentlichen Sinn, sondern um die Fähigkeit, Schulwissen zu reflektieren und zur Lösung realitätsnaher Fragestellungen anzuwenden. Auch wenn sich diese Kompetenzen nur über Inhalte vermitteln und zunehmend vertiefen lassen, greift ein bundeseinheitlicher Lehrplan dabei viel zu kurz.

Pisa stellt uns vor eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Lösung nicht in einigen wenigen Jahren zu erreichen ist. Wir sollten also uns und vor allem den Bildungspolitikern genügend Zeit lassen, die Ergebnisse der Studie gründlich zu analysieren, um dann auf die Probleme mit einer Gesamtstrategie zu reagieren.

 

Barbara Loos ist Vorsitzende der Bundesvereinigung der Oberstudiendirektoren (BDK) in Gundelfingen.


 
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