© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Rechtsstaat statt „Zivilgesellschaft“
Carl Gustaf Ströhm

Gerhard Schröder hat jüngst Kiew besucht und bei dieser Gelegenheit die Ukrainer aufgefordert, in ihrem Land die „Zivilgesellschaft“ zu stärken. Nun ist zunächst vorbehaltlos zu begrüßen, daß ein deutscher Kanzler sich überhaupt mit der seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder unabhängigen Ukraine beschäftigt. Unter seinem Vorgänger Helmut Kohl war die deutsche Ostpolitik derartig einseitig auf Moskau fixiert, daß die Ukraine (mit ihren 53 Millionen Einwohnern so groß wie Frankreich) vernachlässigt wurde.

Die Existenz einer stabilen, unabhängigen Ukraine liegt im langfristigen Interesse deutscher und europäischer Politik, weil damit der Druck Rußlands auf Mittel- und Osteuropa gemindert sowie die Sicherheit im Raum zwischen Ostsee und Schwarzen Meer erhöht wird. Noch heute gilt die Ukraine bei Hermes-Exportbürgschaften als „risikoreicher“ Partner. Hier könnte Deutschland zu einer Konsolidierung beitragen.

Die Ukraine darf kein „Saisonstaat“ bleiben, der womöglich bei nächster Gelegenheit wieder vom „russischen Bruder“ vereinnahmt wird. Ein Scheitern der Unabhängigkeit hätte negative Folgen für die Sicherheitslage Polens, Ungarns, Rumäniens und der Balten.

Wie aber soll man die Ukraine konsolidieren, die unter ökonomisch-sozialen, gesellschaftlichen aber auch ethnischen Spannungen leidet? Es ist nicht nur das postsowjetische Erbe, das auf Kiew lastet, sondern auch der Gegensatz zwischen der vom Katholizismus, der unierten Kirche, der jahrhundertealten Zugehörigkeit zum alten Österreich und von den Verbindungen zu Polen geprägten West-Ukraine (Lemberg und Galizien) sowie der Ost-Ukraine um Charkow, in der das Russische dominiert. In der Mitte liegt Kiew. Die Hauptstadt muß einen Ausgleich zwischen den westlichen und östlichen Positionen finden. Daß Moskau die Hoffnung nicht aufgegeben hat, eines Tages wieder Herr über die Ukraine zu sein, liegt auf der Hand.

Wie also kann der Ukraine geholfen werden? Der SPD-Kanzler hat anläßlich eines Treffens mit ukrainischen Medienvertretern und Bürgerrechtlern eine „Stärkung der Zivilgesellschaft“ gefordert. Nun ist aber gerade diese „Zivilgesellschaft“ ein schwammiger Modebegriff, der eher zur Vernebelung als zur Klärung beiträgt. Zufällig fand gleichzeitig mit dem Schröder-Besuch in der Ukraine (natürlich unabhängig davon) eine internationale Konferenz zum Thema „Zivilgesellschaft“ in Wien statt. Hier wurde von Wissenschaftlern definiert, daß Globalisierung und Liberalismus als Eckpfeiler der „Zivilgesellschaft“ - so hieß es wörtlich - „die Auflösung der staatlichen durch transnationale und interne Netzwerke“ zum Ziel hätten. Auch um die kulturelle Identität der Gesellschaft brauche man sich nicht zu kümmern, allenfalls könne man ethnische Minderheiten fördern.

Für die Ukraine - und auch für andere postkommunistische Staaten - ist eine solche Präsentation von „Zivilgesellschaft“ höchst problematisch. Die Ukrainer benötigen nach Jahrhunderten der Unfreiheit einen Staat, um sich selber „in Form“ zu bringen. Sie brauchen eine Festigung ihrer Identität, erst danach kann man von „Netzwerken“ reden. Schröder hätte anstatt „Zivilgesellschaft“ (was ist denn das Gegenteil davon, etwa „Militärgesellschaft“?) lieber von Rechtsstaatlichkeit sprechen sollen. Diese ist noch wichtiger als die Demokratie, gerade für die Ukraine. Außerdem ist Rechtsstaat ein eindeutiger, klarer Begriff - kein Modewort aus der Politologenküche.


 
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