© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Abschied von der D-Mark
Europäische Währungsunion: Ein deutsches Erfolgsmodell wird der politischen Räson geopfert
Bernd-Thomas Ramb

Mit dem Jahresausklang wird die Deutsche Mark zu Grabe getragen. Nicht daß sie einer unheilbaren Krankheit zum Opfer gefallen oder an Altersschwäche gestorben wäre. Die Mark wurde hingerichtet, weil sie unbequem geworden war. Sie paßte den Herrschenden mit monetärer Großraumsucht nicht ins Konzept. Vor allem aber waren die Hüter der Deutschen Mark ein Dorn in den Augen derer, die jetzt diese Währung liquidieren. Der Exitus der Deutschen Mark ist nichts anderes als das siegreiche Ende eines langen Krieges gegen die Deutsche Bundesbank.

Dabei fing alles so friedfertig drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an. Die Deutsche Mark löste durch die Währungsreform vom 20. Juni 1948 die Reichsmark als Währungseinheit und gesetzliches Zahlungsmittel ab. Damals gab es die Deutsche Bundesbank noch nicht in dieser Bezeichnung, bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland hieß sie „Bank deutscher Länder“. Von 1948 bis 1964 war Deutsche Mark auch die Bezeichnung für die Währungseinheit der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR. Bevor diese 1967 die Mark der DDR einführte, hieß die „sozialistische“ Mark vorübergehend Mark der „Deutschen Notenbank“, nach der Bezeichnung der Zentralbank der DDR. Schon damals zeichnete sich ein eklatanter Unterschied nicht nur zwischen den beiden Währungen D-Mark und Mark der DDR, sondern auch zwischen den beiden Währungshütern, der Deutschen Bundesbank und der Deutschen Notenbank der DDR ab. Kein Wunder also, daß nach dem Fall der Mauer und mit den ersten Anzeichen der DDR-Auflösung sofort der Ruf nach einer Ablösung der maroden DDR-Mark durch die begehrte Deutsche Mark laut und ein halbes Jahr später bereits erhört wurde.

Den guten Ruf hatte sich die Deutsche Mark ohne Erbschaftsvorteil erarbeitet. Ihr unmittelbarer Vorgänger, die Reichsmark, mußte aufgrund ihres Wertverlustes nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg durch eine Währungsreform beseitigt werden. Den 1946 in den vier Besatzungszonen kursierenden 240 Milliarden Reichsmark standen kaum Realwerte entgegen. Folglich florierte der Naturaltauschhandel, vornehmlich auf dem „schwarzen Markt“. Als hingegen die D-Mark ausgegeben wurde, füllten sich über Nacht die Verkaufsregale. Auch der Vorvorgänger der D-Mark hatte ein unrühmliches Ende. Die schlicht Mark genannte Währung war 1873, zwei Jahre nach der Gründung des Deutschen Reiches, als Einheitswährung zur Ablösung von Gulden und Talern eingeführt worden. Sie hielt immerhin dank ihrer strengen Goldbindung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Aufhebung der Goldbindung und die anschließende inflationäre Vermehrung des Papiergeldes fand ihr Ende in der ersten deutschen Währungsreform 1924 und der Einführung der sogenannten Rentenmark als Übergangswährung zu der im gleichen Jahr noch eingeführten Reichsmark. Die Deutsche Mark braucht sich als erste deutsche Währung kein Ende durch Inflationsverschulden nach verlorenen Weltkriegen vorwerfen zu lassen. Zyniker interpretieren allerdings ihre Abschaffung durch die Euro-Währungsreform im Umkehrschluß als Folge eines weiteren verlorenen Krieges.

Inflation war jedenfalls weitgehend ein Fremdwort für die Deutsche Mark. Der Preisindex für die Lebenshaltung stieg von 29,1 Punkten im Dezember des Jahres 1948 auf 105,5 Punkte Ende 1999, dem letzten Jahr der Eigenständigkeit der D-Mark. Das entspricht einer durchschnittlichen Jahresinflationsrate von 2,6 Prozent während der dazwischen liegenden 51 Jahre, und das obwohl gerade zu Anfang und während der siebziger Jahre die D-Mark mit längeren Phasen hoher Geldentwertung zu kämpfen hatte. Kein anderes Land auf der Welt kann eine ähnliche Bilanz der Preisstabilität in so einer langen Zeitspanne aufweisen. Im gleichen Zeitraum hatten sämtliche andern großen Staaten Europas, insbesondere England, Frankreich, Italien und Spanien, einschneidende Währungsreformen, weil inflationäre Entwicklungen ihre inländischen Preise in teilweise astronomische Höhen trieben.

Der tadellose Ruf der Deutschen Mark hatte sich schon bald nach ihrer Geburt auch im Ausland herumgesprochen. Sicher lag dies nicht zuletzt an der erstarkten deutschen Wirtschaft der Nachkriegszeit und vor allem an dem exzellenten Ruf der deutschen Produkte. Im Laufe der Jahre sammelten daher immer mehr Staaten Devisenreserven in D-Mark an, so daß die Deutsche Mark nach dem US-Dollar zur weltweit größten Devisenreservewährung aufstieg. Aber auch außerhalb des Bankenbereichs entwickelte sich eine hohe Begehrlichkeit nach DM-Banknoten. Naheliegend war die Verwendung der Deutschen Mark als Schattenwährung der DDR-Untergrundwirtschaft. Aber auch in den anderen Staaten mit maroder Zentralverwaltungswirtschaft, insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten, avancierte die Deutsche Mark zunächst zur geheimen Nebenwährung und nach 1989 zur offenen, in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Montenegro inzwischen sogar zur offiziellen Parallelwährung.

Einen zweiten Siegeszug trat die D-Mark auf indirektem Wege in Europa an. Die vorbildliche Härte der Deutschen Mark führten die Nachbarländer vor allem auf die souveräne Geldpolitik der Deutschen Bundesbank zurück. Die deutschen Währungshüter entwickelten sich zum Vorbild einer ebenso modernen, wie einer sich auf die - im wahrsten Sinnen des Wortes - konservativen Werte einer Währung konzentrierende Zentralbankpolitik. In der Reifephase der deutschen Währungspolitik bildete sich sogar eine informelle, aber feste Anhängerschaft um die Deutsche Bundesbank.

Der Einheitswährung fehlt die notwendige Akzeptanz

Insbesondere in den achtziger Jahren wurden die Entscheidungen des deutschen Zentralbankrates über Anheben, Senken oder Beibehaltung der von ihr frei festlegbaren Basiszinssätze stets innerhalb von wenigen Stunden von den Zentralbanken der Nachbarländer in der Regel im gleichen Umfang, mindestens aber in der Tendenz, nahezu automatisch nachvollzogen. Zu diesen an der D-Mark orientierten Ländern zählten vor allem Österreich, Holland, die Beneluxstaaten und die Schweiz. Die Nationalbanken der größeren Nachbarländer, insbesondere die von Frankreich und Großbritannien, zögerten häufig damit, ihre Geldpolitik sofort nach den Entscheidungen der Deutschen Bundesbank auszurichten. Meistens hatte dies zum Teil schwerwiegende Verluste des Außenwertes ihrer Währungen zur Folge, die in der Regel zu einer weiteren Stärkung der deutschen Währung führte. In der Alternative, entweder eine eigenständige Zentralbankpolitik zu demonstrieren und zu verlieren oder die geldpolitischen Vorgaben der Deutschen Bundesbank nahezu zwanghaft nachzuvollziehen, dabei aber zu gewinnen, gerieten die Zentralbanken von Frankreich und Großbritannien in eine Dilemmasituation, die insbesondere die politischen Führer dieser Länder als äußerst peinlich empfanden.

Es ist heute, auch unter den bedingungslosen Befürwortern der Euro-Währung, weitgehend unstrittig, daß die Preisgabe der Deutschen Mark keinen ökonomischen Notwendigkeiten folgte, sondern vorrangig ein politischer Preis war. Insbesondere läßt sich die These nicht länger aufrecht erhalten, daß zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes eine einheitliche Währung in Europa unumgänglich und daher die Abschaffung der D-Mark ein notwendiges Übel gewesen sei. Der europäische Binnenmarkt ist durch die Einführung des Euros nicht weiter vorangetrieben worden. Es bestehen nach wie vor erhebliche Defizite beim freien Austausch von Waren und Dienstleistungen. Zudem war die Einführung des Euros ursprünglich als Krönung eines vollendeten EU-Binnenmarktes versprochen worden. Allerdings trifft die Vermutung, daß die Abschaffung der D-Mark der Preis für die Duldung der Vereinigung mit der DDR gewesen sei, auch nicht vollständig zu. Gewiß wurde mit dem Wunsch nach Integration der neuen Bundesländer das Begehren der EU-Partner nach einer Währungsunion verstärkt, die ursprüngliche Planung der gemeinsamen europäischen Währung lag jedoch zeitlich weit vor dem Fall der Mauer.

Als eigentliche Ursache für das Vorhaben, die D-Mark abzuschaffen, muß die vorangegangene Phase der jahrelangen monetären Dominanz der Deutschen Bundesbank in Europa angesehen werden. Somit war das eigentliche Ziel der europäischen Währungsunion weniger die Abschaffung der Deutschen Mark an sich, sondern vielmehr die Auflösung der faktischen geldpolitischen Großmacht der Bundesbank. Diese Macht wurde nicht nur im Ausland als negativ empfunden, sondern auch im Innenverhältnis. Ursache war zum einen die grundsätzliche - und dementsprechend im Bundesbankgesetz verankerte - Konzeption der Bundesbank als politisch- und vor allem regierungsunabhängige Zentralbank, die allein der Wertbewahrung der D-Mark verpflichtet war, zum anderen der „Geist der Bundesbank“, der sich nach und nach entwickelte und die formale Unabhängigkeit auch durch die unantastbare Integrität der leitenden Personen verstärkte.

Schon die ersten Hüter der Deutschen Mark, Karl Bernhard als Präsident des ersten Zentralbankrats und Wilhelm Vocke als Präsident des ersten Direktoriums, die vom 20. Mai 1948 bis zum 31. Dezember 1957 der Vorläuferorganisation „Bank deutscher Länder“ gemeinsam vorstanden, galten als unbestechliche Vertreter monetärer Stabilitätsinteressen. Der erste Präsident der dann gebildeten Deutschen Bundesbank, Karl Blessing, der noch zu Reichsbankzeiten sein Handwerk unter dem legendären Hjalmar Schacht erlernt hatte und von 1958 bis 1969 sein Amt ausübte, galt ebenso wie sein Nachfolger Karl Klasen (1970 bis 1977), als klassisch konservativer Zentralbankpräsident der alten Schule - nun allerdings mit mehr Vollmachten und einer Eigenständigkeit versehen, wie sie ihre Amtsvorgänger zu Zeiten der Reichsbank nicht genießen konnten. Ihr Nachfolger, Otmar Emminger, war zwar nur von 1977 bis 1979 Bundesbankpräsident, aber schon seit 1953 Mitglied des Direktoriums der Bank deutscher Länder, dann der Bundesbank; und ab 1970 deren Vizepräsident gewesen. Emmingers Ablösung durch Karl Otto Pöhl war der erste Versuch der gezielten politischen Infiltration der Bundesbank. Der damalige Kanzler Schmidt hatte jedoch die Rechnung ohne den Wirt, respektive den Geist der Bundesbank gemacht, der aus Pöhl einen Bundesbankpräsidenten werden ließ, der sich ebenfalls wie sein Vorgänger allein den Prinzipien der Geldstabilität verpflichtet fühlte. Pöhls Rücktritt vom Amt Mitte des Jahres 1991 war vorwandig durch seine Kontroverse mit dem damaligen Kanzler Kohl über die geldpolitisch richtige Festlegung des Umtauschkurses von DDR-Mark in D-Mark begründet. Die eigentliche Ursache läßt sich jedoch mehr auf den zuvor ausgehandelten Maastricht-Vertrag zurückführen, der für Pöhl eindeutig das Ende der deutschen Zentralbankpolitik in Europa signalisieren mußte. Sein Nachfolger war für nur kurze Zeit sein Stellvertreter Schlesinger. Er wurde 1993 durch Hans Tietmeyer ersetzt. Tietmeyer galt ebenfalls wie Pöhl als politisch motivierter Kandidat. Es blieb allerdings vom heilenden Geist der Bundesbank unberührt. Tietmeyer war vom damaligen Kanzler Kohl zwei Jahre zuvor als Steigbügelhalter des Euros aus seiner Stellung als Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums in das Direktorium der Bundesbank entsandt worden. Seine Zeit als Bundesbankpräsident galt insbesondere der Verteidigung der Euro-Einführung vor Angriffen innerhalb und außerhalb der Bundesbank. Den endgültigen Niedergang der Bundesbank besiegelt sein seit 1999 amtierender Nachfolger Ernst Welteke, der auch fachlich als der am geringsten geeignete Bundesbankpräsident anzusehen ist. Für eine jeglicher monetärer Kompetenz beraubte Zentralbank spielt dieses Defizit keine Rolle mehr, wohl aber für den definitiven Untergang des ehemals guten Rufes der Deutschen Bundesbank.

Der Einheitswährung fehlt die notwendige Akzeptanz

Der Sieg über die Deutsche Mark durch ihre ausländischen wie inländischen Gegner ist durch die Einführung des Euro-Bargeldes zum 1. Januar 2002 vorerst besiegelt. Die europäische Einheitswährung hat unter den Fachleuten wie auch mehrheitlich unter der Bevölkerung noch lange nicht die notwendige Akzeptanz erlangt, wie sie für ein erfolgreiches Geldsystem unbedingt erforderlich ist. Als Zahlungsmittel für einen umtauschlosen Auslandsurlaub mag der Euro genehm sein, seine fehlende internationale Reputation verzerrt jedoch auch diese Annehmlichkeit zu einem unfreiwilligen Abenteuerurlaub.

Die Sympathie - nicht nur der meisten Deutschen - gilt immer noch der beseitigten Deutschen Mark. Wird das Euro-Abenteuer zum Fiasko, könnte daher die Mark schnell wieder zum Leben erwachen. Schwieriger wird es dann jedoch mit der Reanimation des Rufes der Bundesbank. Hier hat der Rufvernichtungsfeldzug möglicherweise irreversible Schäden verursacht. Allerdings wurde gerade diese Schlacht mit Brachialgewalt geführt, galt die nachhaltige Beseitigung der Deutschen Bundesbank doch als Hauptziel und reihten sich in die Allianz der Feinde nicht zuletzt auch deutsche Politiker ein.

Zu hoffen bleibt, daß im Falle der Rückkehr der Deutschen Mark der Geist der alten Bundesbank ebenfalls seine Wirkung wieder entfaltet.


 
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