© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Vom Mythos des Blutes
Ausstellung: „Blut - Perspektiven der Kunst, Macht, Politik und Pathologie “ in Frankfurt am Main
Werner Olles

Die Phantastische Kunst vermutete die Seele des Menschen seit jeher in seinem Blut. Entsprechend sieht sie die Kontinuität des Lebens durch das Blut: Blutsverwandtschaft wird fast immer als Identität gedeutet, und mit dem Austausch des Blutes verbindet sich der Austausch der Persönlichkeit. Fähigkeiten werden durch Blut weitergegeben. Daß Blut in der Freudschen Traumdeutung Sperma bedeutet, sei indes nur am Rande vermerkt. Entscheidend ist hingegen der unverbrüchliche Glaube an eine mystische Kontinuität durch das Blut, welche uns auf okkulte und geheimnisvolle Weise mit anderen Menschen, Lebenden und Toten, verbindet.

Im Gegensatz etwa zur faschistischen Mythologie des Blutes, sah die Kunst im Blut eher den Fluch, dem man nicht entkommen kann. Daß die Funktion des Blutes als Symbol des Lebens sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, bemerkt man allerdings an den beiden parallel laufenden Ausstellungen in der Frankfurter Schirnkunsthalle und im Museum für angewandte Kunst (Mak). Der offenbar unvermeidliche Hermann Nitsch vollzieht - filmisch und fotografisch in der Schirn dokumentiert - einmal mehr seine Happenings mit Blut und Gedärmen. Gleichermaßen schockiert und fasziniert steht der Zuschauer vor diesen „Mysterien“- und „Material-Aktionen“, dunkel erahnend, daß derartige Popularisierungen des unvergänglichen Mythos von der Reinigung durch das vergossene Blut wohl nur die Spitze eines Eisbergs sind.

Merkwürdigerweise wird der Blut-Mythos gerade dort am mystischsten, wo er wieder in Religion umkippt. In den Themen „Blut und Opferung“ und „Blut und Erlösung“, die das „Mak“ präsentiert, wird man mit Gian Lorenzo Berninis Werk „Das Blut Christi“ aus dem Jahre 1669 konfrontiert, wo die babylonisch-sündige Gesellschaft durch das Blut des gekreuzigten Heiland erlöst wird. Nicht mit dem Blut von Lämmern oder anderen unschuldigen Tieren hat Jesus diese Erlösung bewirkt, sondern mit seinem eigenen Blut. Die Besiegelung des alten Bundes mit Blut drückt aber gleichzeitig auch die Besonderheit des Blutes aus: „Denn des Leibes Leben ist aus Blut und ich habe es Euch für den Altar gegeben, damit ihr entsühnet werdet. Denn das Blut ist Entsühnung, weil das Leben in ihm ist.“ (3. Buch Moses, 17,11-14). Und im Brief an die Hebräer 9,22 heißt es: „Fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne daß Blut vergossen wird, gibt es keine Vergebung.“

Blut hat also für den Menschen eine symbolisch erlösende Funktion. In den Mythen der heidnischen Frühzeit war das Blut hingegen weiblich und real. Wenn Frauen ihr Blut nicht von sich gaben, entstand ein Kind. Männer betrachteten dieses weibliche Blut immer mit einer gewissen Furcht. Sie sahen in ihm eine Essenz des Lebens, die in irritiernder Weise ohne Schmerzen vergossen wurde und mit der spezifisch männlichen Erfahrung nicht in Einklang zu bringen war. „Blut und Dynastie“ und „Blut und Pathologie“ heißen dann auch die Themenkreise in der Schirn. Hier fließt das Blut auf den Schlachtfeldern, während in den Dynastien der Habsburger und der Romanows Blut das Symbol der Macht verkörperte.

Nur die Toten beweisen unzweifelhaft: Blut war und ist der Sitz des Lebens. Aber selbst wenn das weibliche Blut, das Menstruationsblut, verdammt wurde und das männliche Blut erhöht, änderte das nichts an seiner mystischen Bedeutung. Erst in der Themenschau „Pathologie“ gerinnt dann der Mythos endgültig zur scheinheiligen Performance, zum billigen Event. Es ist wohl das düsterste Kapitel der beiden Ausstellungen, wenn Hermann Nitsch in einem wahrhaft orgiastischen Blutrausch ein buchstäblich armes Schwein ausweidet, nur um mit dessen Innereien seinen üblichen blasphemischen Humbug zu treiben, oder wenn „Aktionskünstler“ wie Günter Brus und Marina Abramovic ihre abstoßenden Selbstverstümmelungsorgien in Film- und Fotodokumenten darlegen. „Tabulose Kunst“ lautet wohl das Schlagwort für derartige Aktualneurosen. Was sie in einer solchen Ausstellung zu suchen haben, bleibt indes das Geheimnis der Veranstalter.

Fototext: Gian Lorenzo Bernini, „Das Blut Christi“ (ca. 1699): Die sündige Gesellschaft wird durch das Blut des gekreuzigten Heilands erlöst

Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. Januar 2002 in der Schirnkunsthalle, Römerberg, Tel.: 069 / 29 98 82-0, und im Museum für angewandte Kunst, Schaumainkai 17, Tel.: 069 / 2123 85 30


 
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