© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Versteinerte Seelen
Friedhofsskulpturen: Christiane Kipper ist mit dem Fotoapparat „unterwegs zwischen Himmel und Erde“
Claus-M. Wolfschlag

Wenn Frauen fotografieren scheint der Blick detailversunken. Die Elemente geraten in Wandlung wie der sich stetig verändernde weibliche Körper, Fasern scheinen sprechen zu wollen. Christiane Kipper gehört zu dieser Riege weiblicher Fotografen, die die Seele im Kleinen sucht, fernab der eher die Männer beeindruckenden großen Geste und des Blicks auf die Gesamtszenerie.

Kipper wurde 1976 in Ellwangen an der Jagst geboren, studierte an der FH Mannheim, an der sie mit dem vorliegenden Fotoband im Sommersemester 2000 ihr Diplom zur Kommunikationsdesignerin erhielt. Sie hat sich mit „Unterwegs zwischen Himmel und Erde“ auf Friedhofsstatuen spezialisiert. Weniger auf die Gruppe der Engel wie weiland ihr Wiener Kollege Gerald Axelrod, sondern auf jene außergewöhnlichen Kunstwerke, jene Darstellungen menschlicher Allegorien, die den Übergang vom Leben zum Tod, die Trauer über das Dahinscheiden des Liebsten pathetisch oder melancholisch zu symbolisieren trachten. Kipper lenkt den Blick dabei auf den Ausschnitt, zeigt das Monument - die schlafende Nackte oder die den Totengruß in den Stein Ritzende - bisweilen in toto, um dann an einer Körperpartie, einem Kopf, einer entblößten Schulter, zarten Brüsten, müde baumelnden oder gefalteten Händen, einem sich stützenden Fuß, dem gereckten Po eines Pfeilschützen zu landen. Die Ausschnitte scheinen dabei unser Bild des Gesamten einer Wandlung zu unterziehen. Die entblößte Brust einer Statue erscheint auf einmal ungewöhnlich weiß und weich, wie aus Milch gegossen. Der Sitzende, bereits von moosigem Pelz überzogen, schickt sich an, wieder zur reinen Natur zu werden. Die gefalteten Hände wirken porös, fast brüchig.

Ihre Objekte fand Kipper auf Friedhöfen in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Wiesbaden und Paris . Angereichert wurde der Bildband mit Auszügen aus Texten bekannter Schriftsteller wie Milan Kundera und Sten Nadolny. Die Zitate drehen sich um Themen wie Körper, Seele, Geist, Glück, Zufall und Schicksal, Begegnungen und unser Verhältnis zu anderen Menschen, das Erinnern und Vergessen. Texte, die nahe am Leben stehen und menschliche Erfahrungen tiefgehend und bewegend sezieren. Kipper bekennt: „Die Schönheit und Ästhetik dieser Skulpturen sind für mich von einer besonderen Faszination, die ich in meinen Fotografien einzufangen versuchte. Jedesmal bevor ich eine Figur berührte, erwartete ich mit pochendem Herzen, daß die versteinerte Seele wieder zum Leben erwacht. Nur auf Friedhöfen fand ich Figuren, die in ihrer Haltung und in ihrem Ausdruck gleichermaßen lebendig schienen. Sie führen eindrucksvoll vor Augen, daß der Friedhof Ort des Lebens ist. Der Ort des Weiterlebens von Menschen in der Erinnerung und den Gedanken anderer. Meist lernen wir etwas erst dann schätzen, wenn uns bewußt wird, daß wir es verlieren könnten.“

Christiane Kipper hat einen ästhetisch anspruchsvollen Fotoband über das Leben, die Liebe und den Tod zusammengestellt. Wie einen programmatischen Aufruf an den Betrachter schließt sie ihr Vorwort: „Wecke deine Sinne. Öffne die Augen und mache dich auf den Weg!“

Christiane Kipper: Unterwegs zwischen Himmel und Erde. Fotografien zu Texten von Milan Kundera, Sten Nadolny, Cees Nooteboom und anderen, Eulen Verlag, Freiburg 2001, 112 Seiten, geb., 49,80 Mark


 
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