© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Gebärfähigkeit war vorerst das Wichtigste
Karin Feuerstein-Praßers historische Betrachtung der preußischen Prinzessinnen
Wolfgang Saur

Einen Brief an ihre Hofdame von Pöllnitz am 7. August 1702 endete die Regentin in sarkastischem Tonfall und mit den sybillinischen Worten: „Ich muß schließen, meine liebe Freundin, die furchtbaren Kissen kommen an. Was denken Sie, wird das Opfer geschlachtet werden?“

Des Rätsels Lösung findet man in einer lesenswerten Neuerscheinung zur preußischen Geschichte: Das fürstliche Ehepaar lebte normalerweise getrennt, doch wollte „Friedrich den Abend ausnahmsweise einmal mit seiner Ehefrau verbringen, so pflegte er, um sie an die ‚ehelichen Pflichten‘ zu erinnern, in ihren Gemächern Kissen drapieren zu lassen“. Die Rede ist vom König Friedrich I. und seiner Gemahlin, Sophie Charlotte von Hannover. Die delikate Anekdote teilt uns die Historikerin Karin Feuerstein-Praßer mit, die sich in ihrem Buch den Königinnen in Preußen widmet. Nachdem sie für den Pustet-Verlag 1997 bereits ein Triptychon der deutschen Kaiserinnen 1871-1918 verfaßte, hat sie sich jetzt in der preußischen Geschichte bis zum Großen Kurfürsten zurückgearbeitet und beschreibt in einer Porträtgalerie das Leben von sieben Prinzessinnen, die zwischen 1684 und 1823 in die Familie Hohenzollern eingeheiratet haben. Damit bringt sie eine Ergänzung zu vergleichbaren Werken über die männlichen Regenten, denen als den politisch Handelnden naturgemäß mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden ist.

Der Reigen preußischer Königinnen beginnt mit der bedeutenden Welfin Sophie Charlotte und endet mit Elisabeth von Bayern, eingerahmt von einer Vorgeschichte und einem Ausblick auf das Kaiserreich. Sophie Charlotte, die zweite Frau Friedrichs I., der 1701 die Standeserhöhung Preußens zum Königreich durchsetzen konnte, ist wohl die bedeutendste Persönlichkeit in dieser Reihe, an kreativer charakterlicher Potenz ihrem Gatten überlegen und deshalb zugleich eine Relativierung des Klischees vom „männerbestimmten“ Preußen. Ausführlich wird ihre Freundschaft mit Leibniz geschildert, auf dessen Initiative 1700 die Berliner Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen wurde. Die beziehungsreiche Darstellung der Lebensschicksale Sophies bilanziert die Autorin mit den Worten, „Sophie Charlotte sei das eigentliche Glanzlicht in der Galerie der preußischen Königinnen gewesen“.

In diesem Band bedeutet der Bezug auf die biographische Betrachtung, einem in der modernen Geschichtswissenschaft eher marginalen Betrachtungsansatz, die schlagartige Wiederbesinnung auf den dynastischen Charakter alteuropäischer Politik. Überall sehen wir Familien ehrgeizig und rastlos ihre Heiratspolitik betreiben. Deshalb ist dies Buch über die Frauen der Hohenzollern zugleich eine Einführung in die Geschichte der Adelshäuser überhaupt.

Freilich war man im aufsteigenden Brandenburg bescheidener als anderswo. Verbindungen mit dem Ausland waren selten. Holland spielte seit dem großen Kurfürsten eine gewisse Rolle. Die ehrgeizigen Pläne Sophie Dorotheas mit den englischen Verwandten schlugen fehl. Keinesfalls war das Familienleben so international wie beim Kaiser in Wien. Mit Ausnahme Elisabeths von Wittelsbach kamen alle Frauen aus protestantischen Familien. Die ausgehandelten Kombinationen waren rein sachlich motiviert, was allen Beteiligten klar war, auch den jungen Eheleuten. Zur späten Wiederverheiratung Friedrichs I. 1708 mit einer mecklenburgischen Prinzessin, heißt es lakonisch: Ihre Zustimmung „war ohnehin reine Formsache. Sie war in gebärfähigem Alter, und das war vorerst das Wichtigste.“

Trotzdem wurde die Situation massiv beeinflußt, wenn die Eheleute keinesfalls zueinander paßten und sich ihr Zusammenleben dramatisch entwickelte. So die Partnerschaft Friedrich Wilhelm I. mit Sophie Dorothea (seit 1706), die ganz besonders den welfischen Standesdünkel kultiviert hat. Der Soldatenkönig (1688-1740) erfreut sich in der neueren Wissenschaft einer sehr positiven Einschätzung. Die Privatperson behält für den Biographen hingegen noch immer jene monströsen Charakterzüge und düstere Psychologie, über die sich bereits Wilhelmine von Bayreuth in ihren Memoiren ausschüttete. Man erlebt hier ein Ehepaar, das um die Kinder kämpft, welche unter doppelten Druck geraten. So gibt die Lektüre manchen Aufschluß über die spätere Entwicklung Friedrichs des Großen. Dessen Ehe bildet das dunkelste Kapitel im Buch überhaupt. Seine Frau, Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, verlebte ihre Jahre als Königin (1740-86) faktisch als Gefangene in Schönhausen, wohin ihr der König seine schriftlichen Befehle sandte. Als sich beide nach der Beendigung des dritten schlesischen Krieges 1763 nach sieben Jahren wieder sahen, lautete die Begrüßung des Königs nur: „Madame sind korpulenter geworden.“

Paretz an der Havel verkörpert recht eigentlich „die preußische Idylle“, verbrachten hier doch Friedrich Wilhelm III. und Luise ihre Kronprinzenzeit. Unstrittig hat Luise alle anderen Prinzessinnen überstrahlt und wurde als „Königin der Herzen“ ein preußischer Mythos. Laut einer Umfrage der Berliner Zeitung im Jahr 1900 war sie die populärste Deutsche überhaupt, und bis heute dominiert sie alle anderen Figuren der preußischen Geschichte. Novalis empfahl Luise den preußischen Frauen als das Urbild einer „schönen Seele“. Obwohl Luise kein politischer Mensch war, wurde sie durch den Zusammenbruch des preußischen Staates 1806/07 in eine eminent politische Zeit hineingezogen. Mit ihrer Natürlichkeit und spontanen Herzlichkeit hatte sie schon zuvor die Zuneigung der Menschen errungen. Dazu kam ein neuartiges Gefühl für Publikumswirksamkeit; sie liebte den großen Auftritt und wußte „sich bei jeder Gelegenheit passend in Szene zu setzen“. Ihre eheliche Zweckverbindung führte zu einer wirklichen Liebesbeziehung, ein Novum bei den Hohenzollern, doch eben entsprechend für das Zeitalter romantischer Empfindungen.

Die Darstellung Karin Feuersteins konzentriert sich auf sieben Prinzessinnen, doch bezieht der historische Blick zwangsläufig noch eine Fülle weiterer Figuren ein: Wir beobachten zum Beispiel die junge Anna Amalia, nachmalige Herzogin von Sachsen-Weimar und inspirierter Mittelpunkt des berühmten Musenhofes, den Prinzen Louis Ferdinand, ein Exzentriker unter den Hohenzollern, der durch seinen frühen Tod (1806) zur Legende wurde.

Die sorgfältige Erstellung der Einzelbiographien hat der Autorin Raum gelassen für systematische Nebenaspekte; so erfahren wir einiges über Hygiene im Barockzeitalter oder zur Symbolik theatralischer Machtinszenierung im Absolutismus. Die flüssige Diktion und die zahlreichen Quellenzitate machen die Lektüre zu einer kurzweiligen Wanderung durch 200 Jahre preußischer Geschichte. Die Erzählung endet mit dem Jahr 1921, dem Tod der letzten, ausgesprochen populären deutschen Kaiserin und preußischen Königin: Auguste Victoria. Zu ihrer Beisetzung strömten in Sanssouci 200.000 Menschen zusammen, eine eindrucksvolle Huldigung, mit der die 1701 eröffnete Epoche zu ihrem definitiven Abschluß kam.

Karin Feuerstein-Praßer: Die preußischen Königinnen,Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2000, 324 Seiten, 58 Mark


 
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