© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002


Deutsches Kino
Die eigene Sicht kehrt zurück
Dieter Stein

Wenn es nicht bloß eine Schwalbe ist, die noch keinen Sommer macht. Zudem habe ich den Film, während ich diese Zeilen schreibe, noch gar nicht gesehen. Es geht um den am 27. Dezember in den Kinos gestarteten Film „So weit die Füße tragen“. Nach dem Gespräch der JUNGEN FREIHEIT mit Bastian Clevé, dem Initiator und Co-Drehbuchautor der mit 15 Millionen Mark im Verhältnis zu Hollywood-Budgets bescheiden finanzierten Produktion, werde ich den Film aber in jedem Fall ansehen.

Trotz aller Schnelllebigkeit und immer kürzeren und neuen Trends gibt es eine wachsende Sehnsucht nach Identifikation mit der eigenen Geschichte, mit der Geschichte des Landes, in dem man geboren wurde. Es ist eine Sehnsucht nach Identifikation mit dem „eigenen Laden“, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder ausdrücken würde, einer Identifikation trotz aller Brüche und Tragödien der deutschen Geschichte, die uns aus der Tradition und der Kette der Generationen nicht entläßt. Was fehlt, sind große künstlerische Manifestationen dieses Gefühls, das politisch immer noch geleugnet wird.

Bastian Clevé spricht von einem „Potential für Filme mit der eigenen, der deutschen Sichtweise“. Clevé fragt herausfordernd: „Was soll an einem Film mit einer nationalen Identität falsch sein?“ Der Berliner Filmproduzent Arthur Brauner soll vor einiger Zeit im Fernsehen erklärt haben, es hätten Filme zunehmend Konjunktur, die sich nationaler Identitäten annähmen. Er erwähnte Leinwanderfolge wie „Jeanne d’Arc“, die in ihren Herkunftsländern Millionen in die Kinos lockten. Nur reagierte Brauner damals noch verstört, als er gefragt wurde, was denn ein spezifisches Thema deutscher nationaler Identität wäre. Das fand er dann doch eher unpassend.

Dies scheint sich zu ändern. Das hat vielleicht auch etwas mit der Tatsache zu tun, daß die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs dabei ist, abzutreten. Nach einer Phase der Abarbeitung zeitgeschichtlicher Themen im Kino allein unter der Polarität Schuld-Unschuld und Opfer-Täter - wobei Deutsche überwiegend die Täter zu sein haben -, kann man sich nun offenbar behutsam einer gelasseneren Beschäftigung mit Themen der Nationalgeschichte nähern.

Josef Vilsmeier ist dies noch 1992 mit seinem Film „Stalingrad“ gründlich mißlungen. Der Film wurde verschnitten und verhunzt durch widerwärtige Zugeständnisse an politische Korrektheit. Abenteuerliche Gruselgeschichten über korrupte deutsche Offiziere wirkten aufgesetzt und machen diesen Film wertlos.

Es ist ermutigend, wenn ein Produzent wie Clevé erklärt, sich an weitere Themen heranzuwagen, die immer noch mit einem Tabu belegt zu sein scheinen, aber Millionen Deutsche emotional tief bewegen. Clevé sagt, durch die Produktion von „So weit die Füße tragen“ sei ihm „der Untergang Ostpreußens, die Flucht über die Ostsee und die Tragödie der Gustloff erstmals richtig bewußt geworden“. Man darf gespannt sein, was er aus diesem „großen Stoff und einem heißen Eisen“ macht. 


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