© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002

 
Futtertrog Maastricht
Der EU-Gipfel von Laeken drängt zu einer gemeinschaftlichen Verfassung
Josef Schüßlburner

Der Europäische Rat in Laeken war mit der grundlegenden Schwierigkeit konfrontiert, daß trotz Euro und geplanter Osterweiterung die Zeit gegen die Europaidee arbeitet. Mit Maastricht, welches den Euro gerade noch möglich gemacht hat, stellt sich Europa als Problem und nicht mehr als Lösung dar: Weil man etwa die Grenzkontrollen abgeschafft hat, wird die Kriminalitätsbekämpfung schwieriger. Man führt deshalb einen europäischen Haftbefehl ein, während der gebotene Schritt die Aufhebung des Schengener Abkommens wäre, wenn man sich schon die Erhöhung der Polizeidichte nicht leisten zu können glaubt. Probleme scheinen bewußt in Kauf genommen zu werden, damit man dann Europa als Lösung anbieten und daraus noch eine Existenzbegründung ableiten kann. So wird der Euro als Vorwand zur Harmonisierung der Steuersysteme benutzt, was darauf hinausläuft, daß den Luxemburgern bundesdeutsche Steuersätze auferlegt werden. Langsam beginnt ins Bewußtsein zu dringen, daß angesichts der weltweiten Liberalisierung die wirtschaftliche Bedeutung der E(W)G schon immer überschätzt worden ist und diese zur Problemlösung eigentlich nicht mehr gebraucht wird.

Gerade wegen der Osterweiterung wird Europa auch als politisches Konzept scheitern: Überzeugte Europäer gibt es nun einmal nur in den Gebieten, die einst zum Heiligen Römischen Reich gehört haben, womit auch deutlich ist, daß Europa eine vormoderne Reichsersatzideologie darstellt. Mit der Ostausdehnung bekommen die Gebiete das Übergewicht, für die Europa in erster Linie, wenn nicht gar ausschließend eine Frage von wirtschaftlichen und vor allem finanziellen Vor- und Nachteilen ist. Die Osteuropäer drängen zur EU/EG, weil sie sich deutsche Zahlungen versprechen. Sollten diese nicht kommen, wird es keine Fortschritte bei der Integration mehr geben. Durch die von den USA befohlene Aufnahme der Türkei wird Europa vollends entwertet, weil man dann eigentlich nicht mehr der Aufnahme von Marokko und Pakistan widersprechen kann. Falls aber (fast) alle dazugehören dürfen, ist im Ergebnis derselbe Effekt erreicht als würde keiner dazu gehören: Europa wird sinnlos, die Europaidee evaporiert.

Um Europa wenigstens als politisches Konzept zu retten, wofür sich die absehbaren wirtschaftlichen und finanziellen Opfer, also Wohlstandsverluste rechtfertigen ließen, müßte man zumindest die Nato auflösen und die amerikanischen Truppen samt Spitzeleinrichtungen nach Hause schicken. Frankreich und Großbritannien müßten verpflichtet werden, ihr Atomwaffenarsenal auf EU-Einrichtungen zu übertragen und ihr Veto-Recht als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in Übereinstimmung mit verbindlichen Entscheidungen der EU-Gremien auszuüben. Diese Schritte würden jedoch Frankreich und Großbritannien zur Entscheidung zwingen, ob sie für ein sinnvolles Europakonzept oder - letztlich aus Furcht vor den Deutschen - für die US-amerikanische Hegemonie sind. Im letzteren Fall wird Europa nie eine außenpolitische Bedeutung gewinnen können, sondern sich weiterhin lächerlich machen.

Die Einsetzung eines Europäischen Konvents als wesentliche Entscheidung des letzten Europäischen Rates der - schrecklichen? - Eurolosen Zeit stellt sich angesichts dieser Problemstellung als Eskapade dar. Eine Staatenvereinigung, die schon erhebliche Schwierigkeiten bei banalen Entscheidungen über den Sitz von Agenturen hat, scheint sich zuzutrauen, so etwas Anspruchsvolles wie eine Verfassung zu diskutieren. Sollte dabei alles mit rechten Dingen zugehen, könnte man sich gelangweilt zurücklehnen; denn es wird dann keine derartige Verfassung geben, nachdem schon das Inkrafttreten von Nizza aufgrund der demokratischen Entscheidung der Iren fraglich ist. Aber kann man politischen Interessen, die vor dem Scheitern ihres politischen Lebenswerkes stehen, für das sie mit fast religiöser Inbrunst ans Werk gegangen sind, wirklich vertrauen? Droht von diesen Kräften gar so etwas wie ein Verfassungsputsch?

Zur europäischen Verfassung kann man nur sagen: Verfassungsgebung ist ein Akt der Volkssouveränität. Da es aber kein Euro-Volk gibt, kann es keine Euro-Verfassung geben. Zumindest keine demokratische. Das einzig Demokratische an einer derartigen Verfassung kann nur in der Anerkennung des die Volkssouveränität respektierenden Austrittsrechts der europäischen Demokratien aus der Euro-Union bestehen. Genau dies würde jedoch eine von Überzeugungseuropäern in die Wege geleitete Verfassung gerade verwehren. Dann droht jedoch eine Verfassung, die sich demokratischen Werten verpflichtet weiß. Gemeint ist damit die Herabstufung der Demokratie der Mitgliedstaaten auf ein Selbstverwaltungsstatut, dessen Wahlausgänge und Parteiensysteme aufgrund der Negation des Prinzips der Volkssouveränität unter dem Vorbehalt der Billigung von Europa stehen, welches selbst zwar keine Demokratie ist, aber sich demokratischen Werten verpflichtet weiß. Genau dieses Konzept war mit dem Österreichboykott und letztlich auch mit dem Demokratisierungskrieg gegen Restjugoslawien gemeint. Eine europäische Verfassung wäre deshalb ein entscheidender Schritt zu einem neuen Totalitarismus: Unterdrückung von Demokratie unter Berufung auf demokratische Werte. Steht dafür nunmehr Europa?


 
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