© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002

 
Die Masse frißt die Klasse
Büchermarkt: Die ausufernde Ökonomisierung nimmt kleineren Verlagen die Luft zum Atmen / Medienmonopole verhindern Meinungsvielfalt
Doris Neujahr

Vor Monaten schlossen die Buchhandelsketten Phönix-Montanus (Umsatz 1999: 242 Millionen Mark) und Thalia (125 Millionen) sich zu einem gemeinsamen Konzern zusammen. Dem neuen Giganten wird ein Umsatz von 600 Millionen Mark prognostiziert, womit er den bisherigen Branchenführer Hugendubel (333 Millionen) weit übertreffen wird. Hugendubel hatte erst Mitte der neunziger Jahren seine Einkaufspolitik zum Nachteil von Kleinverlagen drastisch verschärft.

Der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch ist seit Januar 2002 unter das Dach der Verlagsgruppe Holtzbrink geschlüpft, der bereits die Verlage Fischer und Rowohlt gehören. Rowohlt hat seinem Ableger „Rowohlt Berlin“, der mit einem hervorragenden Osteuropa-Programm auffiel, aus Kostengründen die Flügel gestutzt. Der Wilhelm Heyne-Verlag, zweitgrößter Taschenbuchanbieter in Deutschland, wurde an den Springer-Ableger Eco Ullstein List verkauft, der selber schon ein Zusammenschluß traditionsreicher Einzelverlage ist. Die neue Gruppe Springer-Heyne erzielt mit 350 Millionen Mark den vierfachen Umsatz des Suhrkamp Verlags, um den ebenfalls die Gerüchteküche brodelt. Der Siedler Verlag sitzt im selben Gebäude wie der Berlin-Verlag, und beide gehören Bertelsmann, der 1998 mit dem Erwerb des US-Verlags Random House - neuerdings Besitzer von Luchterhand - auch im englischsprachigen Raum zum führenden Verlagshaus aufgestiegen und frohen Mutes ist, weiter, immer weiter zu wachsen. Der Berliner Verlag Volk & Welt ist abgewickelt und von Kindler in München übernommen worden, Steidl kooperiert mit der Büchergilde Gutenberg, Eichborn hat 51 Prozent des Zürcher Pendo-Verlags erworben, und Haffmann ist gerade pleite gegangen.

Noch existieren in Deutschland rund 2.000 Verlage und 4.500 Buchhandlungen. Branchenkenner gehen davon aus, daß diese Zahlen sich bald deutlich reduzieren und kleine Verlage und Geschäfte von der Bildfläche verschwinden werden. Marktliberalismus schlägt um in ökonomische Dominanz, und aus dieser droht tendenziell eine geistige und politische Gleichschaltung zu erwachsen.

Eine hysterische Vision? Keineswegs, wenn man sich den Erfolg des Buches „Hitlers willige Vollstrecker“ vor Augen führt, das 1996 unter dem respektablen Logo des Siedler-Verlags erschien. Siedler gehörte zu diesem Zeitpunkt aber bereits zu drei Vierteln zu Bertelsmann. Nur ein Großkonzern verfügte über genügend Macht, Geld, Logistik und Chuzpe, um sich die neudeutsche Lust an der Selbstgeißelung derart zunutze zu machen, die Räuberpistolen des Daniel Goldhagen als geschichtsphilosophische Offenbarung zu präsentieren und den Autor wie einen Popstar durch die Lande zu reichen. Daß beide sich daran goldene Nasen verdienten, ist noch das geringste Übel. Schwerer wiegt, daß Autor und Verlag in den Rang moralischer Instanzen aufstiegen und die Goldhagen-Thesen über Monate die gesellschaftspolitische Diskussion blockierten und bis heute die Atmosphäre vergiften.

Ein kleiner oder mittlerer Verlag hätte niemals einen vergleichbaren Schaden anrichten können. Das bereits ist Grund genug, sich Monopolisierungstendenzen entgegenzustellen. Zudem haben literarische Entdeckerfreude und Originalität in den kleinen Häusern ihre natürliche Heimstatt. Voraussetzung ist ein Gleichgewicht zwischen Geschäftstüchtigkeit und ideeller Ambition. Ein Charakterprofil, das man bei kantigen Kleinverlegern immer noch findet, während es in Großkonzernen, die mit geringem Aufwand maximalen Profit erzielen wollen und auf Umsatzrekorde und vermuteten Massengeschmack abgestellt sind, einen Störfaktor bedeutet. In glücklichen Momenten fallen verlegerischer Eigensinnn und Verkaufserfolg sogar zusammen: Michel Houllebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ wurde für Deutschland vom kleinen, feinen Wagenbach-Verlag entdeckt, der sich auf mediterrane Literatur, kulturgeschichtliche Studien und anspruchsvolle Essayistik spezialisiert hat. Anschließend erlebte der Verlag die Härte des Marktes, denn die weiteren Bücher des nun etablierten Autors gingen an den zahlungskräftigen DuMont-Verlag. Wagenbach hat einen Jahresumsatz von lediglich vier Millionen Mark, ein ungeschützter Konkurrenzkampf würde sein Ende bedeuten. Ökonomisch wäre das eine Fußnote, kulturell aber eine Katastrophe!

Die Buchpreisbindung ist besonders entscheidend

Noch ist die Verlagsvielfalt in Deutschland größer als in den anderen europäischen Ländern. Ob sie erhalten bleibt, hängt davon ab, ob dem Kannibalismus der große Medien- und Buchhandelsketten Schranken gesetzt werden. Die wichtigste ist die Buchpreisbindung. „Vor allem die kleinen Verlage und Buchhandlungen profitieren davon“, räumt Mark Wössner, Buch-Chef von Bertelsmann, unumwunden ein. Der Börsenverband des deutschen Buchhandels äußerte im April 2001 die Befürchtung, daß die Einigung zwischen Berlin und Brüssel nicht halten und die Europäische Kommission den „deutschen Buchmarkt auch in Zukunft nicht in Ruhe“ lassen wird. Die Memoiren des vormaligen Brüsseler Wettbewerbskommissars Karel van Miert, „Markt, Macht, Wettbewerb. Meine Erfahrungen als Kommissar in Brüssel“, lassen daran keine Zweifel aufkommen.

Das Buch gibt Einblicke in eine Behörde, die mit perversem Jagdfieber für den „freien Markt“ kämpft. Ein beliebtes Einschüchterungsmittel gegen deutsche Verlage und den Börsenverein ist die Razzia in Nacht-Nebel-Manier. Für EU-Mitarbeiter sind solche Aktionen „oft aufregend“ und „eine willkommene Abwechslung“ (van Miert). Van Mierts Nachfolger, der Wirtschaftsprofessor Mario Monti, ist ebenfalls nicht davon überzeugt, „daß die Tatsache, das Entstehen von Preisnachlässen für das Buch zu verhindern, eine Maßnahme zur Förderung der Kultur sei“. War van Miert der verbissene Ideologe, geriert Monti sich als nüchterner Bürokrat, doch der Geist, der sie beseelt, ist derselbe. Ende Juli gab Brüssel die Wiederaufnahme des EU-Verfahrens in Sachen Buchpreisbindung bekannt. Andererseits hat es dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen zwischen Bertelsmann und der italienischen Verlagsgruppe Mondadori zugestimmt. Mit diesem Gemeinschaftsunternehmen wollen Bertelsmann und Mondadori die Produktion und den Vertrieb von Büchern in spanischer Sprache in Spanien und im spanischsprachigen Lateinamerika bündeln. Die Folgen sind vorhersehbar.

Wenn um Verlagsfusionen und die Buchpreisbindung gestritten wird, geht es um mehr als nur um ökonomische Fragen. Die Beobachtungen und Erfahrungen, die der kompetente Kronzeuge André Schiffrin unter dem Titel „Verlag ohne Verleger“ (Wagenbach-Verlag) über die Wirkung des ungebremsten Marktliberalismus auf die Buchproduktion niedergeschrieben hat, sollte deutschen Politikern als Pflichtlektüre verordnet werden. Schiffrins Vater hatte vor dem Krieg in Frankreich die berühmte Klassiker-Reihe „Pléiade“ gegründet und nach der Flucht in die USA zusammen mit Kurt Wolff in New York den Pantheon-Verlag etabliert, der Hermann Brochs „Vergil“, Pasternaks „Schiwago“ und Lampedusas „Leoparden“ herausbrachte. 1962 übernahm Schiffrin die Leitung und startete mit der „Blechtrommel“. Pantheon war zu diesem Zeitpunkt eine Tochter des Verlages Random-House. Inzwischen hat er den Verlag verlassen. „Pantheon“ sieht er als geistige Größe ruiniert, als Top-Titel veröffentlicht es neuerdings eine Sammlung mit Fotografien von Barbie-Puppen.

Den Beginn des Abstiegs datiert er auf das Ende der siebziger Jahre, als große Medien-Mischkonzerne die Hand auf die Verlage legten. Die Vorgänge sind immer die gleichen: Zuerst beschwören die neuen Besitzer die Tradition des übernommenen Hauses. Dann nehmen Funktionäre des Kapitals, die noch stolz darauf sind, zum Bücherlesen keine Zeit zu haben, auf den Verlegersesseln Platz. Statt um geistiges Profil, geht es fortan um Synergieeffekte. Lektorate, Buchaltung und Auslieferung werden ohne Rücksicht auf Kompetenzverluste zusammengelegt. Durch millionenschwere Werbekampagnen und Vorschüsse wird versucht, Bestseller zu lancieren. Im Mittelpunkt steht der Gewinn, der von den drei bis vier Prozent, die in der Bücherbranche üblich sind, auf 12 bis 15 Prozent geschraubt werden soll. Die anfallenden Unkosten werden bei den anspruchsvolleren Titeln und Autoren, die der Hege, Pflege und Geduld bedürfen, eingespart. Oft geht die Kalkulation nicht einmal auf, denn der Publikumsgeschmack ist besser, als die Zyniker des Geldes glauben.

Am Ende sind die berühmten Verlagsnamen nur noch Labels für ein beliebiges, kollektives, austauschbares Programm. Zwar bleibt die Gesamtzahl der verkauften Exemplare konstant, doch Zahl, Vielfalt und Qualität der Titel vermindert sich. Ökonomischer und politischer Druck gehen Hand in Hand: So ließ der Medienmogul Rupert Murdoch mit großem Getöse eine apologetische Biographie über Deng Xiao Ping, die Dengs eigene Tochter verfaßt hatte, auf den amerikanischen Markt werfen. Der Grund: Er verhandelte gerade mit der chinesischen Regierung über Medien-Konzessionen. In diesem Koordinatenfeld sind Zensur und Selbstzensur längst Realität. Die Situation wird noch verschlimmert, wenn Medien-Misch-Konzerne die Buchprojekte von vornherein danach beurteilen, ob sie noch anderweitig - etwa als Film oder Comic - verwertbar sind, und auch die weiteren Geschäftsbedingungen - Rabatte, Plazierung der Bücher, Preise für angemietete Regalmeter usw. - bestimmen.

Schiffrin zieht ein düsteres Fazit: „Der Markt hat den Sieg errungen, und zwar triumphaler, als es dem einen oder dem anderen Machtblock jemals gelungen war - und jetzt versuchen die Marktschreier ihre ideologischen Werte ebenso gründlich und in mancher Hinsicht noch allgegenwärtiger durchzusetzen, als es die Propagandamaschinerie von einst versuchte.“

Expansion in Übersee heißt „Kampf gegen Rechts“

Die Tatsache, daß der Global player und neue Besitzer von Schiffrins Verlag seinen Stammsitz in Gütersloh hat, kann hierzulande kein Grund für Frohsinn sein, im Gegenteil. Denn die Geschäftsinteressen von Bertelsmann auf dem amerikanischen Markt, wo der Konzern mittlerweile ein Drittel des Umsatzes erzielt, haben katastrophale Rückwirkungen auf das Klima in Deutschland. Als die Bertelsmann-Pläne in den USA ruchbar wurden, wurde auch dort ein „kultureller Ausverkauf“ an das Ausland beklagt. Zudem verfügt Random House über Autoren, die aus historischen Gründen keine deutschen Waren kaufen. Die Frage liegt nahe, ob die Lancierung des Goldhagen-Buches in Deutschland nicht eine Morgengabe darstellte, um psychologisch das Terrain für die wirtschaftliche Expansion in den USA zu bereiten.

Dazu paßt, daß Bertelsmann in Deutschland einschlägige Kampagnen unterstützt und Geld in den „Kampf gegen Rechtsextremismus“ pumpt. Während der Verlag sonst zwanghaft die Bestsellerliste des Spiegel abarbeitet, verzichtete er diesmal darauf, Norman Finkelsteins Buch „Die Holocaust-Industrie“, das wochenlang an der Spitze stand, in sein Programm aufzunehmen. Statt dessen fand sich im Katalog der weit hinten plazierte „Anti-Finkelstein“ von Peter Novick. Die Kalkulation ging auf. Der Bertelsmann-Kurs wurde im Frühjahr 2001 in New York mit der Verleihung des Vernon-A.-Walters-Preis an Konzernchef Thomas Middelhoff honoriert. Wenn Middelhoff tönt: „Im Buchbereich haben wir mit der Akquisition von Random House ein klares Bekenntnis zum Medium Buch abgegeben“, weiß man also, welche Bücher gemeint sind.

Unterdessen erweitert Bertelsmann seine volkserzieherische Tätigkeit und strahlt ab 2002 über Vox ein eigenes Literaturmagazin aus, mit Lea Rosh als Moderatorin. Der Großkonzern und die deutsche Großmoralistin Hand in Hand. „Und so kommt zum guten Ende/ alles unter einen Hut ...“, heißt es am Schluß von Brechts Gaunerstück „Die Dreigroschenoper“.

Muß man also alle Hoffnungen fahren lassen? Schiffrin zeigt in seinem Buch interessante Gegenbewegungen auf. So eröffnen sich immer wieder Marktsegmente für anspruchsvolle Publikationen, die nur entdeckt werden wollen. Amerikanische Gerichte, die früher dazu neigten, Verleger als Lordsiegelbewahrer der Meinungsfreiheit generell in Schutz zu nehmen, sehen in ihnen heute normale Profiteure. Entsprechend häufen sich die Prozeßniederlagen, was die teuren Anwaltskanzleien zur Verzweiflung bringt. Gut möglich, daß diese Justizpraxis irgendwann einen neuen Verhaltenskodex erzwingt. Klaus Wagenbach setzt in seinem Nachwort darauf, daß die Großkonzerne am eigenen Kannibalismus kollabieren und das Geschäftsfeld, das die großen Rendite einfach nicht bereithält, wieder verlassen. Dann hätten die Klein- und mittleren Verlage wieder freie Bahn. Doch noch viel schöner wäre es, wenn Deutschland sich solche Erfahrungen ersparte.

Gefragt ist die Politik auf allen Ebenen. Die EU müßte statt Rinderwahn endlich Übersetzungen subventionieren. Und jede qualitätsvolle Neuerscheinung, die von den lokalen Leihbibliotheken angekauft wird, trägt zur wirtschaftlichen Sicherheit der kleinen Verlage bei. Es ist ein Hoffnungsschimmer, daß die Bundesregierung in den kommenden Monaten die Buchpreisbindung per Gesetz regeln will.

In unserer schönen, neuen Warenwelt ist das Buch einer der letzten magischen Gegenstände. Das liegt an der Aura gediegener Gelehrsamkeit, die ihm anhaftet, und an seiner Fähigkeit, sich gegen die immer aggressiveren Furien des Verschwindens zu behaupten. Ein gutes Buch wirkt antizyklisch, es kann warten, bis seine Zeit gekommen ist. Und sie kommt bestimmt! Es ist der greifbare Beweis, daß, bei aller Diesseitigkeit, das flüchtige Hier und Jetzt kein absoluter Fixpunkt ist. Das Buch ist materiell und zugleich metaphysisch und eröffnet einen Bereich, der sich der Marktkalkulation letztlich entzieht. Mit ihm verteidigen wir unser Bestes!


 
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