© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   03/02 11. Januar 2002


Steilpaß für Stoiber
Die rot-rote Machtergreifung in Berlin wird die Bundestagswahl beeinflussen
Ronald Gläser

Während einer Podiumsdiskussion wurde der Berliner SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder mit dem Vorwurf konfrontiert, die politische Linke betreibe die Fusion mit Brandenburg, um ihre Majorität zu zementieren. Der in flagranti ertappte Senator versuchte den Spieß durch eine Gegenfrage umzudrehen: „Wie alt sind Sie? 28? Und da wollen Sie mir was von der ‚Roten Flut’ erzählen?“

Das war 1996. Heute versteckt sich der neue starke Mann der Berliner SPD nicht mehr hinter rhetorischen Ausflüchten. Die Koalition mit der PDS war von Anfang an sein erklärter Wille. Diesen hat er jetzt in die Tat umgesetzt. Die Parteitage der Koalitionspartner in spe müssen am kommenden Wochenende nur noch pro forma das Bündnis absegnen. Zwei Liebende haben sich, so FDP-Chef Guido Westerwelle, gefunden.

Noch vor der Ressortverteilung demonstrierte dies vor allem Klaus Wowereit, seit Juni vergangenen Jahres Berlins Regierender Bürgermeister. In der Hauptstadt wird das schon vorhandene Sammelsurium von Denkmälern um ein Rosa-Luxemburg-Denkmal erweitert. Dieses historische Symbol entschädigt die SED-Fortsetzungspartei für ihre in der Präambel des Koalitionsvertrages abgerungene Distanzierung vom DDR-Unrechtsstaat. Thomas Flierl, Ex-Baustadtrat von Berlin-Mitte und potentieller PDS-Senator, deutet die Aufwertung der kommunistischen Revolutionärin als „Lesehinweis für die Präambel“ des Koalitionsvertrages. Damit verwirklicht der SPD/PDS-Senat einen uralten Plan des Honecker-Regimes, das den Bau eines solchen Denkmals 1974 auf Eis gelegt hatte.

Es waren Sozialdemokraten, die nach dem Ersten Weltkrieg das Land vor Umstürzen totalitärer Ideologen bewahrten. Diese Standhaftigkeit verdrängt die Urenkelgeneration in der SPD heute lieber. Die letzten erklärten Antikommunisten in der Partei sehen sich zum Austritt veranlaßt. So hat der ehemalige Berliner Parlamentpräsident und langjährige DGB-Chef Walter Sickert nach 54 Jahren SPD-Mitgliedschaft bereits spektakulär seinen Parteiaustritt bekannt gegeben. „Willy Brandt würde im Grabe rotieren, wenn er wüßte, was aus seiner Partei heute geworden ist“, sagte Sickert in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT. Die 100 Mitglieder des SPD-Arbeitskreises ehemaliger politischer Häftlinge in der DDR werden ihm wohl kollektiv folgen.

Jenseits plakativer Erklärungen haben die neuen Machthaber auch ganz reale Aufgaben zu bewerkstelligen. Bei der Aufgabenteilung sehen sich Wowereit und sein Führungszirkel als Gewinner. Klassische Schlüsselressorts wie Inneres und Finanzen befinden sich in der Hand der Sozialdemokraten. Doch die Zukunft einer Dienstleistungsmetropole wie Berlin hängt nicht zuletzt von einem Zusammenspiel der Bereiche Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft ab. Und für diese Positionen im Senat sind künftig Postkommunisten verantwortlich. Der Mann, der Investoren anlocken und Arbeitsplätze schaffen soll, wird vermutlich Wirtschaftssenator Gysi sein. Diese Vorstellung ist so skurril wie ein DGB-Vorsitzender Günter Rexrodt.

Die Justizsenatorin soll im Einvernehmen mit der PDS von der SPD nominiert werden. Gute Chancen werden der Hochschulprofessorin Rosemarie Will eingeräumt, die bis zur Wende der SED angehörte. Noch Ende 1989 hatte die Kampfgruppen-Angehörige von DDR-Bürgerrechtlern die Aufgabe „antisozialistischer Ziele“ gefordert. Nach der Wende wechselte sie zur SPD, die sie 1996 in das Landesverfassungsgericht des Landes Brandenburg entsandte. Angesichts ihrer Vita erscheint Rosemarie Will geradezu prädestiniert, einer dunkelroten Landesregierung anzugehören. Zitat Will: „Ein Jurist ist ein Jurist, egal in welchem System.“ Der DDR-Dissident Hans Schwenke hat die mögliche neue Justizsenatorin als Lieferantin der „propagandistischen Munition der Mauerschüsse“ identifiziert. Und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sieht immerhin den Rechtsstaat beleidigt.

Für die Stadt zeichnet sich damit nach der Stagnationsphase der Großen Koalition ein Niedergang sondergleichen ab. Roter Provinzialismus wird die angespannte Lage der Stadt verstärken. Schon jetzt begrenzt die Finanzmisere den Spielraum des Senats erheblich. Der Bund hat andere Aufgaben als die Aufrechterhaltung der Berliner Subventionswirtschaft.

In dieser Woche wurde der Stadt eine Ausgabensperre verordnet. Der Nothaushalt erfordert sogar Opfer, die liebgewonnene Relikte sozialistischer Planwirtschaft beerdigen. So steht die Streichung Tausender ABM-Stellen bevor. Diese Form staatlicher Beschäftigungstherapie verschlingt jährlich Steuergelder und dient der Fälschung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Doch selbst dafür sind nun keine Mittel mehr vorhanden.

Ein anderes Prestigeobjekt konnte die SPD der PDS indes abringen. Der Großflughafen in Schönefeld soll doch gebaut werden. Diese Verschleuderung von Milliardenbeträgen begründen Regierungsvertreter mit der Aussicht auf wirtschaftliche Impulse für die Region.

Angesichts der Ausgangssituation könnte die Koalition, die jetzt wie ein monolithischer Block erscheint, bröckeln. In der Diepgen-Ära argwöhnten SPD-Politiker stets, der Koalitionspartner habe ihnen mit dem Finanzressort den Schwarzen Peter zugeschoben. Das wird im neuen Senat nicht anders sein. Bis zuletzt hofften beide Parteien, das Amt nicht besetzen zu müssen. Zudem soll Wowereit schon jetzt die Befürchtung hegen, Gregor Gysi könnte ihm die Show stehlen. Schließlich ist es dem eloquenten Gysi auch ohne Amt mühelos gelungen, sich die Aufmerksamkeit der Medien zu verschaffen.

In der SPD könnte es zudem zur Machtfrage kommen. Das Führungsduo Wowereit/Strieder ähnelt in gewisser Weise der Frühphase der rot-grünen Bundesregierung, in der Parteichef Lafontaine und Bundeskanzler Schröder um den Führungsanspruch konkurrierten. Doch auf Dauer konnte es nur einen geben.

Die politische Wende in der Hauptstadt dürfte den Niedergang der Schröder-Regierung beschleunigen. Der Steilpaß, der dem bürgerlichen Lager geboten wird, könnte genauer nicht sein. Viele Bürgerrechtler sind bereits zur CDU oder zur FDP gewechselt, weitere Enttäuschte könnten folgen. Schröders „Neue Mitte“ vertuscht Gysis alte Linke. Und wenn es nach der Bundestagswahl am 22. September rechnerisch möglich ist, droht - allen Beteuerungen der SPD zum Trotz, wie das Beispiel Berlin zeigt - eine Regierungsbeteiligung der PDS auch im Bund. Die Union brauchte also den Ball nur aufzunehmen und bis zur Bundestagswahl in der Luft zu halten. Statt dessen ist sie - bisher jedenfalls - vornehmlich mit sich selbst beschäftigt.


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