© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Kolumne
Staatlichkeit
Heinrich Lummer

Natürlich hat der Terrorismus in der Regel mehrere Ursachen und Voraussetzungen. Aber unverkennbar ist ein Zusammenhang. Dieser wurde deutlich, als man nach dem 11. September Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu entwickeln versuchte und auch Somalia erwähnte. Dort in den vorgelagerten Gewässern sollte die Bundesmarine eingesetzt werden. Auch Somalia ist ein Land, in dem es keine funktionierende Staatlichkeit gibt. Dort fühlen sich Warlords und Terroristen zu Hause. Dort könnte möglicherweise bin Laden eine neue Heimat finden.

Wir haben ja inzwischen ein ziemlich kritisches Verhältnis zum Staat. Dauernd wollen irgendwelche Pseudo-Liberalen seine Rechte beschränken, wenn es etwa um Fragen des Datenschutzes und der Verbrechensbekämpfung geht. Nur wenn der Staat als erste allgemeine Schicksals- und Sozialversicherung auftritt, dann möchte man die Aufgaben des Staates am liebsten ausdehnen. Damit aber stellt man die Dinge auf den Kopf. Die wirkliche Errungenschaft der Moderne ist ein funktionsfähiger, möglichst demokratischer Rechtsstaat, der den Bürgern Freiheit und Sicherheit gewährleistet. Sicherheit aber ist eine Voraussetzung von praktizierter Freiheit.

Gerade in den letzten Jahrzehnten mußten wir wieder lernen, was das Fehlen von Staatlichkeit bedeutet. Im Libanon, in Kolumbien, in Ruanda und in Afghanistan haben wir Beispiele erleben können, wo die Macht nicht beim Staat lag und das Chaos regierte und Mord, Totschlag und Selbstjustiz herrschten. Und genau da finden sich die möglichen Fluchtpunkte der Terroristen. Dort haben sie gern ihre Ausbildungslager und Rückzugsregionen. Und dieses ist auch in Somalia der Fall.

Man könnte sagen, je weniger Staat desto mehr Terrorismus. Deshalb muß es ein allgemeines Interesse sein, staatliche Strukturen zu bewahren und wo sie fehlen, diese aufzubauen. In Afghanistan wird es hoffentlich geschehen, obwohl die gesellschaftlichen Clan-Strukturen dieses besonders schwer machen. Auch in Palästina ist der Aufbau staatlicher Strukturen vonnöten. Leider ist das Verhalten Scharons ganz im Gegenteil darauf ausgerichtet, jedweden Aufbau einer staatlichen Struktur in Palästina zu zerstören. Es ist verrückt, von Arafat eine effektive Verfolgung des Terrorismus zu verlangen, aber jede Polizeistation der Palästinenser und jedwede Infrastruktur einer funktionierenden Staatlichkeit zu zerstören. Wer an einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung interessiert ist, muß um eine funktionierende Staatlichkeit bemüht sein - und zwar global.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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