© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
„Es geht um die historische Wahrheit“
Thomas Mehner über die deutsche Atomforschung im Dritten Reich / Wurde in Thüringen eine Atom-Bombe gezündet?
Alexander Barti

Herr Mehner, wie sind Sie dazu gekommen, über die deutsche Atomforschung zu recherchieren?

Mehner: Nun, ich interessiere mich seit vielen Jahren für Technikgeschichte, ich suche die Quellen für Dinge, die in den Lehrbüchern zwar behandelt werden, aber wo mitunter die Erfinder nicht eindeutig zu finden sind. Hinzu kommt, daß das Jonastal, worauf ich mich konzentriert habe, sozusagen vor meiner Haustür liegt.

Haben Sie ein Ingenieurwissenschaftliches Studium oder ähnliches absolviert?

Mehner: Nein, ich komme aus der Informatik und habe mit Physik wenig zu tun. Daß ich mich auf das Thema gestürzt habe, hängt damit zusammen, daß ich in spanischen Publikationen erfahren habe, daß wenigstens eine der Bomben, die auf Japan abgeworfen wurde, deutscher Herkunft gewesen ist.

Wieso ist es wichtig, ob es eine deutsche Atombombe gewesen ist?

Mehner: Es geht grundsätzlich um die historische Wahrheit. In den bisherigen Darstellungen haben die Amerikaner aufgezeigt, daß sie in Konkurrenz mit oder in Furcht vor einer deutschen Atombombe eine eigene Entwicklung - das „Manhatten Project“ - anlaufen ließen. Sie haben zwei verschiedene Waffensysteme gebaut, eine Plutonium- und eine Uranbombe, und als dann Deutschland erobert wurde, hat die ALSOS-Mission festgestellt, daß hier angeblich nichts gelaufen ist. Die deutschen Forscher sind sozusagen in die zweite Reihe geschoben worden. Nun frage ich mich aber, wieso man sich nach 1945 so sehr für deutsche Experten interessiert hat, wenn die doch angeblich so wenig gewußt haben. Wenn sich herausstellen sollte, daß das Dritte Reich die Atombombe besessen hat, tauchen natürlich eine ganze Reihe von Fragen auf. Warum, zum Beispiel, ist sie nicht eingesetzt worden?

Bekanntlich hielt Hitler nichts von der Einsteinschen Physik, weil er sie, da vom „jüdischen Geist“ ersonnen, für irrelevant ansah. Außerdem wurden die meisten Atomforscher als Soldaten an die Front geschickt. Wie sollte unter solchen Bedingungen ein deutsches Atom-Projekt entstanden sein?

Mehner: Ja, das ist schon problematisch. Hitler hat in der Tat gesagt, daß er mit der „jüdischen Physik“ - er meinte damit Einstein - nichts zu tun haben wolle. Er hat auch Atomphysiker an die Front geschickt. Nach neuesten Erkenntnissen hat der Minister der Reichspost, Dr. Ohnesorge, schon früh erkannt, daß die Atomtechnologie auch seinem Ministerium weiterhelfen kann; er hat 1942 ein Papier verfaßt, in dem er darauf hinweist, daß die Amerikaner die Atomforschung vorantreiben, und daß es sich Deutschland nicht leisten könne, auf dem Gebiet zurückzustehen. Es ist auch bekannt, daß Ohnesorge bei Hitler gewesen ist, und der hat daraufhin gesagt, „jetzt will mir schon die Reichspost was von der Atombombe erzählen“. Nach diesem etwas unglücklichen Ausgang der Unterredung ist Ohnesorge zu Himmler gegangen, und dieser hat ihn mit offenen Armen empfangen. Nachdem, was wir heute wissen, ist die Grundlagenforschung der Atombombe von der SS und der Reichspost betrieben worden.

Ist das Gerede um die „Geheimwaffen“ nicht ein Propagandatrick gewesen, um die Bevölkerung und die Verbündeten in einem immer aussichtsloseren Krieg bei Laune zu halten?

Mehner: Ich sehe das wirklich so, daß der Einsatz der Waffe kurze Zeit nach dem Zusammenbruch möglich gewesen wäre. Ob sich der Kriegsverlauf dadurch geändert hätte, weiß man natürlich nicht, aber es hätte mit Sicherheit noch mehr Tote gegeben. Selbst amerikanische Quellen geben zu, daß, wenn die Deutschen ein halbes Jahr mehr Zeit gehabt hätten, sie in der Lage gewesen wären, eine ganze Reihe von neuen Luftkampfwaffen einzusetzen. Sogar der Chef des US-Generalstabes, George Marshall, hat Ende 1945 in einem großen Zeitungsartikel den Leuten ganz deutlich gesagt, wie groß die Gefahr gewesen ist.

Normalerweise denkt man, das Raketenprogramm in Peenemünde, mit der V1 und V2, sei die „Wunderwaffe“ des Reiches gewesen. Hatten beide Projekte, „Atom“ und „Rakete“, etwas miteinander zu tun?

Mehner: Ich denke, daß beide Programme miteinander gekoppelt waren Ich habe gerade ein britisches Dokument bekommen, dem zu entnehmen ist, welche Entwicklungen im deutschen Raketensektor gelaufen sind. In der seriösen Fachliteratur findet man höchstens 40 bis 50 Raketentypen, von der Panzerabwehrrakete bis zur geflügelten A4B, der Weiterentwicklung der V2. Das britische Dokument spricht aber von über 400 Raketentypen! Interessant ist, daß nicht nur die V1 weiterentwickelt wurde, sondern auch die auch die A9, A10 muß laut diesem Dokument sehr weit gewesen sein, denn es gab schon Nachfolgeentwicklungen. Es klingt verrückt, aber bis zur dreistufigen Mondrakete war vieles in Arbeit! Hier in Thüringen gibt es deutliche Indizien dafür, daß die Entwicklung der Atombombe gekoppelt war mit der Enwicklung eines Trägersystems. Von beiden gab es mit großer Wahrscheinlichkeit Prototypen. Kammler, der im Januar 1945 zum Bevollmächtigten der „Strahlwaffe“ - damit war die Atombombe gemeint - ernannt worden ist, wurde im März 1945 auch zum Bevollmächtigten der „Strahljäger“ ernannt. Eine solche Ernennung wurde immer erst dann vorgenommen, wenn die Serienproduktion bevorstand.

Sie sagen, Kammler sei einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich gewesen, mächtiger als Albert Speer mit seiner Organisation Todt. Wer war dieser Dr. Hans Kammler?

Mehner: Kammler kam aus der Baubranche. Er war zuerst Mitglied der Luftwaffe und ist dann später zur SS gewechselt. Dort war er vor allem mit der Realisierung von unterirdischen Bauvorhaben beschäftigt. Dabei hat er sein Organisationstalent bewiesen. Er war ein rücksichtsloser Mann der Tat, so daß man ihm immer mehr Projekte gegeben hat. Sein Name taucht auch im Zusammenhang mit der V1, V2 und anderen Geheimwaffensystemen auf; er hatte zum Schluß alle Fäden in der Hand. Er betreute nicht nur Forschungszentren im Protektorat, in Pilsen, sondern auch die Anlagen „Zement“ (Ebensee) und „Quarz“ (Roggendorf) in Österreich, die auch mit der Produktion von Raketen und Atomtechnologie zu tun hatten. Nach dem Krieg ist er verschollen, aber ich glaube nicht, daß er sich - wie manche Historiker behaupten - umgebracht hat.

Am 4. März 1945 soll auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf/Thüringen eine Atombombenexplosion stattgefunden haben. Warum kann man nicht die üblichen Folgen einer solchen Explosion feststellen, wie z. B. Radioaktivität, Mißbildungen, Leukämie?

Mehner: Man muß sich von der Vorstellung lösen, der Test sei mit einer Waffe im Format von Hiroshima geschehen. Nach Zeugenaussagen war es nur eine kleine Waffe, angeblich eine 100 Gramm Ladung. Natürlich haben mich Physiker angesprochen und gesagt, daß das unmöglich sei. Allerdings gibt es eine wissenschaftliche Arbeit, die eindeutig bestätigt, daß die kleinste Ladung, die man zünden kann, eine 100 Gramm Plutoniumladung ist. Es ist auch logisch, daß, wenn man eine neue Waffe testet, mit kleinen Mengen begonnen wird. Die fertige Ladung für den Bombeneinsatz sollte acht Kilo wiegen. Außerdem haben wir Luftaufnahmen, die das Testgelände vor und nach dem Einsatz zeigen, und da sieht man eine geradezu abrasierte Fläche nach der Explosion. Ich habe sogar den Verdacht, daß der Boden abgetragen wurde. Es gibt Aussagen von im dortigen Umkreis lebenden Menschen, die berichten, daß sie von einem aus dem Ufer gelaufenen Experiment gehört haben; diese Leute hatten Kopfschmerzen, Nasenbluten und andere Symptome, die auf eine leichte Verstrahlung hindeuten, und man erzählte ihnen, es wäre eine Epidemie ausgebrochen. Die Betroffenen wurden, was ebenfalls ungewöhnlich war, von SS-Ärzten behandelt. Was die Radioaktivität anbelangt, so haben oberflächliche Untersuchungen nichts erbracht. Eine Information seitens des Strahlenschutzes hat ergeben, daß nach einer Kleinstexplosion wenig zurückbleibt, weil vor allem kurzlebige Nukleide entstehen. Außerdem hat durch den Unfall in Tschernobyl eine Überlagerung stattgefunden. Aber wir werten gerade Luftbilder aus, um weitere Anhaltspunkte zu finden. Erste Ergebnisse - soviel kann ich schon sagen - sind positiv.

Ihr Buch ist eher kritisch von der Fachwelt aufgenommen worden. Der Historiker Jens-Christian Wagner spricht im Zusammenhang mit Ihren Ergebnissen von einer „diffusen Mixtur aus historischer Halbwahrheit, Sensationsstory, Spekulation, Mystifizierung und Verschwörungstheorie“. Wie gehen Sie damit um?

Mehner: Mir geht es um die Wahrheit. Wenn die Deutschen keine Atombombe gehabt haben, dann dürfte es auch keinen einzigen Hinweis darauf geben. Ich bin kein ausgebildeter Historiker, aber Herr Wagner mußte zugeben, daß die Geschichte des KZ-Außenlagers S3 nicht aufgearbeitet ist, oder überhaupt irgendetwas zu dem Projekt S3, das von der SS unter Kammler betrieben wurde. Nicht mal ansatzweise! Ich nehme also die Aussage von Herrn Wagner zur Kenntnis, glaube aber nicht, daß er mehr als seine eigene Meinung widergibt. Ich bin überzeugt, daß wir den Beweis für die deutsche Atombombe erbringen werden.

Gibt es Anfragen von öffentlichen Stellen?

Mehner: Von für Behörden arbeitenden Bekannten habe ich die Information, daß die Region Jonastal beobachtet wird. Ein großes Interesse an der Aufarbeitung der Thematik besteht aber nicht, weil da Dinge hochkommen könnten, die man lieber nicht wissen will. Schon allein wegen der vielen tausend Todesopfer, die die Arbeiten bei S3 forderten, wäre das aber wichtig: Die Wahrheit muß ans Licht!

Fototext: US-Soldaten vor einer V2 Rakete in Eromskirchen, April 1945: Trägersystem für die Atom-Bombe?

 

Thomas Mehner geboren 1961 in Suhl, Informatikausbildung; ab 1992 Verleger und Autor. Im Kopp-Verlag (Rottenburg) erschien 2001, zusammen mit Edgar Mayer, sein Buch: Das Geheimnis der deutschen Atombombe. 19,90 EUR.

 

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