© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   04/02 18. Januar 2002


Marsch nach Berlin
Edmund Stoiber erhöht die Siegeschancen der Union gegen Rot-Rot-Grün
Paul Rosen

Nun kann er losgehen, der „Lagerwahlkampf“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder), bzw. der „Kompetenzwahlkampf“ (Kanzlerkandidat Edmund Stoiber). Nach dem Rückzug Angela Merkels vom Anspruch, Deutschlands erste Kanzlerin werden zu wollen, sind die Fronten geklärt. Natürlich wäre dem SPD-Wahlkampfmanager Franz Müntefering die CDU-Chefin als Kontrahentin des Kanzlers mit der ruhigen Hand lieber gewesen, aber diesen Gefallen tat die in diesen Tagen seltsam einige Union den Genossen nicht. Die Ausgangslage für die bürgerliche Opposition ist gut - jedenfalls besser, als sie zu Hochzeiten des Spendenskandals hätte prognostiziert werden können.

Die Ausgangslage Anfang des Jahres 2002 zeigt eine Bundesrepublik Deutschland, die von ihrer Arbeitslosigkeit (cirka vier Millionen) nicht herunterkommt, die notwendige Reformen auf dem Gebiet der Sozialpolitik entweder verschlafen oder nur halbherzig durchgeführt hat und deren Staatskasse chronische Ebbe aufweist. International hat sich Schröder lächerlich gemacht: Nach seiner großspurig angekündigten „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA zeigen sich Scharpings Truppen nicht einmal in der Lage, 100 Mann pünktlich nach Afghanistan zu bringen. Deutschland ist leider Schlußlicht in fast allen Bereichen in Europa. Dies merkt selbst der einfache Urlauber, wenn er die Euro-Zone verläßt: Sein frisch gedrucktes Geld wird immer weniger wert.

Auf diese Situationsanalyse baut Stoiber auf und wird auch den Wahlkampf auf die wirtschaftlichen Themen konzentrieren. Die demagogischen Fallen, die Müntefering bereits aufstellt, will man in München umgehen. So soll auf jeden Fall der Versuch der SPD verhindert werden, den Kandidaten in die ausländerfeindliche oder überhaupt in die rechte Ecke zu stellen. Die Zeiten, als Stoiber vor einer Gesellschaft warnte, die „durchmischt und durchrasst“ sei, sind ohnehin vorbei. Allerdings profitiert Stoiber bei vielen Wählern noch von seinem Image als bayerischer Innenminister - Zeiten, in denen er sich den Beinamen „Das blonde Fallbeil“ erwarb. Heute jedoch soll der CSU-Chef als erfahrener und erfolgreicher Regent eines großen deutschen Flächenlandes dargestellt werden, der es mit Schröder auf gleicher Augenhöhe aufnimmt.

Dagegen hat der Kanzler wenig vorzuweisen. Die Bilanz des ersten rot-grünen Kabinetts auf Bundesebene besteht aus mehr als einer Handvoll verschlissenen Ministern und aus einigen die Gesellschaft nicht vorwärts bringenden „Reformprojekten“ wie die doppelte Staatsbürgerschaft und die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle. Die Verbesserungen für Familien (Erhöhung des Kindergeldes) wurden durch die Ökosteuer wieder einkassiert. Schröder scheiterte in allen wichtigen Bereichen: An erster Stelle steht das Versagen der Regierung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Ex-Kanzler Helmut Kohl hat darauf hingewiesen: Die Arbeitslosigkeit ist heute höher als zum Zeitpunkt der letzten Bundestagswahl, und das, obwohl die Statistik bereits heftig bearbeitet wurde. Für Schröder gilt bereits nach gut drei Jahren das Urteil, das in der Schlußphase der Ära Kohl über den Oggersheimer gefällt wurde: Der Kanzler liegt wie eine Bleiplatte über dem Land.

Doch kann sich Stoiber nicht darauf verlassen, daß die Wahlkampfplanung bis zum September so durchgehalten werden kann und die Union in der Lage ist, die Regierung vor sich herzutreiben. Schröder und Müntefering dürfte noch einiges einfallen. Beispiele aus der Vergangenheit sind die aus dem Ärmel von Schröders Brioni-Anzug geschüttelte „Green Card“ für ausländische IT-Spezialisten oder die Spontanaktion „Schröder rettet Holzmann“. Gewiß, beide Aktionen floppten, aber die Öffentlichkeit war wochen- bzw. monatelang fasziniert, Schröders Werte bei Umfragen stiegen.

Die jüngste Aktion, der Versuch der bundesweiten Einführung des rheinland-pfälzischen Kombilohn-Modells für Geringverdiener, denen der Staat einen Zuschuß zahlt, verzettelte sich zunächst im Koalitionsstreit mit den um ihr politisches Überleben kämpfenden Grünen. Die Wirkung des Kombilohn-Modells erinnert an den berühmten Tropfen auf den heißen Stein: Die prognostizierten 30.000 zusätzlichen Jobs bundesweit sind kein Beitrag zur Bekämpfung einer bei vier Millionen liegenden Arbeitslosigkeit. Die Antwort auf die Wirtschaftsprobleme kann nur in einer deutlichen Senkung der Steuer- und Abgabenlast bestehen. Aber Schröder, dessen Zockermentalität so weit ging, bei der Abstimmung über den deutschen Beitrag zur Terrorbekämpfung die Existenz der eigenen Regierung durch die Vertrauensfrage aufs Spiel zu setzen, dürfte noch einiges einfallen. Noch sind es gut acht Monate bis zur Wahl. Daß die Außenpolitik wahlentscheidend wird, darauf kann und wird sich der Kanzler nicht verlassen. Die Menschen gewöhnen sich selbst an den Krieg.

Doch ein Problem bleibt bei dem von Stoiber selbst angekündigten Marsch nach Berlin: Die Umfragewerte zeigen trotz desaströser Regierungsbilanz bisher keine eindeutigen Mehrheiten für die Bürgerlichen aus Union und FDP. Das linke Lager aus SPD, Grünen und PDS verfügt über eine, wenn auch knappe Mehrheit. Und auf die Schwüre der SPD, mit der SED-Nachfolgepartei auf Bundesebene nicht zu paktieren, sollte man sich nicht verlassen. Politischer Meineid ist kein Straftatbestand. Zudem wird Schröder alles tun, sich an die Liberalen anzunähern. Allerdings ist Guido Westerwelles Traum von 18 Prozent zunächst ausgeträumt. Stoiber wird enttäuschte bürgerliche Wähler, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen scharenweise zur FDP überliefen, wieder an die Union binden können.

Dies gab für die Mitglieder des CDU-Präsidiums auch den Ausschlag, auf Stoiber zu setzen. Der bayerische Ministerpräsident hatte auf der Kreuther Klausurtagung davor gewarnt, die Union könne (gemeint war bei einer Kanzlerkandidatur von Frau Merkel) in die Zange genommen werden: Angesichts eines dann unklaren Profils wären viele Wähler zur FDP abgewandert. Auf der anderen Seite hätte die Schill-Partei noch genügend Stimmen absaugen können, so daß die Union bei den 35 Prozent des Jahres 1998 verharrt hätte oder sogar darunter gerutscht wäre. Stoibers Nominierung bedeutet somit jetzt schon viel mehr als eine Erhöhung der Siegeschancen der Union: Einheit und Kräfterelationen im bürgerlichen Lager bleiben gewahrt - zumindest bis zur Bundestagswahl.

Ein Verlierer steht hingegen fest: Angela Merkel. Obwohl ihr durch den rechtzeitigen Rückzug von der Kandidatur „Souveränität“ bescheinigt wurde, stellt sich die Führungsfrage in der CDU nach der Bundestagswahl, egal wie sie ausgeht, erst recht. Frau Merkel kann trotz aller derzeitigen Treueschwüre sicher sein, daß Roland Koch und Friedrich Merz diese Frage stellen werden.


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