© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Kärntner Gegenwind bringt Wählerstimmen
Österreich: Mit dem Anti-Temelín-Volksbegehren und dem „Ortstafelstreit“ beherrscht Jörg Haider wieder die Schlagzeilen
Carl Gustaf Ströhm

Jörg Haider, seit bald zwei Jahren nur noch „einfaches“ FPÖ-Mitglied, aber weiterhin „Gott-sei-bei-uns“ aller Gutmenschen, ist schon mehrfach totgesagt worden - wobei meist der Wunsch der Vater des Gedanken war. Auch die von ihm gemeinsam mit dem heutigen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) aus der Taufe gehobene Mitte-Rechts-Koalition wurde schon des öfteren beerdigt, sie regiert aber immer noch.

Zur Zeit macht der Landeshauptmann von Kärnten dreifach von sich reden. Erstens hat sich der 51jährige gemeinsam mit der FPÖ (und dem Massenblatt Kronenzeitung) an die Spitze eines letzten Montag gestarteten Volksbegehrens gestellt, durch welches das grenznahe pannenreiche tschechische Atomkraftwerk Temelín (Kraft eines Wiener Vetos beim tschechischen EU-Beitritt) abgeschaltet werden soll. Zweitens befindet sich Haider im Clinch mit den Slowenen - genauer: Teilen der slowenischen Minderheit in seinem Bundesland Kärnten - wegen der Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln (siehe JF 2/02). Drittens hat er, gewissermaßen im Nachgang zu Punkt zwei, einen Konflikt mit dem österreichischen Verfassungsgerichtshof und dessen Präsidenten Ludwig Adamovich. In allen drei Fällen befindet sich Haider im Dissens mit dem Koalitionspartner ÖVP. Letzterer hat die Österreicher - etwa in einem Brief Bundeskanzler Schüssels an die ÖVP-Bürgermeister - ausdrücklich davor gewarnt, das Volksbegehren zu unterschreiben und damit gegen eine EU-Mitgliedschaft des tschechischen Nachbarns zu votieren. Schüssel hat sogar erklärt, das Volksbegehren werde, gleich wie es ausgeht, ohne Einfluß auf die Wiener Politik bleiben.

Wäre es nicht Österreich, könnte man meinen, die „schwarz-blaue“ Wiener Koalition stehe kurz vor ihrem Zerfall. Aber Österreich ist anders als der große deutsche Nachbar (oder Bruder?) wahrhaben möchte. Vieles spricht dafür, daß die Regierung ihr Mandat ordnungsgemäß zu Ende führen will, ungeachtet aller inneren Dissonanzen.

Allerdings ist Haider nach wie vor der einzige wirklich politische und strategisch denkende Kopf seiner Partei. Als solcher erkennt er auch die Schwachstellen seiner eigenen Leute. Im Gegensatz zu den „Altparteien“ ÖVP und SPÖ sind die Freiheitlichen nicht „durchorganisiert“, die Decke qualifizierter Spitzenleute ist dünn. Hinzu kommt, daß der kometenhafte Aufstieg der Partei seit 1986 unter Haider - von fünf auf fast 27 Prozent (1999) natürlich auch eine Schar von Glücksrittern angelockt hat, die - nicht ganz zu Unrecht - meinten, in der FPÖ könne man schneller „aufsteigen“ als in den etablierten Parteien.

Haider selber hat dazu beigetragen, das „Dritte Lager“ in Österreich, das die FPÖ repräsentierte, ideologisch zu neutralisieren. Er vollzog - während die Linke ihn noch Nazi- oder großdeutscher Sympathien bezichtigte - den Abschied von der „deutsch-nationalen“ FPÖ, indem er sich offen gegen „Deutschtümelei“ aussprach und die alten Kader durch junge, von der Vergangenheit völlig unbelastete (und an dieser auch weitgehend desinteressierte) Leute ersetzte. Es gibt „Altnationale“ in Österrreich, die Haider deswegen gar als „Verräter“ bezeichneten. Doch Haider schwenkte in Richtung Österreich-Patriotismus. Während die „alte“ FPÖ noch im Ruch stand, insgeheim einen neuen „Anschluß“ an Deutschland zu wollen, ist Haider - nicht zuletzt auch nach den Erfahrungen mit der schulmeisterhaft agierenden deutschen Linken - fest entschlossen, an der österreichischen Eigenstaatlichkeit festzuhalten: sowohl gegenüber Berlin wie gegenüber Brüssel.

Der „Ministerflügel“ seiner Partei scheint ihm treu ergeben. Aber hier liegt zugleich eine der möglichen „Sollbruchstellen“: Erst sah es so aus, daß die FPÖ-Minister in Wien regieren, aber an der „Leine“ Haiders hängen, der im fernen Klagenfurt als „Landesfürst“ residiert. Doch die Gerüchte, wonach es zwischen Haider und einigen FPÖ-Ministern erhebliche Differenzen gibt, wollen nicht verstummen. Die Vizekanzlerin und Parteichefin Susanne Riess-Passer unterscheidet sich in der Intonation und manchmal auch in der Richtung vom Kärntner „Chef“, auch der 34jährige Klubobmann im Parlament, Peter Westenthaler, soll die ersten Kräche absolviert haben. Der 33jährige Finanzminister Karl-Heinz Grasser verfolgt im Gegensatz zu Haiders Populismus eine knallharte neoliberale Haushaltspolitik, die FPÖ-Wähler verprellt. Dafür klopfen Währungsfond, Weltbank und „Federal Reserve“-Chef Alan Greenspan dem jungen Mitglied der „Sir Karl Popper Foundation“ auf die Schulter. Der 1999 gelungene tiefe Einbruch der FPÖ in Wiener Arbeiterbezirke ist durch den Sparkurs längst rückgängig gemacht worden. Nur Justizminister Dieter Böhmdorfer bleibt „auf Kurs“: Er machte jetzt Gerald Waitz, Mitglied der Burschenschaft Brixia, zu seinem Pressesprecher. Die grüne Justizsprecherin Terezija Stoisits findet es „außerordentlich bedenklich, daß ein Mitglied einer schlagenden Verbindung, die dem harten Kern der deutschnationalen Szene zuzuordnen ist, zum Sprachrohr des so sensiblen Justizressorts erkoren wird.“

Manche meinen, daß Haider im entscheidenden Moment wieder die Bühne betritt und mit seinem Charisma eine Wende herbeiführen wird. Der Kärntner Ortstafelstreit - den nicht er vom Zaune gebrochen hat - könnte dem gewieften Taktiker dazu dienen, die noch immer sehr nationalbewußten Deutsch-Kärntner zu mobilisieren. Mit dem Thema Temelín kann er in die Phalanx der Atomgegner eindringen und die immer noch weit verbreitete Abneigung gegen die Tschechen ausspielen. Dazu kommt noch das Thema der Prager Benesch-Dekrete und der titoistischen Avnoj-Beschlüsse in Richtung Slowenien.

Daß der Wiener Verfassungsgerichtshof den „Pegel“ für zweisprachige deutsch-slowenische Ortstafeln in Kärnten von 25 auf zehn Prozent senkte, war offenbar kalkuliert. Die linken Kritiker, die sich früher selber mit Urteilsschelte gegen das oberste Gericht hervortaten (worüber sich niemand aufregte), tun jetzt so, als sei der Wiener Verfassungsgerichtshof eine über allen schnöden parteipolitischen Niederungen schwebende heilige Kuh. In Wirklichkeit wird das Gericht wie in Deutschland von den herrschenden Parteien besetzt. Haider weiß, daß er mit klaren Gegenpositionen Sympathien (und Wählerstimmen) gewinnen kann. Wenn er große politische Pläne hegen sollte, hat sich der Landeshauptmann von Kärnten in diesen Tagen ganz folgerichtig verhalten.


 
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