© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Vom Ende der Brüsseler Liturgie
Italien: Nach dem Rausschmiß des Eurokraten Ruggiero schlägt die Stunde der Politik
Alessandro Camp

Ist Italien unter seiner Regierung der rechten Mitte plötzlich ins Lager der Euroskeptiker übergelaufen? Internationale Medien geben sich besorgt, seit der parteilose Außenminister Renato Ruggiero (71) am 5. Januar im Streit mit Premierminister Silvio Berlusconi von sieinem Amt zurückgetreten ist. Ruggiero stand nach den Wahlen vom 13. Mai 2001 ausdrücklich für Italiens außenpolitische Kontinuität. Als Karrierediplomat und ehemaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO war er in den westlichen Machtzentren gut eingeführt und ebenso mit der Finanz- und Wirtschaftswelt vertraut. Die Berufung des Intimus’ der Familie Agnelli sollte vor aller Augen die europapolitische Einsatzbereitschaft Italiens unterstreichen. Sein Ausscheiden ist demnach von der internationalen liberalen Presse als möglicherweise gefährliche Wende interpretiert worden, vor allem weil es zeitlich mit der Einführung des Euro-Bargelds zusammenfiel.

Nun gilt es die Vielfalt der europapolitischen Ansätze innerhalb der italienischen Regierung zu sortieren: Neben Berlusconis Forza Italia gibt es die nationalen Konservativen von Gianfranco Finis postfaschistischer Alleanza Nazionale, die föderalistisch-populistische Lega Nord von Umberto Bossi, die gemäßigten Christdemokraten von Rocco Buttiglione. Italiens derzeitige politische Führung besitzt also kaum ein gemeinsames kulturelles Leitbild, keine kohärente Strategie in Sachen Europa. Sie ist vielmehr eine Ansammlung unterschiedlicher Kräfte, die durch das Charisma und die Entschlossenheit von Berlusconi zusammengehalten wird. Auf der europäischen Bühne gibt es nichts Vergleichbares, aber die Einzigartigkeit der gegenwärtigen italienischen Entwicklung bedeutet keineswegs eine Gefahr für Europa.

Vielmehr wird Italien zum fruchtbaren politischen Labor, in dem die Karten neu gemischt werden und die Debatte über Europa entlang weniger konventioneller Linien verläuft. Vielleicht ist es Vorläufer einer weiterreichenden Veränderung auf dem Kontinent. Jener „Europäismus“, wie er gegenwärtig bei Berufspolitikern und Meinungsführern verbreitet ist, stellt als politische Rhetorik zweierlei dar: eine glückliche Erfindung des politischen Marketings und gleichzeitig ein ideologisches Tabu. Während die Ausgabe des Euros von Festivitäten und Erklärungen ewiger Bruderschaft begleitet war, duldet der glückselige Diskurs weder Kritik noch Zweifel. Nur in Italien hielt man sich nicht an die political correctness.

Jene Polemik, die schließlich zum Bruch zwischen Berlusconi und Ruggiero führte, hatte auch ihre gute Seite: Die europäische Doktrin wurde wieder auf die Ebene eines politisch-strategischen Streits geholt und die Debatte damit neu belebt. Nun fragt man offen, wie nach der Einführung des Euro die politische Gestalt Europas aussehen soll. Welche konstitutionelle Beschaffenheit wünscht man nach der Vergemeinschaftung des monetären Systems? Europa hat nach der idealistischen Gründerphase den bürokratischen Weg eingeschlagen, dessen Ende die Einheitswährung markiert. Bislang handelte die Klasse der Technokraten, politische Agnostiker ohne demokratische Legitimation, mit den Politikern als Statisten.

Wohin führt also die nun beginnende dritte und entscheidende historische Phase der europäischen Einigung? Italiens Rechte zeigt sich gespalten über diese Frage. Ruggiero stand für den abstrakten Enthusiasmus der hohen Beamtenschaft, andere sehen deren Europäismus kritischer und vielleicht realistischer. Vor allem Reformminister Bossi und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti (Forza Italia) hatten Ruggiero attackiert. Bossi gefällt sich in der Rolle des Beschützers regionaler Autonomie. Für die Brüsseler Bürokratie hat er nur Verachtung, da sie ihm losgelöst von jedwedem Volksmandat erscheint. Als Repräsentant des populistischen Typs steht er für das Modell eines Europas der Völker und Regionen. Tremonti dagegen ist ein klassischer Liberaler, der aus der Schule von Milton Friedman kommt. Ihn schreckt die extreme Machtfülle der Brüsseler Kommission. Statt eines europäischen Superstaats wünscht er ein Europa mit schlanker Verwaltung, die nicht bis in die letzten Winkel des täglichen Lebens der Bürger hineindirigiert.

Die Position von Tremonti ist politisch raffinierter: Nach seinem Urteil besteht Europas eigentliches Problem im Übergang von der Ökonomie zur Politik, von der Technokratie zur Demokratie, von der rein monetären zur politischen Steuerung. Nach der Vollendung der Währungsunion reichen die Sonntagsreden mit den edlen Bekenntnissen nicht mehr aus. Das Verhältnis der Gewalten will neu definiert sein, das Gewicht der nationalen Traditionen und staatlichen Souveränität neu ausgelotet. Tremonti strebt nach einer Union von Nationalstaaten mit gemeinsamer Verfassung. Diese muß nach seiner Ansicht Resultat einer demokratischen Entscheidung sein, nicht wie bei der Euro-Währung nur Wunsch einer Runde von Technokraten, die sich dem Kult des Marktes und der Religion des Geldes ergeben hatten.

Euroskeptizismus in Italien? Der von Berlusconi verordnete Wechsel in der Außenpolitik, wenn auch naiv und mit typisch managerhaftem Zugriff erfolgt, bedeutet keine Verweigerung des Einigungsprozesses. Aber in die Diskussion über das Projekt hält nun ein weniger orthodoxer oder gar liturgischer Tonfall Einzug. Weniger Europäismus und mehr Europäertum. Für den Kontinent schlägt nun die Stunde der Politik, deren fundamentale Gesetze nicht vorauseilender Gehorsam und Einstimmigkeit sind, sondern die objektive Verschiedenartigkeit der Interessen, daraus entstehen die Konfrontation und schließlich ein Kompromiß.

Italiens nächster Außenminister wird daher kein Karrierediplomat, kein Techniker sein, sondern ein echter Politiker. Momentan müht sich Berlusconi selbst in dieser Rolle, doch immer deutlicher drängt Gianfranco Fini in den Vordergrund, der Vorsitzende der Alleanza Nazionale, für den ein solcher Posten außerdem die internationale Weihe wäre, die er so dringend ersehnt.

Fototext: Italiens Regierungschef Berlusconi, Ex-Außenminister Ruggiero

 

Alessandro Campi, Politologe an der Universität Perugia, war Herausgeber von Futuro Presente, einer führenden Zeitschrift der italienischen Neuen Rechten, und er schreibt regelmäßig für das konservative Magazin Ideazione. Zuletzt erschien von ihm im Verlag Il Mulino eine Studie über Mussolini (Bologna 2001).


 
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