© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Dogma war gestern
Kino: „Italienisch für Anfänger“ von Lone Scherfing
Ellen Kositza

Der alte Pastor Wredmann ist nach dem Tod seiner Frau zum polternden Zyniker geworden. Nachdem er vom Dienst suspendiert wurde, tritt der junge ortsfremde Theologe Andreas seine Stelle in der kleinen Gemeinde nahe Kopenhagen an. Auch er hat seine Frau verloren, findet aber in Gott einen mächtigen Halt.

Andreas (Anders W. Berthelsen) kommt in einem Hotel unter, da sein Vorgänger stur das Pfarrhaus besetzt. Andreas’ Gottesdienste sind sehr spärlich besucht, und doch findet er schnell Kontakt zu den Bewohnern des Ortes: Da ist zunächst der schüchterne Hotelportier Jorgen, der von seinem Chef, dem besitzmächtigen Lokalbonzen, beauftragt wird, den rüpelhaften Betreiber des Stadionrestaurants vor die Tür zu setzen. Nun ist Rauhbein Halvfinn ausgerechnet sein bester Freund, und auch vor der reizenden Kellnerin Giulia kann der gutmütige Jorgen schlecht den Hiobsbotschafter geben. Jorgens Tip an Halvfinn, weltgrößter Juventus-Turin-Anhänger: Er solle sich wenigstens die Haare ordentlich schneiden lassen, dann klappe es vielleicht mit der Kundschaft. Friseurin vor Ort ist Karen (herausragend: Ann Eleonora Jørgensen), der Laden läuft mäßig, die wenigen Kunden werden zudem regelmäßig von Karens schwerkranker und alkoholabhängiger Mutter vergrault. Um die Ecke arbeitet Olympia (Anette Støvelbæck) als Verkäuferin in einer Bäckerei, ihr passieren durch eine angeborene feinmotorische Behinderung ständig peinliche Mißgeschicke. Abends versorgt sie ihren grantigen Vater in der gemeinsamen lichtlosen Wohnung, ein bescheidenes und eintöniges Leben.

Sechs Menschen um die dreißig also, von denen keiner sein Schicksal verdient zu haben scheint: Jeder ist ein Abgrund, doch alle sind gut, wenigstens eigentlich, in diesem ersten Dogma-Film, der mit Lone Scherfig von einer Frau gedreht wurde. Es bedarf letztlich auch nur eines gemeinsamen Italienischkurses und ein wenig lockerer südländischer Lebensart, um die so menschlichen und wohl, so will es der Filmsinn, mentalitätsgebundenen Hürden - Berührungsängste, Obrigkeitsgehorsam, Impotenz - zu überwinden und zusammenfinden zu lassen, was zusammengehört.

Dogma 95, man erinnert sich an die einigermaßen aufsehenerregende Proklamation dieses dänischen Filmprojekts - vier ambitionierte Jungregisseure, darunter Lars von Trier als prominentester, legten einen „Schwur der Keuschheit“ ab: Erlaubt sind ausschließlich Handkameras, Ton darf niemals unabhängig von den Bildern produziert werden, ein striktes Nein zu Maske, Requisiten und jeglicher inhaltlicher wie technisch erzeugter Illusion. Lone Scherfig, die zuvor Kriegs-und Drogenfilme drehte, hält sich brav dran, läßt die unbefestigte Kamera hin und wieder ordentlich wackeln und liefert dennoch einen Film, der sich von seinen Dogma-Vorgängern erheblich unterscheidet.

Während etwa „Das Fest“ oder „Idioten“ mit der im Dogma-Gesetz vorgeschriebenen Fortwendung vom „Genrefilm“ nicht nur formal, sondern auch inhaltlich experimentelle und ausgewiesen antiautoritäre Projekte vorstellten und dabei - qua thematischer Wahl: sexuelle Befreiung und Selbstbestimmung, Notwendigkeit der Normsprengung allenthalben - wieder explizit ideologisch argumentierten, produziert Scherfig doch beinahe wieder ein klassisches und artiges Genre, eine romantische Liebeskomödie nämlich, mal tiefsinnig zwar, doch sehr leichtfüßig und vorhersehbar insgesamt.

Gewaltige Beifallsstürme und einen silbernen Bären durfte „Italienisk for begyndere“ auf der diesjährigen Berlinale ernten, die Kritik lobte einhellig: das Dogma löst sich langsam in Wohlgefallen auf.


 
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