© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Familie: Kosumgeile Kinder, verschuldete Eltern & Tips von der Sparkasse
Menschenrecht auf Taschenkohle
Achim Volz

Zum Widerwärtigsten dessen, was beschönigend-verschleiernd „Westen“, Kapitalismus“ oder „Marktwirtschaft“ genannt wird, zählt, daß es den Koofmichels aller Sparten und Zonen gelungen ist, unter den warenästhetischen Logos „Kids“, „Teens“ oder „Young people“ Kindheit und Jugend zu einer hochlukrativen Gattungsveranstaltung herauszubilden. Damit die einschlägigen Interessentenhaufen in der Folge umso abverkaufsbeflissener auf das solchermaßen herausmodellierte Kundensegment loszugehen vermögen.

Die meisten der kaufgierig gemachten, „positiv konditionierten“ (Marketingjargon) Minderjährigen scheinen schon vorbelastet, stöhnen doch ihre Erzeuger unter Ratenzahlung, Kreditabtrag, „Rückführung“ überzogener Girokonten, Autoleasing, Zinsverpflichtung, davonlaufenden Lebenshaltungskosten, unter all dem Aufwand für sozialen Renommierramsch, der auf Biegen und Brechen finanziert werden muß. Sich diesem Malstrom zu entziehen, fiele rund neunzig Prozent der hiesigen Kaufbevölkerung so schwer, daß sie den Versuch lieber gleich unterläßt.

Ein Turbowesten auf Kulturherrschaftstrip befriedigt keine Bedürfnisse - er erfüllt „private“ Wünsche, die er zuvor mit aller Raffinesse entfesselt, deren Sozialwissenschaftsknilche und SeeleningenieurInnen fähig sind, Wünsche fast ausschließlich materiellen, konsumistischen Zuschnitts hervorzurufen. Damit bricht er mit dem bisherigen Nomos der Gattung, die ihre Größe der Fähigkeit verdankt, just aus Mangel und Knappheit aller Mittel das Beste zu machen. Nicht so die derzeitige Kindheit, stellen doch bereits Zehnjährige Riesenansprüche an ihre bemitleidenswerten Hervorbringer: Mobiltelefon, PC, Games, Markenklamotten, „jede Menge Kohle“ für bis zu drei Visiten bei McDonalds, täglich, versteht sich. Reicht die von „Däd und Momm“ rausgerückte Knete nicht aus, pumpt man kurzerhand Freunde, Verwandte und/oder die älteren Geschwister an. Schulden machen, auf Pump leben ist längst Volkssport, auf allen Ebenen: Bund, Länder, Städte, Körperschaften - sollten die privaten Haushalte da etwa abseits stehen?

Bundesweit steht bereits jeder fünfte Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren bei seinen „CoKids“ (vormals Klassenkameraden), Familienmitgliedern, Verwandten oder sogar bei Banken in der Kreide, so die jüngste Verbraucheruntersuchung der Verlage Springer, Bauer und Bastei-Lübbe. Zehnjährige bringen es in Deutschland auf ca. 35 Mark monatlich, 16jährige können bis zu dreihundert Mark verjubeln, und doch reicht das Taschengeld immer weniger aus. Die Universität Bielefeld schlägt Alarm: „Immer mehr Kids haben insbesondere ihre Handy-Kosten nicht mehr unter Kontrolle; es ist keine Seltenheit, daß sie mit zwei- bis dreitausend Mark in die Miesen geraten.“ Dr. Armin Lewald/Universität Oldenburg dazu: „Auch bei den Jüngeren ist Verplempern angesagt. Sie haben kein Verhältnis zum Geld.“ Eine Umfrage unter Schülern der vierten bis zehnten Klassen belegte, „daß mehr als die Hälfte lieber Geld leihen würde, als auf etwas zu verzichten.“ Eine „Generation Handy“, die sich anschickt, ihrer gesellschaftsbürgerlichen Konsumpflicht bedingungslos nachzukommen.

Kindern einen selbstbestimmten Umgang mit der allfälligen konsumistischen Warenverlockung beizubringen, das müßte Aufgabe der Eltern sein. Doch selten fällt der Apfel weit vom Stamm. „Hier hilft nur eine vernünftige Taschengeldstrategie“, so Jörg Sommer, Chef der Gesellschaft für Jugend- und Sozialforschung in Frankfurt/Main. Es könnten, der Euro-Sonne synchron, Schulfächer wie „Konsum- und Geldkunde“ sowie „Anlageberatung“ heraufziehen. Ein Blick in aktuelle Unterrichtswerke erhärtet diese Befürchtung: Wo ABC-Schützen früher mit Äpfeln und Birnen das Einmaleins lernten, wimmelt es 2002 vor Münzen, Scheinen und Währungen; als Beispiele dienen ausschließlich Einkaufssituationen im Einzelhandel: „Lassen Sie das Kind an der Kasse zahlen. So lernt es, daß alles Geld kostet.“ Alles.

In Aachen ist soeben ein „pädagogisches Pilotprojekt“ auf den Weg gebracht worden; die Karlspreisverleiher haben „Kids und Knete“ auf den Stundenplan gesetzt, um ihren Achtjährigen „mit Taschengeldbudgetplanern den Umgang mit Geld beizubringen“. Mit „Besuchen bei Banken und Händlern lernen die Kids den Geld- und Warenkreislauf kennen“. Ab April 2002 bundesweit. Die Bielefelder Analyse belegt detailliert, wofür die elterliche Knete ausgegeben wird: Jungen und Mädchen bis 12 kaufen Süßigkeiten; Burschen bis 19 zahlen Disko, Kino, Suff und Tonträger; gleichaltrige Mädels hauen alles für Klamotten und Kosmetik drauf. Daß die oftmals enorme Quasselknete für Mobiltelefone, SMS etc.pp. von den Statistikern unerfaßt blieb, deutet die obskure Richtung an, in der die „Öffnung“ des deutschen Hochschulwesens erfolgen soll.

Der hiesige Sparkassen- und Giroverband will da nicht abseits stehen und leistet seinen Beitrag zur Behebung der Bildungsmisere in Form von „Taschengeld-Empfehlungen“. Darin erfährt der Vater, daß Achtjährige „noch nicht langfristig planen können“, weshalb ihnen „das Geld nicht pro Monat, sondern wöchentlich ausgezahlt“ werden soll. Pro Woche wird geschlechtsneutral den Vierjährigen ein halber Euro, den Siebenjährigen 1,53 bis 2,05 und den Neunjährigen 2,56 Euro zugestanden. Nicht lange mehr und für das Auszahlungsritual wird der preisgünstige Heim-Banktresen „Öllefrö“ von Ikea empfohlen. Vorschläge, die Knetenausgabe quantitativ erzieherisch zu dosieren, vermißt nur, wer die BRD nicht kennt. „Weihen Sie Ihr Kind in die familiäre Finanzsituation ein. Wenn es mehr Taschengeld will, setzen Sie sich wie bei einer Tarifverhandlung zusammen. Sind die Wünsche berechtigt, gibt es eine Erhöhung.“ Ab wann haben Kinder Streikrecht? Dürfen Eltern aussperren?

Bei den Größeren wird taschengeldpolitisch bereits etwas von der künftigen Wettbewerbsgesellschaft spürbar: Ab dem zwölften Lebensjahr sollten Eltern neben dem Taschengeld eine Kleidungspauschale in dreistelliger Höhe rausrücken. „Beim ersten Einkauf kann man noch beraten, aber die teuren Fehleinkäufe muß jeder Jugendliche selbst durchleiden.“ Ist das modelverdächtige Töchterlein bereits zur Monatsmitte pleite, sollten seine Erzeuger „einen Dispo-Kredit über maximal die Hälfte des Gesamttaschengeldes gewähren. Diese Summe ist allerdings mit Verzinsung zu tilgen.“ Daß eine „Bevölkerung“ mit solchem Schädelinhalt in ein paar Generationen biologisch verschwunden sein wird, kann kein Fühlender bedauern.


 
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