© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Die Union auf der Kippe
Parteien: Nach dem angekündigten Rücktritt Biedenkopfs ist in der sächsischen CDU der Machtkampf um die Nachfolge voll entbrannt
Paul Leonhard

Die Stimmen von genau 61 Landtagsabgeordneten benötigt im Sächsischen Landtag ein Kandidat, der Ministerpräsident werden möchte. Die 61 ist damit auch zur magischen Zahl für den Chef der Sachsen-Union, Georg Milbradt, geworden. Zwar verfügt seine Partei im Parlament mit 76 Sitzen über die absolute Mehrheit, aber längst nicht alle Christdemokraten sind davon überzeugt, daß Milbradt der richtige Nachfolger für „König Kurt“ ist. Da sind noch viele Rechnungen aus jenen elf Jahren offen, in denen der 56jährige Sachsens oberster Kassenverwalter war und auch die Auseinandersetzungen mit den Mannen um den langjährigen früheren Parteichef und bis 2004 gewählten CDU-Fraktionschef Fritz Hähle sind nicht vergessen. Die Stimmung in der Sachsen-Union ist „beschissen wie noch nie“, beschreiben Kenner die Szene. Lediglich 42 der CDU-Landtagsabgeordneten würden in der für den 18. April vorgesehenen (geheimen) Abstimmung ganz sicher für einen Ministerpräsidenten Milbradt votieren, hat eine online-Umfrage der Sächsischen Zeitung ergeben.

Am 18. April scheidet der 71jährige Kurt Biedenkopf - mehr als zwei Jahre vor Ende der Legislaturperiode - aus dem Amt. Zwar will er sich nach eigenem Bekunden künftig „weder offen noch verdeckt“ in die Diskussion um seine Nachfolge einmischen, in seiner Rücktrittserklärung am Mittwoch vergangener Woche hat er allerdings noch einmal massiv CDU-Landeschef und Partei kritisiert. Ersterem warf er Illoyalität vor, letzterer, parallel zur Opposition im Landtag seinen Rücktritt betrieben zu haben. Die Rede offenbarte, wie tief die Verletzungen sitzen, wie groß der Groll ist.

Seine Entscheidung vom Januar 2001, Finanzminister Milbradt aus dem Kabinett zu entlassen, sei neben dem Geschaßten selbst auch „von weiteren Funktionsträgern der Partei bekämpft“ worden, erinnerte Biedenkopf: „Es ist wohl ein einmaliger Vorgang in Deutschland, daß ein Parteitag einen vom Ministerpräsidenten entlassenen Minister zum Vorsitzenden wählt.“ Überdies hätten sich Teile der CDU durch Intrigen hervorgetan. Milbradt wiederum sieht in der im September 2001 erfolgten Wahl zum Parteivorsitzenden die „Verpflichtung, sich um das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten zu bewerben“.

Die CDU-Fraktion zu einen, wird schwer fallen. Ein gutes Drittel der für die Union im Landtag sitzenden Abgeordneten steht für eine neue Legislaturperiode nicht zur Verfügung und ist so wenig zu motivieren und noch weniger zu disziplinieren. Andererseits besitzt die Partei nur eine dünne Personaldecke. Wirklich integre Leute gibt es nur eine Handvoll, dafür jede Menge „schwächster Kaliber“, die sich bereits auf Ministerposten sehen, so ein Dresdner Ministerialer.

Eine Spezies, die, um an der Macht teilhaben zu können, gern bereit ist, den Giftschrank der Politikkiste zu öffnen. So könnte eine Schlammschlacht jederzeit ausbrechen. In Biedenkopfs Hofstaat seien die neuen Köpfe, die das Land für die innovative Weiterentwicklung der Politik benötige, nicht zu finden, spottete bereits PDS-Fraktionschef Peter Porsch. Wie ernst die Situation ist, weiß auch CDU-Chef Milbradt: Sollten Fraktion und Sachsen-Union nicht an einem Strang ziehen, wäre das das Ende der CDU-Herrschaft in Sachsen. Noch nie war die Partei so zerstritten und demoralisiert, noch nie waren die Gräben so tief.

Hähle, Biedenkopfs treuester Kämpe, sucht verzweifelt nach einem Gegenkandidaten zu Milbradt. Nachdem jedoch Landwirtschaftsminister Steffen Flath und Europa-Minister Stanislaw Tillich öffentlich bekundet haben, für eine Kandidatur nicht, aber unter einem neuen Regierungschef weiterhin als Minister zur Verfügung zu stehen, bleibt nur noch Finanzminister Thomas de Maziere. Dessen Rolle im anstehenden Machtwechsel bleibt vorerst undurchsichtig.

Da in Sachsen die Ressortchefs allein vom Ministerpräsidenten bestimmt werden, löst sich mit dem Rücktritt Biedenkopfs auch sein Kabinett auf. Minister der ersten Stunde wie Hans Geisler (Soziales), Kajo Schommer (Wirtschaft) und Hans Joachim Meyer (Wissenschaft und Kunst) haben bereits erklärt, nach dem 18. April nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Meyer wird allerdings auch zugetraut, notfalls bei einer Demontage Milbradts - um Schaden von der Union abzuwenden - die Rolle eines Übergangspremiers zu übernehmen. Als Nachfolger im Wissenschaftsressort wird Kultusminister Matthias Rößler gehandelt, der einst als wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion viel Biß zeigte. Überdies liegt eine Verschmelzung der beiden Ressorts nahe. Machtkämpfe dürfte es dagegen um den Posten des Sozialministers geben. Gleichstellungsministerin Christine Weber möchte gern Geisler beerben. Ihre Gegner haben aber bereits den früheren Pfarrer, Chef des Diakonischen Werkes Sachsen und Ausländerbeauftragten des Sächsischen Landtages, Heiner Sandig, ins Gespräch gebracht. Gleich mehrere Abgeordnete streben das Amt des Innenministers an. Auch wenn Klaus Hardraht bis jetzt überhaupt nicht gewillt ist, seinen Posten aufzugeben, werden Horst Rasch, Vorsitzender des Innenausschusses, und der Volker Bandmann, innenpolitischer Sprecher, als Kandidaten gehandelt. Die Lust am Amt hat auch Justizminister Manfred Kolbe verloren. Er will in den Bundestag zurück.

Während die PDS-Opposition bereits offiziell angeboten hat, Milbradt unter bestimmten Bedingungen bei der Ministerpräsidentenwahl zu unterstützen, dürften dem Kandidaten in der geheimen Abstimmung auch Stimmen der SPD gewiß sein. Die CDU wird sich voraussichtlich auf einem Sonderparteitag im März in Dresden auf einen Ministerpräsidentenkandidaten einigen. Sollte er dann noch immer der einzige Kandidat sein und mindestens 80 Prozent der Stimmen erhalten, gilt als sicher: Milbradt marschiert durch.

Am 26. Januar will der Landesvorstand über einen Termin für den Sonderparteitag entscheiden. Zuvor ist ein Treffen des geschäftsführenden Fraktionsvorstandes mit dem CDU-Präsidium geplant. Dabei soll geprüft werden, ob Regionalkonferenzen einberufen werden. Biedenkopf selbst will in der verbleibenden Amtszeit noch den umstrittenen Hochschulvertrag mit den Rektoren unter Dach und Fach bringen und die Erneuerung des Kulturraumgesetzes abschließen. Am 18. April wird er eine Bilanz seiner zwölfjährigen Amtszeit ziehen. Anschließend wird der Landtag einen Nachfolger wählen. Die Frage, ob Biedenkopf sein Landtagsmandat weiter ausüben wird, ließ er bisher offen. Dafür erklärte er bereits, im Bundestagswahlkampf die Unionsparteien zu unterstützen: Er werde auf Versammlungen reden und seinen Rat zur Verfügung stellen.


 
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