© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Ersatzfeind Österreich
Carl Gustaf Ströhm

Zwischen Prag und Wien herrscht ein Klima, als woll-ten bald die Hussittenkriege erneut ausbrechen. Ausgelöst durch ein österreichisches Volksbegehren gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelín, geißelte der Prager Premier Milos Zeman nicht nur den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider als „populistischen Pro-Nazi-Politiker“, sondern bezichtigte in einem Profil-Gespräch sogleich noch die Sudetendeutschen des „Landesverrats“. Wenn sie daher 1945/46 „vertrieben oder transferiert worden sind, war das milder als die Todesstrafe“.

Die Antworten ließen nicht lange auf sich warten. Haider bezeichnete den Tschechen als Kommunisten und nicht EU-tauglich. FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer bestätigte regierungsamtlich diese Qualitäten - und Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) wies seinen Prager Amtskollegen mit der Feststellung zurück, die im Wiener Parlament vertretenen Parteien seien allesamt demokratisch. Die Hetze gegen die Sudetendeutschen wiesen alle Parteien scharf zurück - auch die SPÖ und die Grünen.

Der Eklat zwischen den einst in der k.u.k.-Monarchie verbundenen Ländern hat aber auch innenpolitische Gründe. Zeman glaubt offenbar, mit antiösterreichischen Reden seiner Partei für die kommenden Wahlen einen Dienst zu erweisen. Und Haider weiß, daß viele Österreicher applaudieren, wenn jemand etwas gegen die Tschechen sagt.

Damit nähern wir uns bereits dem Kern des Problems: Obwohl beide Völker seit Jahrhunderten Nachbarn sind, mögen sie einander nicht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß fast jeder dritte Wiener eine böhmisch-mährische Großmutter hat und es im Telefonbuch von „Prohazkas“ oder „Pospischils“ nur so wimmelt. Seit 1415 in Konstanz der tschechische Reformator Jan Hus lebendig verbrannt wurde, seit die Katholiken unter Ferdinand von Habsburg 1620 den böhmischen protestantischen Adel stürzten und seine Vertreter vor dem Prager Altstädter Rathaus enthauptet wurden, seit den erbitterten Nationalitätenkämpfen zwischen Deutschen und Tschechen im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert, waren Böhmen und Mähren national zutiefst gespalten. Bezeichnend ist, daß die jüdischen Landesbewohner sich stets mehr dem Deutsch- als dem Slawentum zugehörig fühlten. Die Tschechen sagten damals: „Wer Jude ist, ist Deutscher.“

Der aufgestaute tschechische Haßkomplex entlud sich am Ende des Zweiten Weltkriegs - angefacht durch die Untaten des NS-Regimes - gegen alles, was deutsch war. Über drei Millionen Sudetendeutsche wurden vertrieben, Hunderttausende fanden in Progromen den Tod. Auf dem Prager Wenzelsplatz wurden 1945 Wehrmachtssoldaten mit den Köpfen nach unten aufgehängt und unter dem Johlen der Zuschauer mit Benzin angezündet.

Es fällt auf, daß die kollektive Erinnerung an all das in Österreich offener zutage tritt als in Deutschland. Auf österreichischen Friedhöfen nahe der tschechischen Grenze findet man noch heute Massengräber, in denen Opfer des Brünner Todesmarsches von 1945 bestattet sind. Die Geschichte läßt sich nicht rückgängig machen: was immer man an Versöhnungsphrasen hört - die meisten Österreicher mögen zwar die Ungarn, aber rümpfen die Nase über die Tschechen. Die Tschechen wiederum reagieren ihre antideutschen Komplexe an den Österreichern ab, weil die „eigentlichen“ Deutschen zu stark sind. Das deutsche Problem steckt tief in den tschechischen Seelen. Auch die gemeinsame EU-Mitgliedschaft wird daran so bald nichts ändern.


 
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