© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Pankraz,
David Flood und das Zwergenwerfen in Florida

Nachricht vom Rand der Zivilisation: In Florida haben jetzt die Zwerge Klage beim Staatsgerichtshof wegen Diskriminierung eingereicht. Ein Bezirksgericht hatte das dort in Kneipen und an Sonnenstränden verbreitete „Zwergenwerfen“ verboten. Zwergenwerfen sei menschenunwürdig, befand das Gericht, außerdem könne es leicht zu Verletzungen führen. Dagegen nun wendet sich eine Klägergemeinschaft aus der Zwergenwelt. Sie pocht auf das Recht der Zwerge, weiterhin geworfen werden zu dürfen.

Oberzwerg David Flood (36, Körpergröße 91 cm), handwerklich geschickt, wie es den meisten Zwergen seit Urzeiten nachgesagt wird, hat eine „Spezialzwergenschutzweste“ und einen „Spezialzwergenschutzhelm“ entwickelt. durch deren Benutzung das Verletzungsrisiko seiner Meinung nach gegen Null minimiert werde. Zudem, argumentiert er, würden beim Zwergenwerfen stets genügend weiche Matten ausgelegt, um den Aufprall der lebenden Wurfgeschosse abzufedern.

Das Argument mit der Entwürdigung läßt er nicht gelten. Es würden doch in fast jeder Zirkusvorstellung Akrobaten aus Mörsern in die Luft gefeuert, ohne daß bisher jemand etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Entwürdigend sei es vielmehr, den Zwergen eine gestaltspezifische Einnahmequelle ausdrücklich zu verbieten, sie mithin aus dem Erwerbsprozeß auszugrenzen. Da müßte man doch auch sämtliche Busenwettbewerbe und sämtliche Dickbauchwettbewerbe verbieten. Wo sei hier Gerechtigkeit?

Man darf gespannt sein, wie die höhere Instanz entscheiden wird. Der Spruch fiele leicht, wenn die Zwerge von irgendwelchen Kneipenrabauken dazu gezwungen würden, sich zur Unterhaltung eines besoffenen Publikums brutal durch die Luft werfen zu lassen. Doch das ist eben nicht der Fall. Die alten Trapperzeiten, wo so etwas vorkommen mochte, sind längst vorbei. Das Zwergenwerfen hat sich in Florida zu einer zwar noch nicht olympischen, aber doch allmählich immer beliebter werdenden Disziplin entwickelt, Zwerge können sich melden und für ihren Einsatz als Wurfobjekte ziemlich hohe Summen fordern. Das Fernsehen hat sich eingeschaltet und lockt mit noch weit höheren Beträgen.

Was im Fernsehen an einschlägigen „Formaten“ längst üblich ist, übertrifft ja in puncto Entwürdigung das Zwergenwerfen um ein Vielfaches. Es geht, wie jeder weiß, nicht mehr nur um schlichte Busen-, Bauch- und Po-Wettbewerbe, sondern der pure Exhibitionismus regiert, körperlich wie geistig. In sogenannten Ekel-Shows trinken Kandidaten für weit geringere Summen, als sie den Zwergen geboten werden, vor einem Millionenpublikum Pisse, schlingen rohe, schlachtfrische Schweinskaldaunen hinunter, onanieren und kopulieren. David Flood hat völlig recht: Wenn es wirklich um die Bewahrung der Menschenwürde ginge, müßten sich die Gerichte ganz anderen Vorkommnissen zuwenden.

Aber es geht in Florida gar nicht um die Menschwürde als solche, es geht - wieder einmal - um PC, Political Correctness. Zwerge gelten dort als Sonder-ethnie, stehen in einer Reihe mit Farbigen, Frauen, Homosexuellen und ähnlichen „Behinderten“, über die man keine Witze, nicht einmal Scherze machen darf. Schon die Benutzung des Wortes „Zwerg“ ist strafwürdig, wie die Benutzung des Wortes „Neger“. Und schlimmer noch als verbale Ausrutscher sind „handgreifliche Belästigungen“ der von der PC angeblich Geschützten, also bei den Zwergen das Zwergenwerfen. Akrobaten darf man werfen, doch wenn man Zwerge wirft, dann „belästigt“ man sie, und das muß verboten werden wie „sexuelle Belästigung“ bei Frauen, auch wenn die Zwerge selbst voll damit einverstanden wären.

Die Gesellschaft kommt sich bei solchen Sprachregelungen und Sanktionen kollossal human vor, es ist aber, bei Lichte betrachtet, nichts als Heuchelei der üblen Art. Alles, was vom Bild des „normalen“, mittelgroßen bis großen, heterosexuell orientierten weißen US-Mannes abweicht, wird pompös unter staatlichen Schutz gestellt - und gerade dadurch wird dieser „normale“ weiße US-Mann als Norm festgekittet, als der „eigentliche“ Mensch, über den man alles sagen darf und mit dem man alles anstellen darf, weil er durch dergleichen nicht im mindesten in seiner Macht verletzt werden kann, weil er als einziger „über“ den Dingen steht.

Ach, wie peinlich sind jene amerikanischen Fernsehserien, die allabendlich unsere Kanäle überschwemmen! Sofort erkennt man die PC, die in diesen Machwerken waltet: die Quote der Frauen, Farbigen und Homos, die mitmischen dürfen, die sprachgeregelten Dialoge, die zwar jeden Spielraum für Fäkalausdrücke lassen, aber lächerlich genau auch noch den kleinsten Scherz auf Kosten der „Sondergruppen“ umschiffen. Ein Land muß schlimm dran sein, wenn der „normale“ weiße Mann zu solchen Tricks greifen muß, um sich an der Macht zu halten. Und wenn die „Gruppenangehörigen“ solche Tricks nicht durchschauen.

Sehr erfrischend hingegen, daß jetzt ausgerechnet die in jeder Hinsicht kleinste der Gruppen, die Zwerge, pardon, die Kleinwüchsigen (oder wie heißt es inwischen pc-gemäß?) den Mund aufmachen und die Regeln verletzen. „Auch Zwerge haben klein angefangen“, hieß einst ein Filmtitel von Werner Herzog; inzwischen scheinen sie ziemlich weit gekommen zu sein, auch körperlich, da sie doch offenbar vor dem Zwergenwerfen nicht die geringste Angst mehr haben und in ihm sogar eine gute Einnahmequelle entdeckt zu haben glauben. Doch schon die Pygmäen in Goethes „Faust“ singen ja triumphierend: „Zeigt sich eine Felsenritze, / Ist auch schon der Zwerg zur Hand“.

Ob das Geworfenwerden auf Dauer der Weisheit letzten Schluß bedeutet, ist eine andere Frage. Sie wird mit beantwortet werden, wenn endlich einmal über die wirklich großen Würdeverletzungen gerichtet werden wird, die sich Tag für Tag auf unseren politischen, televisionären und theatralischen Bühnen austoben.


 
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