© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002


Kanzlerkandidat Stoiber
Führen, nicht taktieren
Carl Gustaf Ströhm

Nach den ersten Auftritten des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber herrschen in deutschen Landen - je nach Standort - Schadenfreude oder Ratlosigkeit. Der Bayer wirkte gequält und nervös. Er nahm sich selber mehrmals zurück und verhedderte sich in Schachtelsätzen oder statistischen Zahlen. Ist das der Hoffnungsträger des konservativen, schweigenden Deutschland? Kann man von ihm jene „geistig-moralische Wende“ erwarten, die Helmut Kohl seinen Wählern schuldig blieb?

Verdutzte Beobachter fragen sich, wie es kommt, daß ein Politiker, der als bayerischer Ministerpräsident eine recht gute Figur macht, schon bei den ersten Auftritten auf der Bundesbühne entzaubert wurde? Seine Idee, einen Boulevard-Journalisten wie Michael Spreng - dazu noch handstreichartig, ohne Konsultierung des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel - aus dem Zylinder zu ziehen, mag als taktischer Schachzug gemeint sein: Indem er letzte Woche einen „ pragmatischen Sozialdemokraten“ (FAZ) und Schröder-Duzfreund (Focus) zu seinem Werbechef machte, wollte Stoiber - ebenso wie durch die gebetsmühlenhafte Abgrenzung nach „rechts“ - die von der SPD vorbereitete Schmutzkübelkampagne ins Leere laufen lassen.

Doch es gibt Situationen, in denen man nicht taktieren, sondern unerschrocken führen muß. In der vielgeschmähten alten deutschen Armee gab es für einen bestimmten Offiziertypus eine recht eindeutige Charakterisierung: man sprach etwas herablassend von „Stabsfiguren“. Das waren zum Teil hervorragende Leute, die im Stab eines Kommandeurs unentbehrliche Dienste leisteten. Nur eines konnten sie nicht: selber eine Truppe führen. Im jetzt begonnenen Wahlkampf muß sich entscheiden, ob Stoiber eine Führungspersönlichkeit, ein Staatsmann oder eine Stabsfigur ist. Was im bayerischen Freistaat, wo noch immer der Geist seines politischen Ziehvaters Franz Josef Strauß durch die Korridore weht, leicht von der Hand gehen mag, kann sich nördlich der Main-Linie genau ins Gegenteil verkehren.

Niemand bezweifelt, daß der Unions-Kandidat starkem Druck ausgesetzt ist und daß es bei den CDU-„Nordlichtern“ (Originalton Strauß) nicht wenige gibt, die insgeheim hoffen, der CSU-Chef möge sich eine blutige Nase holen. Es gibt sogar das Szenario, nach einem Debakel Stoibers könne CDU-Chefin Angela Merkel - Motto: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“ - als Vizekanzlerin in eine große Koalition unter einem Kanzler Schröder einziehen.

Letztlich müßte Stoiber begreifen, daß ihm kein noch so routinierter Boulevardschreiber helfen kann, wenn es darum geht, das „einfache Volk“ zu gewinnen - das inzwischen den Glauben an Politik und Politiker verloren hat. Vor allem die fast ein Drittel umfassende „Partei der Nichtwähler“ ist mit Ängstlichkeit nicht aus der Reserve zu locken. Warum hört man von Stoiber nichts über die geistig-politische Lage der Nation? Ohne eine seelische und moralische Gesundung kann es auch keinen materiellen Aufschwung geben.


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