© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Der Zug ist abgefahren
von Alexander Barti

Am 30. Januar hat der Bundestag über den Import von Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen werden, entschieden. Wenn nun das Ergebnis sorgfältig auf Pro und Contra abgeklopft wird, und erwartungsgemäß niemand so richtig zufrieden ist, übersieht man, daß es sich bei der „Stammzelle“ um eine Scheindiskussion handelt.

Wer die Gentherapie, die ohne gezüchtete Stammzellen nicht möglich ist, verhindert, der verweigert Schwerkranken eine mögliche Hilfe - argumentieren die Befürworter. Aber darum geht es nicht bei einem Verfahren, das menschliches Leben züchtet, um es nach Ausbeutung einiger Zellen wieder zu töten. Und genau hier liegt das eigentliche Problem: Daß über eine Technik ernsthaft diskutiert wird, bei der man tausendfach morden muß, um möglicherweise heilen zu können. Die Diskussion kennzeichnet einmal mehr den sittlichen Nullpunkt unserer „humanen Zivilisation“. Davon abgesehen, paßt die Forderung, an embryonalen Stammzellen herumdoktern zu dürfen, voll ins Bild: Wenn Kinder mit zynischsten Begründungen 100.000 fach im Mutterleib getötet werden dürfen, wenn Jugendliche in unserer pornokratischen Gesellschaft zunehmend zu Sexobjekten verkommen, wenn alte Menschen als „lästige Trottel“ in Senioren-ghettos abgeschoben und bei Krankheit mit der Todesspritze „entsorgt“ werden, dann soll man sich nicht wundern, daß für winzige Zellklümpchen wenig Emotionen aufgebracht werden. Die „westliche Zivilisation“ ist schon lange eine „Kultur des Todes“ - der Zug der Sittlichkeit schon lange abgefahren.


 
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