© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
„Der Staat geht zu weit“
Andreas von Bülow, Bundesminister a.D. und Geheimdienstexperte, über den V-Mann-Skandal des Verfassungsschutzes
Moritz Schwarz

Herr Dr. von Bülow, Sie waren von 1973 bis 1976 Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Überwachung der bundesdeutschen Geheimdienste. Wie in den vergangenen Tagen durch die Intervention des Bundesverfassungsgerichtes bekannt geworden ist, scheint die NPD in so hohem Maße von Spitzeln des Verfassungsschutzes durchsetzt zu sein, daß das von Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung angestrengte Verbotsverfahren möglicherweise scheitert. Platzt jetzt der Prozeß?

Bülow: Das würden wir natürlich alle gern wissen. Entscheidend hängt das davon ab, ob noch weitere Spitzel auftauchen und welche Qualität diese haben. Da aber alle Verfassungsschutzämter sich mit Sicherheit in der NPD eigene bezahlte Quellen geschaffen haben und V-Leute führen, würden mich weitere Enthüllungen nicht wundern.

Sie sind Autor des Buches „Im Namen des Staates“, in dem Sie sich unter anderem mit der Verstrickung der Geheimdienste in die Machenschaften der Organisationen, die sie eigentlich bekämpfen sollen, beschäftigen. Ihre These lautet, die Geheimdienste bringen nicht selten das hervor, was sie verhindern sollen.

Bülow: Ich frage mich manchmal, was wäre etwa von der KPD eigentlich übriggeblieben, ohne die entsprechende Finanzierung ihrer Organisationsstruktur, dadurch daß ein großer Teil ihres Personals im Dienste der Verfassungsschutzämter stand, übrigens auch der Geldkuriere aus Ostberlin. Das gleiche gilt für die rechtsradikale Szene. Ich bin also heilfroh, daß das Bundesverfassungsgericht den Mumm gehabt hat, sich auf die Hinterbeine zu stellen und nicht nur einfach Erfüllungsgehilfe der Politik zu sein.

Der Staat argumentiert mit einem Dilemma: Er müsse mitmischen, um an die internen Informationen zu gelangen, die ihm Aufschluß über den wahren Charakter einer Gruppierung gäben.

Bülow: Der Staat sollte sich aus diesen Organisationen zurückziehen, außergewöhnliche Finanzierungen und Einflüsse aus dem In- und Ausland allerdings überwachen. Die Organisationsstrukturen sollten nicht durch die übliche Maulwurffinanzierung aus öffentlichen Geldern gestärkt werden. Es reicht, radikale, gewalttätige Gruppen von außen zu beobachten, statt sich an der Planung von Anschlägen zu beteiligen und den Anstifter oder gar Haupttäter zu spielen. Ich war schon 1956 gegen das KPD-Verbot und bin heute genauso gegen ein NPD-Verbot. Solche Parteien muß man politisch bekämpfen. Durch den Mißbrauch von V-Männern/V-Frauen durch Geheimdienste können über Nacht Skandale ausgelöst werden, die Wahlkämpfe beeinflussen oder das Bild Deutschlands in der Welt beeinträchtigen sollen.

Das NPD-Verbotsverfahren wurde nach dem Bombenanschlag auf eine Düsseldorfer S-Bahnhaltestelle politisch eingeleitet, ohne zu wissen, ob überhaupt Rechtsradikale, geschweige denn die NPD damit das geringste zu tun haben. Tatsächlich glaubt die Polizei inzwischen nicht mehr an einen rechtsradikalen Zusammenhang. Das Verbotsverfahren wurde allerdings weiter betrieben. Ein Skandal?

Bülow: Ähnlich war es auch im Falle des Brandanschlages auf die Düsseldorfer Synagoge einige Wochen später. Allen war klar, das konnten nur Rechtsradikale gewesen sein, dann stellte sich heraus, es waren zwei Araber. Auf wessen Rechnung die gearbeitet haben, weiß die Öffentlichkeit nicht. Im Falle der spektakulären Sprengung der JVA Weiterstadt zum Beispiel, war der Haupttäter ein Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Die Generalbundesanwaltschaft wollte natürlich des Mannes habhaft werden, doch wurde er von genanntem Landesamt ins Ausland geschafft und mit einer neuen Identität versehen. Der gleiche Mann hatte zuvor eine V-Mann-Rolle im Fall Bad Kleinen, bei dem der Polizist Michael Newrzella und der Terrorist Wolfgang Grams erschossen wurden. Auch im Falle des berühmten „Celler Lochs“ haben wir heute Gewißheit, daß die Tat auf das Konto eines VS-Mitarbeiters geht, was damals jedoch der RAF angelastet wurde. Inzwischen kann die Öffentlichkeit nicht mehr unterscheiden, was ist originär und was geht auf das Konto eines agent provocateur? Ich will unseren Ämtern nichts unterstellen, aber ich wundere mich doch über so viele Merkwürdigkeiten, etwa im Falle des Solinger Brandanschlages: Dort wurden die jugendlichen Täter in einer Kampfsportschule ausgebildet, in der auch der Bundesgrenzschutz und Sondereinheiten der Bundeswehr trainiert wurden und deren Leiter ein Mitarbeiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes war. Ebensolche Merkwürdigkeiten gab es bei den Ausschreitungen von Rostock und dem Brandanschlag von Lübeck. Skandale, die zeigen, daß der Rechtsstaat beschädigt wird.

Wie hoch würden Sie denn den Anteil des „gemachten“ Rechtsradikalismus einschätzen?

Bülow: Das kann ich nicht sagen. Aber wie weit die Einmischung der Geheimdienste führen kann, zeigen die unglaublichen Hintergründe des ersten Bombenanschlags auf das World Trade Center 1993: Den damaligen Haupttäter hatte das FBI als Informanten auf seiner Gehaltsliste. Ihm wurde von der Behörde versprochen, die zur Explosion notwendigen Chemikalien würden rechtzeitig gegen harmlose ausgetauscht. Das FBI hielt sein Versprechen nicht und die Bombe ging hoch - sechs Tote und etwa 1.000 Verletzte waren die Folge. Die Mitglieder der Gruppe standen übrigens schon zuvor auf einer Einreiseverbotsliste des US-Außenministeriums, doch die CIA sorgte dafür, daß sie trotzdem ins Land gelangten. Da fragt man sich als Amerikaner doch, ob sich nicht Teile des Geheimdienstes mit dem kriminellen Milieu vereinen?

In Ihrem Buch warnen Sie aber nicht nur vor einer Einschränkung der Freiheitsrechte und einer durch die Geheimdienste erst entfesselten extremistischen Gefahr, sondern vor allem vor einer Manipulation der Politik durch diese.

Bülow: Wählerschaften lassen sich eben am einfachsten durch politisch günstig plazierte Attentate, wie zum Beispiel im Italien der siebziger Jahre (Südtirol, Bologna, etc.), in die gewünschte Richtung treiben.

Ist es denn wirklich vorstellbar, daß unsere Geheimdienste soweit gehen?

Bülow: Das will ich BND und VS konkret gar nicht unterstellen, doch prinzipiell, warum nicht? Denken Sie doch nur einmal an den bayerischen Plutonium-Skandal vor ein paar Jahren. Kanzleramt, BND und bayerisches LKA haben über die Mafia dafür gesorgt, daß auf dem schwarzen Markt Plutonium eingekauft und in einer Verkehrsmaschine aus Rußland nach Bayern eingeflogen wurde, um es dann politisch günstig vor den Bundes- bzw. Landtagswahlen zu „entdecken“. Wäre das Flugzeug zufällig abgestürzt, wäre das Plutonium vom Himmel gerieselt. Dem Mafia-Kontaktmann in dem grotesken Treiben von Geheimdienst-, Kripo- und internationalem Gangstertum wurden nicht nur 250 Millionen Mark versprochen, sondern auch die ungehinderte Einfuhr von fünfhundert Kilogramm Heroin nach Deutschland zugesichert sowie darüber hinausgehende Mengen in Aussicht gestellt. Seit jeher haben die Geheimdienste Verbindungen zu links- und rechtsextremen Organisationen unterhalten, nicht nur zur Mafia , um sie im innenpolitischen Spiel der Bundesrepublik einzusetzen. Und getrost darf man davon ausgehen, daß obendrein noch ausländische Geheimdienste in die Verhältnisse hier verwickelt sind - wohl auch im Falle der NPD -, weil auch fremde Mächte „Vergnügen“ an der radikalen Szene der Bundesrebublik Deutschland haben.

Sie meinen „Interessen“?

Bülow: Ausländische Geheimdienste haben von Beginn an in der rechtsradikalen Szene der Bundesrepublik mitgemischt. Die von der CIA Anfang der fünfziger Jahre in Deutschland unterstützten bzw. sogar gegründeten Organisationen waren teilweise sogar zum bewaffneten Kampf bereit und erhielten dazu heimlich Waffen aus amerikanischen Beständen. So beschwerte sich zum Beispiel der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn 1952 öffentlich, daß der rechtsradikale Bund Deutscher Jugend von der CIA mit Kadern aus alten Nazis und SS-Veteranen aufgebaut, finanziert und unterstützt wurde, daß er seine Übungen im Odenwald abhalte, und daß man Listen von gegebenenfalls zu ermordenden oder unschädlich zu machenden linken Politikern und sozialdemokratischen Oberbürgermeistern und Abgeordneten gefunden habe. Ähnliche Umtriebe mit Waffen aus US-Beständen meldete man aus Bayern, Schleswig-Holstein, usw. Die amerikanischen Gelder dafür liefen über Firmen wie Coca-Cola, Jan Reemtsma, Bosch oder Sarotti. Hintergrund war, daß die USA zu der damaligen Zeit mit einem militärischen Überrollen Westdeutschlands durch die Sowjetarmee rechneten. Was die Amerikaner später in Vietnam verwirklicht haben, nämlich aus ihrer Sicht denkbare Kooperationsparter des Vietkong in Führungspositionen Südvietnams einfach zu liquidieren, hat man damals auch bei uns vorbereitet. Kanzleramt und Bundesinnenministerium waren informiert. Die innenpolitische Auseinandersetzung verlief im Sande, aus mangelndem Diensteifer der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, aber auch, weil das Amerikabild der Deutschen nicht beschädigt werden durfte.

1959 tauchten in Köln Hakenkreuzschmierereien auf, die bundesweit für große Bestürzung sorgten, der jungen Bundesrepublik international den Ruf eines faschistisch-faulen Kerns einbrachten, und die Deutschen erneut in große moralische Zweifel über ihr Land stürzten. Heute wissen wir, es war die Stasi.

Bülow: Die Stasi hatte ihre Verbindungsleute in der NPD. Sie hatte zumindest Kreisvorsitzende in der Hand, ob sie bis in den Bundesvorstand vorgedrungen ist, weiß ich nicht, ich kann es mir aber gut vorstellen. Hakenkreuzschmierereien, zum Beispiel auf jüdischen Friedhöfen, sind für einen guten Geheimdienst quasi „auf Bestellung“ zu bekommen.

Solche Vorkommnisse bestimmen das Bild der Deutschen von ihrem eigenen Land und damit ihr nationales Selbstbewußtsein sowie das Bild Deutschlands im Ausland, was angesichts der instabilen national-psychologischen Verfassung der Deutschen eine gute Möglichkeit zur Manipulation bietet.

Bülow: Vor einigen Jahren hat der Bonner Korrespondent der New York Times sein Engagement in Deutschland vorzeitig gekündigt und ist in die USA zurückgekehrt. Es war ihm leid, aus Deutschland nur einschlägige, unangenehme Nachrichten nach Amerika übermitteln zu können. Für anderes gab es in der Redaktion kein Interesse. Da wird kontinuierlich an einem Bild Deutschlands im Ausland gestrickt, wie es negativer nicht sein könnte. Die Kehrseite, daß zum Beispiel die deutsche Skinhead-Szene von den USA aus massiv beeinflußt wird, fällt in der Berichterstattung unter den Tisch. Dabei sitzt in der US-Szene das FBI „dick“ mit drin, weigert sich jedoch, mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten. Der größte Teil an Nazi-Haß- und Terror-Propaganda einschließlich der üblichen Devotionalien, der hierzulande vertrieben wird, kommt aus den USA. Ich habe mich schon in den siebziger Jahren als Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium darüber geärgert, daß unsere Marinesoldaten bei Flottenbesuchen in den Vereinigten Staaten unablässig von der Nazi-Szene in den USA mit einschlägiger Literatur förmlich überschüttet wurden. Die jungen wehrpflichtigen Matrosen waren entsetzt über die Zumutung. Dies nur an die Adresse derer, die meinen, das von den Regierungsstellen und der Presse verbreitete Bild gäbe eine einigermaßen realistische Beschreibung der Situation wieder. Tatsächlich treten im US-Fernsehen Leute auf, die sich rühmen, deutsche Skinheads für die Angriffe auf Ausländer in zwanzig deutschen Städten trainiert zu haben. Nur wer das Gesamtbild betrachtet, kann deutsche Schuld und Verantwortung richtig einordnen und die notwendigen Maßnahmen treffen. Deutsche Betroffenheit hilft da nicht weiter.

Da sich die Geheimdienste sogar politischer Kontrolle entziehen, wäre eine Kontrolle durch die Medien um so wichtiger. Doch Sie sprechen von einer „gleichgeschalteten Öffentlichkeit“.

Bülow: Leider übernehmen viel zuviele Journalisten einfach die Darstellungen der Regierungsstellen. Das nimmt manchmal bedrohliche Ausmaße an. Im Falle der Terror-Attacken auf Amerika ist es geradezu gespenstisch, wie sich die amerikanische, aber auch die deutsche Journalistik weigert, berechtigte Fragestellungen überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen. Kritische Nachfragen werden gleich als Anti-Amerikanismus oder Pro-Islamismus denunziert. Es ist unglaublich.

Als klar wurde, daß weder NPD noch sonstige Rechtsradikale hinter besagtem Düsseldorfer Bombenanschlag stecken, stellte der „Spiegel“ dennoch befriedigt fest, daß der fälschliche Verdacht wenigstens zum NPD-Verbotsverfahren geführt habe. - Ist das nicht eine journalistische Dekadenz, die die Grenze zum Reaktionären schon überschritten hat?

Bülow: Natürlich. Aber denken Sie nur an die Spiegel-Serie über die 19 Selbstmordflieger vom 11. September. Der Spiegel übernahm einfach die Darstellung aus den USA, nach der diese 19 Personen die Flugzeuge am 11. September gekapert und auf die Terrorziele gelenkt haben. Dabei stand bereits rund zehn Tage danach fest, daß sieben dieser Identitäten zu Personen gehören, die noch quicklebendig sind. Zwei Monate nach der Tat hatten diese Erkenntnisse den Spiegel noch nicht erreicht. Die FBI-Story mit den 19 Selbstmordpiloten wurde unkritisch übernommen. Allerdings hat es das ARD -Büro in Washington in seinem Sonderbericht zum Piloten-Thema auch nicht besser gemacht. Und auch im Fall bin Ladens fehlt es am kritischen Hinterfragen.

Ihr Buch hat den unterschwellig vorwurfsvollen Titel „Im Namen des Staates“. Sie waren Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär und Bundesminister. Sie waren selber „Staat“.

Bülow: Ich hatte wenig Ahnung! Von den tief ins Politische gehenden Spielchen der Spionage wußte ich nichts. Horst Ehmke als zuständiger Kanzleramtsminister hatte eine gewisse Aufräumarbeit geleistet. Den Durchblick durch die unglaublichen Machenschaften habe ich erst durch meine Mitarbeit im Stasi-Untersuchungsausschuß, bzw. Schalck-Golodkowski-Untersuchungsausschuß bekommen. Dort wurden Erkenntnisse, die westliche Dienste in ihren Kontakten mit den früheren östlichen hätten zeigen können, abgeblockt. Dennoch konnte man erkennen, wie östliche und westliche Geheimdienste, mit ihren zweifach-, dreifach- und vierfach Agenten wie die Bisamratten in einem durchlöcherten Damm umeinander herumgekrabbelt sind. Ich bin dann den Spuren des Waffen-, Drogen- und High-Tech-Schmuggels im Einzelnen nachgegangen und habe mich mit den Informationen aus den Anhörungen des amerikanischen Kongresses, nicht zuletzt aber auch mit dem Material der geheimdienstkritischen Szene in den USA - die es dort, im Unterschied zu Deutschland, immerhin gibt - intensiv und jahrelang beschäftigt und meine Erkenntnisse schließlich ernüchtert in meinem Buch aufbereitet.

 

Dr. Andreas von Bülow geboren 1937 in Dresden. 1960 wurde er Mitglied der SPD, von 1969 bis 1994 vertrat er seine Partei als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er war sowohl Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste als auch des Schalck-Golodkowski-Untersuchungsausschusses des Bundestages. Von 1976 bis 1980 war er Staatssekretär im Verteidigungsministerium und von 1980 bis 1982 Bundesforschungsminister. In seinem Buch „Im Namen des Staates“ (Piper, 2000) legt er die Verquickung von Geheimdiensten und Extremisten offen. Von Bülow arbeitet heute als Rechtsanwalt in Bonn.

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen